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Politik

Sind Russlands Fußballfans gefährlich?

Ilya Koval mo
4. Juni 2018

Im Westen fragen sich viele, ob es während der WM 2018 in Russland zu Massenschlägereien unter Fußballfans kommen wird. Vor allem nach den Zusammenstößen in Marseille haben russische Fans ein negatives Image.

UEFA EURO 2016 England - Russland
Bild: Reuters/Y. Herman

Nachdem die Entscheidung für die WM in Russland gefallen war, seien russische Fans schnell unter den Druck staatlicher Stellen geraten: Daran erinnert der Gründer der Fangruppe "Ich hätte Zuhause bleiben können" im russischen Messenger-Dienst Telegram. Er verwendet im Gespräch mit der DW seinen User-Namen Vlad MDS. 

Als es dann während der Europameisterschaft 2016 in Frankreich mitten in Marseille zu Massenschlägereien zwischen Russen und Engländern gekommen war, beendeten die russischen Behörden den Dialog mit den Fußballfans. Fortan sollten sich allein die Sicherheitsbehörden mit ihnen befassen, sagt der Leiter des Allrussischen Fanverbands, Aleksandr Schprygin, der DW. Nach einer Schlägerei zwischen rund 200 Fans der Moskauer Klubs Spartak und ZSKA Ende Januar 2016 wurden dann erstmals Strafverfahren eingeleitet. Früher kamen Teilnehmer solcher Schlägereien meist mit Geldbußen davon.

Von der Innenstadt an den Stadtrand

Aleksandr Schprygin: Marseille war ein WendepunktBild: Vitaliy Bezrukih/Sputnik/dpa

Fanatismus unter Fußballfans entstand in Russland noch in den 1970er Jahren. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nahm er zu. So gab es in den späten 1990er Jahren meist mitten in Städten Massenschlägereien, an denen Hunderte Fans beteiligt waren. "Zu Beginn des neuen Jahrtausends erreichte die Fanbewegung in Russland ihren Höhepunkt”, erinnert sich Schprygin. Ungefähr zur selben Zeit habe die Anti-Extremismus-Behörde begonnen, gegen Fußballfans vorzugehen, sagt der Leiter des Allrussischen Fanverbands.

Vlad MDS betonte, der Kreml habe damals auch begonnen, noch andere Ziele zu verfolgen. "Die Behörden wollten ein gutes Verhältnis zu Fangruppen einiger Fußball-Teams aufbauen, um deren Loyalität für eigene Zwecke zu nutzen", sagte er. Der russische Journalist Michail Sygar beschreibt in diesem Zusammenhang in seinem Buch "All the Kremlin's Men", wie der damalige stellvertretende Leiter der Präsidialverwaltung, Wladislaw Surkow, die Kreml-freundliche Jugendbewegung "Naschi" gründete. 

In der zweiten Hälfte der 2000er Jahre zogen sich die Fußballfans im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Blickfeld der Sicherheitsbehörden in die Wälder an den Stadträndern zurück. Immer weniger Fans beteiligten sich an Prügeleien, meist zehn bis 30 Mann auf jeder Seite. Damals wurden Verbände von Fußballfans gegründet - einschließlich des Allrussischen Fanverbands. "Der Sportminister stand mit uns in ständigem Kontakt und der Allrussische Fanverband wurde in den Russischen Fußball-Verband aufgenommen. Putin traf sich zweimal mit uns, auch die Präsidenten der FIFA und UEFA. Ich gehörte zum Organisationskomitee für die WM 2018 in Moskau", betonte Schprygin. Doch dann habe sich alles geändert.

Vorbereitung auf die WM 2018

Schprygin zufolge waren die Ereignisse in Marseille im Sommer 2016 der Wendepunkt. "Der Allrussische Fanverband wurde für das Verhalten der Fans in Frankreich verantwortlich gemacht und aus dem Russischen Fußballverband ausgeschlossen", sagt Schprygin. Seine Organisation stellte ihre Tätigkeit ein. Mit den Anführern anderer russischer Fan-Bewegungen führen Mitarbeiter des Zentrums für Extremismus-Bekämpfung und des FSB regelmäßig Präventionsgespräche. 

Bei der EM 2016 kam es zu Zusammenstößen zwischen englischen und russischen Fans in MarseilleBild: Reuters/J.-P. Pelissier

Bei Verstößen in Stadien oder außerhalb der Arenen werden Durchsuchungen durchgeführt, es kommt zu Inhaftierungen, Verhören und es werden auch Strafsachen eröffnet. "Das sind Präventionsmaßnahmen im Vorfeld der WM", sagte Vlad MDS. Unter die radikalen Fußballfans seien bestimmt Personen eingeschleust worden, die mit den Sicherheitsbehörden zusammenarbeiten. Auf Druck der Behörden hätten "viele Fans die Bewegung verlassen und sich zurückgezogen". Viele regionale Fangruppen hätten ihre Aktivitäten vorübergehend ausgesetzt. Möglicherweise gingen sie davon aus, dass "nach der WM die Wachsamkeit der Behörden nachlässt", vermutet Vlad MDS.

Auslandsaufenthalt als Alibi

Die Gesprächspartner der DW sind sich einig: Gefährliche Zusammenstöße bei der WM sind nicht zu erwarten. "Überall, wo Fußball, Sport, Emotionen und Massen zusammenkommen, kann es natürlich vereinzelt zu Prügeleien kommen", sagte Schprygin. Doch Massenschlägereien wie in Marseille seien bei den jetzigen Sicherheitsmaßnahmen unmöglich. "Die russische Polizei wird anders reagieren als die in Marseille, die einfach der Schlägerei zugesehen hat. Bei uns wird man verhindern, dass sich größere Gruppen bilden", sagt Schprygin.

Möglicherweise werden sich zahlreiche Vertreter der russischen Fanbewegung während der WM 2018 im Ausland aufhalten. "Vielen russischen Fans wurde empfohlen, während der WM im Ausland Urlaub zu machen, damit sie ein Alibi haben, falls es zu Zusammenstößen kommt", berichtet Vlad MDS.

Doch das negative Image der russischen Fans, das in den vergangenen Jahren in Europa entstanden ist, könnte gerade mit dem Trend zusammenhängen, "nach Europa zu fahren, um sich dort zu raufen", meint Schpryagin. Ihm zufolge glauben viele Fans, dort in einer Menschenmenge untergehen zu können und unerkannt zu bleiben. Es herrsche ein Gefühl von "relativer Straflosigkeit", sagt Vlad MDS und fügt hinzu: "Für die Fans ist es jetzt bequemer, sich im ruhigen und friedlichen Europa zu prügeln, als sich mit der russischen Wirklichkeit auseinanderzusetzen, wo jeder weiß, was ihn erwartet."

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