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Sinan Selen wird neuer Präsident des Verfassungsschutzes

15. September 2025

Vize-Präsident ist er schon, nun soll der in Istanbul geborene Sicherheitsexperte und studierte Jurist Chef des Inlandsgeheimdienstes werden.

Der glatzköpfige Brillenträger Sinan Selen stützt mit seiner rechten Hand seinen Kopf, während er vor der blauen Wand in der Bundespressekonferenz in Berlin auf Fragen von Journalistinnen und Journalisten antwortet.
Sinan Selen, Vize-Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, soll schon bald den Chefposten übernehmen Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Premiere beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und überhaupt in einer zentralen deutschen Sicherheitsbehörde: Erstmals soll ein Fachmann mit migrantischen Wurzeln Präsident werden. Das melden mehrere Medien unter Berufung auf gut informierte politische Kreise. Demnach wird Innenminister Alexander Dobrindt von der Christlich-Sozialen Union (CSU) den 1976 als Kind türkischer Eltern nach Deutschland gekommenen Sinan Selen in Kürze zum Chef des Inlandsgeheimdienstes ernennen.

Einarbeitungszeit wird der in Köln (Nordrhein-Westfalen) aufgewachsene Jurist keine benötigen, denn er ist bereits seit 2019 Vize-Präsident. Diesen Posten teilt er sich mit Silke Willems. Gemeinsam leiten sie den Verfassungsschutz seit dem Ausscheiden von Thomas Haldenwang im November 2024 kommissarisch.

Selen verantwortlich für den Schutz von Bundeskanzler Schröder 

Selens Vorgänger wurde von der damaligen sozialdemokratischen Innenministerin Nancy Faeser abberufen, nachdem der Christdemokrat (CDU) überraschend seine Kandidatur für die Bundestagswahl im Februar 2025 bekanntgegeben hatte. Haldenwangs Versuch, in die aktive Politik zu wechseln, blieb allerdings erfolglos.

Thomas Haldenwang (l.) war bis November 2024 Präsident des Verfassungsschutzes und wurde von der damaligen Innenministerin Nancy Faeser abberufenBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Für Selen wäre die Beförderung zum Chef die Krönung seiner Karriere, die im Jahr 2000 beim Bundeskriminalamt (BKA) begonnen hatte. Er sammelte erste Erfahrungen im Bereich Staatsschutz, war unter anderem für den persönlichen Schutz des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder und dessen Innenminister Otto Schily (beide SPD) verantwortlich.

Selens Stationen: BKA, Bundespolizei, Wirtschaft, Verfassungsschutz

Sechs Jahre später wechselte Selen ins Bundesinnenministerium nach Berlin und wurde Referatsleiter für Ausländerterrorismus und -extremismus. Nächste Station war 2009 die für Grenzsicherung zuständige Bundespolizei, wo er sich vor allem mit Terrorismusabwehr befasste.

Nach der Rückkehr ins Innenministerium im Jahr 2012 lag Selens Arbeitsschwerpunkt bis 2016 weiterhin auf der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. In diese Zeit fiel der Putsch in seinem Geburtsland Türkei.

Türkei nach dem Putsch

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Selens letzte Station vor seinem Einstieg beim Verfassungsschutz 2019 war ein dreijähriger Ausflug in die Privatwirtschaft zum Tourismus-Unternehmen TUI. Seine Aufgabe bestand darin, die konzernweite Sicherheitsstruktur mit einem besonderen Blick auf Cyber- und Krisenmanagement zu vereinheitlichen.

National und international erfahren

Der designierte Verfassungsschutzchef verfügt also über einen in Jahrzehnten gewachsenen Erfahrungsschatz auf nationaler und internationaler Ebene. In Fachkreisen genießt er einen guten Ruf und ist gern gesehener Gast auf Fachkonferenzen wie der traditionsreichen Sicherheitstagung, die seine staatliche Behörde regelmäßig gemeinsam mit der Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft (ASW) veranstaltet. Auf der Potsdamer Konferenz für Nationale Cybersicherheit warnte er zusammen mit den Spitzen anderer Sicherheitsbehörden vor den Gefahren hybrider Angriffe auf Deutschland.  

Potsdamer Konferenz für Nationale Cybersicherheit im Mai 2025: Sinan Selen (r.) gemeinsam mit BKA-Präsident Holger Münch (l.) und der Präsidentin des Bundesamtes für die Sicherheit in der Informationstechnik, Claudia PlattnerBild: Carsten Koall/dpa/picture-alliance

Selens Berufung an die Spitze des Inlandsgeheimdienstes fällt in eine Zeit, in der die Bedrohungslage seit Jahren permanent zunimmt: Rechtsextremismus, Linksextremismus, Islamismus, Cyber-Sabotage, Spionage. Die wachsenden Gefahren in allen Bereichen haben dazu geführt, dass der Verfassungsschutz personell und finanziell massiv gestärkt wurde.

Der Inlandsgeheimdienst bekommt immer mehr Geld und Personal 

Als der inzwischen 53-Jährige im Jahr 2019 Vize-Präsident wurde, waren rund 4000 Menschen dort beschäftigt. Inzwischen sind es über 5000 und das geplante Budget für 2026 soll mit 686 Millionen Euro um 36 Prozent gegenüber 2024 steigen. Geld, das Selen für dringend nötig hält – vor allem wegen der veränderten Bedrohungslage seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine.

Vulkan Files: Einblicke in Putins globalen Cyberkrieg

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"Unsere Rolle als Abwehrdienst gewinnt zunehmend an Bedeutung – wie in anderen westlichen Ländern auch", sagte Selen im August der Zeitung "Welt am Sonntag". Die Abwehr von Übergriffen fremder Mächte stehe nun an vorderster Stelle, gefolgt von Terrorabwehr und der Abwehr von gewaltbereitem Extremismus.

Besonders im Blick: Russland und Wladimir Putin

"Wir beobachten dabei eine Enthemmung", sagte der künftige Präsident des Verfassungsschutzes mit Blick auf die Strategie Russlands unter Präsident Wladimir Putin. "Es werden Verletzte oder sogar Tote bewusst in Kauf genommen." Zu den Instrumenten gehöre es auch, "Migranten nach Deutschland zu schleusen oder politische Entscheidungen zu beeinflussen".

Um angemessen auf die hybriden Aktivitäten Russlands reagieren zu können, hätten die Verfassungsschützer mit einem Aktionsplan zur Spionageabwehr die Schwerpunkte neu gesetzt, betonte Selen. Als bisheriger Vize-Präsident trägt er dafür bereits fast ein Jahr lang die Verantwortung – so lange ist der Chefposten schon vakant.

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland