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Sind wir parteiisch?

Gero Schliess, Berlin 3. Mai 2016

Weil sich die Weltlage zuspitzt und Krisen die politische Agenda bestimmen, entbrennt der Kampf um die mediale Deutungshoheit zwischen den Auslandssendern neu. Die Berliner re:publica diskutiert das Thema kontrovers.

Blick in das Studio von RT (Foto: RIA)
Bild: picture-alliance/dpa

"Bin ich parteiisch? Na klar!", ruft Oksana Boyko vom russischen Sender RT International ins Rund des Panels bei der Berliner Internet-Konferenz re:publica, auf dem Vertreter internationaler Sender das Thema "Der Kampf ums Weltbild" diskutieren. Während Journalisten das Label "parteiisch" normalerweise wie der Teufel das Weihwasser scheuen, geht die russische TV-Moderatorin sogar noch einen Schritt weiter.

Parteiisch oder unabhängig?

Nicht nur sie persönlich sei Partei, sondern jeder Journalist, folge er doch einem bestimmten Interesse und sei in einer spezifischen politischen Kultur sozialisiert. Das wollten die anderen Panelisten Ingar Thordar (CNN), Salah Negm (Al Jazeera English) und DW-Intendant Peter Limbourg nicht auf sich sitzen lassen. Limbourg sprach für die anderen, als er für die DW Unabhängigkeit und eine Vielfalt von Perspektiven als journalistisches Markenzeichen reklamierte und Boykos Sichtweise als Ende der freien Medien zurückwies. Dass es bei dem gut einstündigen Panel lebendig und streckenweise hitzig zuging, zeigt, dass es um etwas geht. Vorbei sind die Zeiten, als der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion den Sieg des Westens und das Ende der Geschichte verkündete. Das waren damals gute Aussichten für die Menschen, aber schlechte für internationale Newsanbieter. Denn nicht nur das Publikum schien das Interesse an ihrer Wirkmacht zu verlieren, sondern auch die sie finanzierenden Staaten samt der Werbewirtschaft.

Möglichst nah an die Wahrheit rankommen

Dass alles ganz anders gekommen ist als von Fukuyama vorhergesagt, dass etwa die Verwerfungen im Mittleren Osten und Putins Weltmachtanspruch die politische Landschaft dramatisch verändert haben, spielt den internationalen Sendern in die Hände. Denn alle wollen jetzt beim "Kampf ums Weltbild" wieder die Nase vorn haben. Salah Negm von Al Jazeera betonte, dass der härter gewordene Wettbewerb nicht auf Kosten der journalistischen Ausgewogenheit ausgefochten werden dürfe. "Wir müssen so nah wie möglich an die Wahrheit rankommen", sagte er und verwies darauf, dass nur Verlässlichkeit auch Vertrauen beim Publikum schaffe.

Al Jazeera: Ist eine objektive Berichterstattung überhaupt möglich?Bild: picture-alliance/dpa/M. Ulmer

Objektivität eine Illusion?

Oksana Boyko hielt dem entgegen, dass Objektivität gar nicht möglich und bestenfalls eine Illusion sei. Eine ausgewogene, verlässliche Nachrichtengebung, das ist von gestern, behauptete sie während der einstündigen Diskussion in immer neuen Variationen, womit sie die im Raum stehenden Propagandavorwürfe gegenüber RT International geschickt umging. Im Falle Libyens hätten CNN und Al Jazeera beispielsweise die Unruhen als Demokratiebewegung gedeutet, während sie hässliche Seiten wie Plünderungen und Brandschatzungen weggelassen hätten. Inga Thordar wies für CNN eine absichtsvolle Auslassung dieser Aspekte zurück. Sie nahm für ihren Sender in Anspruch, dass man den Zuschauer möglichst mit allen wichtigen Aspekten einer Story bekannt machen wolle. Deswegen konzentriert sich CNN auch nur auf zwei bis drei Top-Themen pro Tag. Dass diese allerdings oft bis zur Ermüdung des Zuschauers in einer scheinbar endlosen Wiederholungsschleife nur im Schneckentempo fortgeschrieben werden, erwähnte sie nicht.

Newsroom der DW: "Zwischen den Newssendern gibt es einen harten Wettbewerb"Bild: DW

Verschiedene Perspektiven

DW-Intendant Peter Limbourg nahm für die DW in Anspruch, dass sie weiterhin für die Freiheit von Information und Meinung arbeiten werde. Dabei setze sich sein Sender mit einer "kontinentaleuropäischen Perspektive" vom angloamerikanischen Blickwinkel von BBC oder CNN ab. Wie das aussehen kann, wurde bei der Einspielung der Newsshows von DW, CNN und RT-International vom 21. April dieses Jahres deutlich. Während CNN an diesem Tag mit dem 90. Geburtstag der Queen aufmachte, war bei der DW die Flüchtlingskrise das Top-Thema. RT International stellte die Verleihung des "Four Freedoms Award" an Angela Merkel in den Mittelpunkt, mit dem die Kanzlerin für ihre Flüchtlingspolitik ausgezeichnet wurde. Verbunden war das nach Auskunft von Panel-Moderator Jo Schück allerdings mit einem TV-Beitrag, der mit Kritik an der Kanzlerin nicht sparte.

Jubiläumsausgabe der re:publica in BerlinBild: DW/M. Rohwer-Kahlmann

Grundsätzlich sei die Vielfalt von Themen und Herangehensweisen zu begrüßen, so DW-Intendant Limbourg. "Zwischen den News-Sendern gibt es einen harten Wettbewerb. Wir sind gut beraten, Geschichten zu finden, die andere nicht haben."
Und nicht nur die Vielfalt der Geschichten kann im internationalen Newsgeschäft Wettbewerbsvorteile bringen, sondern auch die Bespielung der unterschiedlichsten Plattformen – von Facebook und Twitter bis zum Online-Artikel und dem traditionell linearen TV-Programm.

Zuschauer der Zukunft

Während hier Einigkeit herrschte, gingen die Meinungen über den Zuschauer und seine intellektuellen Ambitionen auseinander. Es müsse auch schon mal ausreichen, dass er nur eine Quelle nutze. Deswegen müssten die Sender unbedingt unabhängig und ausgewogen informieren, sagte Salah Negm von AL Jazeera. DW-Intendant Limbourg wünscht sich ein neugierigeres Publikum, das auch unterschiedliche journalistische Formate nutzt: "Ich glaube nicht, dass unser Publikum stumpfsinnig und ignorant ist", gab er sich zuversichtlich. RT-Journalistin Boyko spann ihre These vom parteiischen Journalisten weiter und sprach vom parteiischen Sender, dem man nicht trauen dürfe. Daher müsse man dem Zuschauer zumuten, mehrere Quellen zu nutzen und sich sein eigenes Bild zu machen. Ob sie denn ihrem eigenen Sender auch nicht traue, hakte Moderator Jo Schück nach. Die sonst so eloquente Russin blieb hierauf die Antwort schuldig.

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