1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Sind Pushbacks an Europas Seegrenzen legal?

Esther Felden | Nina Werkhäuser
7. Juli 2020

Griechenland wird vorgeworfen, in der Ägäis Flüchtlingsboote in Richtung Türkei zurückzudrängen. Inwieweit verstößt das gegen internationales Recht? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Europa Symbolbild Flüchtlingsboot auf dem Mittelmeer
Bild: picture-alliance/Photoshot/M. Lolos

Warum sind Pushbacks umstritten?

"Pushback" ist kein juristischer, sondern ein politischer Begriff. Dennoch ist das "Zurückweisen" von Flüchtlingsbooten auf See rechtlich hoch umstritten: "Pushbacks können ein Verstoß gegen die Rettungspflicht sein", sagt die Völkerrechtlerin Nele Matz-Lück von der Universität Kiel. Etwa dann, "wenn man Personen in Seenot aussetzt, also in eine andere Meereszone schleppt, um sie dort in einer Notsituation zurückzulassen".

Auch dürften Flüchtlinge nicht dorthin zurückgebracht werden, wo ihnen "unmittelbar Verfolgung, Folter, unmenschliche Behandlung oder andere gravierende Menschenrechtsverletzungen" drohten. Das sei ein Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention, betont die Professorin für See- und Völkerrecht.

Dürfen EU-Staaten Flüchtlinge auf See abweisen?

Innerhalb der Europäischen Union nicht, außerhalb schon. "In dem Moment, in dem jemand das Staatsgebiet eines EU-Mitgliedsstaates erreicht, hat die betreffende Person einen Anspruch darauf, einen Asylantrag zu stellen, der dann überprüft werden muss", erläutert der Hamburger Seerechts-Experte Alexander Proelß. Aber: "Ein solcher Anspruch besteht grundsätzlich nicht jenseits des europäischen Territoriums."

Also nicht außerhalb des Küstenmeeres eines Landes, das sich bis zu 12 Seemeilen von der Küste aus erstrecken kann. "Auch im Mittelmeer hat es in der Vergangenheit verschiedentlich Vorfälle gegeben, bei denen sich staatliche Schiffe genau außerhalb dieser 12 Meilen postiert und die Flüchtlingsboote dann zurückgeschoben haben, damit sie nicht in das Staatsgebiet einlaufen können", beschreibt der Professor für See- und Völkerrecht an der Universität Hamburg die menschenrechtswidrige Praxis.

Nur auf dem Staatsgebiet eines EU-Landes können Flüchtlinge wie hier in Athen einen Asylantrag stellenBild: picture-alliance/AP/P. Giannakouris

Gibt es eine völkerrechtliche Verpflichtung, Menschen in Seenot zu helfen?

Jeder Kapitän ist verpflichtet, in Seenot geratenen Personen Hilfe zu leisten. Egal, um wen es sich handelt und aus welchem Grund ein Schiff in Seenot geraten ist. Es sei denn, er würde dadurch sein eigenes Schiff oder seine Crew in Gefahr bringen. So steht es im UN-Seerechtsübereinkommen von 1982 beziehungsweise im Übereinkommen zur Seenotrettung aus dem Jahr 1979.

Aber was sagt das Seevölkerrecht zu der Frage, was mit den Geretteten weiter passiert? "Es gibt keine seevölkerrechtliche Pflicht, dass der danach angelaufene Staat, beispielsweise Italien oder Griechenland, dulden muss, dass die Menschen dort an Land gehen dürfen", erklärt Rechtswissenschaftler Proelß.

Das geltende Seerecht sei an dieser Stelle lückenhaft. Anders gesagt: Die jahrzehntealten Normen des Seerechts sind auf die aktuelle Migrationssituation nur begrenzt anwendbar.   

Können Flüchtlinge juristisch gegen Pushbacks vorgehen?

Das ist kompliziert. Zunächst einmal greift das nationale Recht des Staates, in dessen Gewässern ein Schiffbrüchiger aufgegriffen wurde. Jedes Land muss dafür sorgen, dass sich seine Staatsbediensteten bei der Seenotrettung an geltende Gesetze und insbesondere an die verbindlichen Menschenrechte halten.

Tun sie das nicht - wie im Fall von Pushbacks, an denen die griechische Küstenwache möglicherweise beteiligt war -, können die Betroffenen vor griechischen Gerichten gegen diese unrechtmäßige Behandlung vorgehen. 

Ist der nationale Rechtsweg ausgeschöpft, kann der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte angerufen werden. Aber: "Die Flüchtenden, die in türkische Gewässer zurückgeschleppt wurden, haben andere Sorgen und im Zweifel weder Kenntnisse noch Mittel, entsprechende Verfahren anzustoßen", sagt die Kieler Völkerrechtlerin Nele Matz-Lück. Andere Chancen, juristisch gegen Pushbacks vorzugehen, gibt es derzeit nicht. 

Als letzte Instanz können Flüchtlinge den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg anrufenBild: picture-alliance /imageBROKER

Wie bewertet Griechenland die Rechtslage?  

Griechenland streitet ab, mit illegalen Methoden gegen Bootsflüchtlinge vorzugehen. Man sehe sich inmitten der Corona-Pandemie mit "massiven und organisierten Migrationsströmen" aus der Türkei konfrontiert, teilte die Küstenwache des Landes der Deutschen Welle auf Nachfrage mit.

Griechenland schütze die europäischen Seegrenzen in Übereinstimmung mit dem nationalen und internationalen Recht. Um aus der Türkei kommende Flüchtlinge und Migranten aufzuhalten, plant die Regierung in Athen die Errichtung einer knapp drei Kilometer langen, schwimmenden Barriere vor der Insel Lesbos in der Ägäis.

Nina Werkhäuser Reporterin
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen