1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Gesellschaft

"Eine Form von deutschem Islam"

Marco Müller
25. November 2018

Muslime in Deutschland diskutierten heute liberaler über ihre Religion, meint die Herausgeberin der feministischen Zeitschrift "Gazelle" im DW-Interview der Woche. Das stelle auch patriarchale Machtgefüge in Frage.

Sineb El Masra, deutsche Autorin und Journalistin, im DW-Interview
Bild: DW

Interview - Sineb El Masrar: "Islam und Frauenrechte schließen sich nicht aus"

12:03

This browser does not support the video element.

"Meine Familie würde ich als konservativ bezeichnen", erklärt Sineb El Masrar. Die Autorin zahlreicher Bücher über den Islam ist Tochter marokkanischer Einwanderer. Sie hat, wie sie selber sagt, eine sehr traditionelle religiöse Erziehung erhalten. Ihr Vater gab ihr klassischen Koranunterricht. "Jeden Sonntag musste ich den Koran - wie alle Kinder, die normalerweise in eine Koranschule gehen - auswendig lernen."

Trotzdem seien ihre Eltern tolerant und akzeptierten aus Liebe zu ihr vieles. Dogmen, dass Mädchen bestimmte Dinge nicht machen dürften, habe es nicht gegeben, sagt sie. Dies habe sie geprägt und ihr gezeigt, dass konservativ nicht automatisch reaktionär und engstirnig bedeuten muss.

Mit ihrem Vater konnte Sineb El Masrar in Sachen Religion über alles diskutieren. Ihm war es wichtig, dass sie ihm Fragen stellen konnte. Und ihrer Mutter, einer "Frau, die eine Schule noch nie von innen gesehen hat", war es wichtig, dass Sineb eine unabhängige Frau wird und ihren eigenen Weg geht. Ihre Eltern sieht sie daher als Inspirationsquelle an.

Ein Kopftuch kann auch modisch sein - wie hier bei der New York Fashion Week 2016Bild: Imago/Pacific Press Agency

Kopftuch als Mode-Accessoire?

Ein Reizthema in Deutschland - wie auch in vielen anderen europäischen Ländern - ist das Kopftuch. Ist es ein Zeichen der Unterdrückung der Frau? Zeigt es, dass man religiös radikaler ist als andere? Ist es Ausdruck geringeren Bildung? "Dieses alte Bild des Kopftuches hat sich verändert", sagt Sineb El Masrar. Während man früher mit dem Kopftuch Bäuerlichkeit und geringe Qualifikation verband, trügen heute auch Frauen ein Kopftuch, die in Deutschland sozialisiert wurden, hier zu Schule gegangen sind und einen Hochschulabschluss erlangt haben. Zum Teil sei das Kopftuch eine Mode-Accessoire.

Heute gebe es viele Frauen, die Kopftuch tragen und trotzdem weltoffen und modern seien, sagt die Buchautorin. So akzeptierten sehr viele Kopftuch tragende Frauen ihre Kinder, auch wenn sie homosexuell seien oder ihre Schwestern, auch wenn sie mit einem Nicht-Muslim zusammen seien.

Sineb El Masrar selbst trägt allerdings kein Kopftuch und gibt dafür zwei Gründe an: Zum einen sehe der Koran ein Kopftuch gar nicht vor, zum anderen akzeptiere sie als Feministin keine Kleiderordnung. Sie sagt von sich selbst, dass sie modebegeistert ist und dafür kämpft, dass Frauen das tragen dürfen, was sie auch tragen wollen.

Sineb El Masra: "Vieles ist in Bewegung - auch wegen der Deutschen Islam Konferenz" Bild: picture-alliance/dpa/S. Gollnow

Tolerante Form des Islam als Zukunftsmodell?

"Wir diskutieren anders, viel stärker und mehr über den Islam in Deutschland", freut sich "Gazella"-Herausgeberin El Masrar. Man könne den Islam heute in Deutschland in Schulen lernen, an Universitäten studieren - und neu auslegen. So gebe es mittlerweile auch eine "Gender-gerechte Koran-Lesart". Das liege auch daran, dass es heute viel mehr muslimische Akteure gebe. Dass aktuell so viel in Bewegung sei im Hinblick auf den Islam in Deutschland, sei auch ein Verdienst der Deutschen Islam Konferenz, zu der auch Sineb El Masrar eingeladen war. Die Deutsche Islam Konferenz wurde 2006 vom damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble ins Leben gerufen und soll den Dialog zwischen dem deutschen Staat und den hier lebenden Muslimen fördern. Ihr sei es auch zu verdanken, dass sich vor kurzem eine neue Initiative säkularer Muslime organisieren konnte, so Sineb El Masrar.

"Wo Muslime in Deutschland leben, haben wir sozusagen auch eine Form von deutschem Islam", ist El Masrar überzeugt. Teilweise sei er türkisch geprägt, teilweise marokkanisch oder auch salafistisch. Wichtig sei, den Islam fortzuentwickeln und einen Islam zu unterstützen, der freiheitlich-humanistische Werte unterstütze. Die Muslime müssten "auf dem Boden des Grundgesetzes für den Islam streiten", sagt sie. "Das kann man durchaus aus dem Koran, aus der Tradition herausarbeiten." Allerdings werde das ein sehr schwieriger Prozess, weil dadurch auch Machtgefüge zusammenbrechen würden und die klassischen Islamverbände neu um ihre Machtpositionen kämpfen müssten. Vielleicht würden sie die Bedeutung, die sie heute haben, in zehn,15 Jahren in dieser Form nicht mehr haben.

"Heroes" - ein Berliner Projekt, in dem junge Muslimen über Gleichberechtigung diskutierenBild: picture-alliance/dpa

"Viele Männer leiden auch selbst unter dem Patriarchat"

Nachdem es in Deutschland eine ganze Reihe von Gewalttaten gegen Frauen gegeben hat, sprechen einige Politiker im Hinblick auf die Täter von "Testosteron-gesteuerten muslimischen jungen Männern". Kann man diesen Männern Respekt gegenüber Frauen beibringen?

Wo das Patriarchat sehr präsent sei, seien auch die Männer und ihr Frauenbild sehr problematisch, so Sineb El Masrar. Allerdings seien die Männer auch in der Lage, ihre Einstellungen und ihr Handeln zu überdenken. Das sei aber sehr schwierig, da sie sich in ihrer Umgebung oft nicht trauen würden, darüber zu sprechen, um nicht ausgegrenzt zu werden. "Dafür bräuchte es eben auch Schutzräume", wie es sie für Frauen gibt - Räume, wo junge Männer offen über patriarchale Strukturen und Ehrbegriffe sprechen und ihre Schwächen zugeben könnten. "Heroes" in Berlin ist so ein Projekt, das diesen Schutzraum biete. Denn: "Viele Männer leiden auch selbst unter dem Patriarchat".

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen