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PolitikEuropa

Sinn Fein gewinnt Wahl in Nordirland

Daniel Heinrich
8. Mai 2022

Zum ersten Mal in der Geschichte Nordirlands wird eine irisch-nationalistische Partei stärkste Kraft im Parlament. Was steckt hinter der Sinn Fein und welche Folgen kann das Ergebnis haben?

Nordirland - Spitzenkandidatin Michelle O'Neill der Partei Sinn Fein
Spitzenkandidatin Michelle O'Neill der Partei Sinn Fein reagiert auf die ersten WahlergebnisseBild: Niall Carson/picture alliance/empics

Die Partei Sinn Fein, die Nordirland mit Irland vereinigen will, hat die Parlamentswahl gewonnen. Die einst als politischer Arm der militanten Organisation IRA geltende Partei errang 27 der 90 Sitze in der Northern Ireland Assembly. Dahinter landete die protestantisch-unionistische DUP mit 25 Sitzen. Die Alliance Party, die den Streit zwischen Befürwortern und Gegnern einer Vereinigung der beiden Teile Irlands hinter sich lassen will, errang 17 Mandate - mehr als doppelt so viele wie bei der vergangenen Wahl. Neun Sitze entfielen auf die gemäßigt-unionistische UUP. Für die sozialdemokratische SDLP wurden acht Kandidaten gewählt. Die Auszählung der Stimmen bei der Wahl zum nordirischen Parlament ist nach BBC-Angaben erst in den frühen Morgenstunden des Sonntag zu Ende gegangen.

Die Spitzenkandidatin der katholisch-republikanischen Partei Sinn Fein, Michelle O'Neill, bezeichnete die Wahl in Nordirland als Beginn einer neuen Ära in der früheren Unruheprovinz. Mit dem Sieg ihrer Partei hat O'Neill Anspruch auf den Posten der Regierungschefin (First Minister). Es wäre das erste Mal, dass der Posten einer Partei zufällt, die sich für die Loslösung des Landesteils von Großbritannien und einer Vereinigung mit der Republik Irland einsetzt. Wir werfen einen Blick auf die Hintergründe.

Wofür steht die Sinn Fein?

Die Partei der überwiegend katholischen Nationalisten strebt eine Herauslösung Nordirlands aus dem Vereinigten Königreich mit England, Schottland und Wales und eine Vereinigung der britischen Provinz mit dem EU-Staat Irland an. Ihre schärfsten politischen Konkurrenten, die protestantischen Unionisten, stehen dem kategorisch entgegen. Jahrzehntelang war das Land durch die sogenannten "Troubles" geprägt: Die Kämpfe der Unionisten und der Nationalisten kosteten rund 3500 Menschen das Leben. Erst im Karfreitagsabkommen 1998 wurde Frieden geschlossen und der mehr als drei Jahrzehnte dauernde Bürgerkrieg beendet. Die Sinn Fein galt lange als politischer Arm der Irish Republican Army (IRA). Die IRA wurde im Vereinigten Königreich als Terrororganisation eingestuft und erklärte erst im Sommer 2005, sieben Jahre nach dem Karfreitagsabkommen, das Ende des bewaffneten Kampfes. 

Jahrzehntelang war die IRA eine treibende Kraft im Land. Ein IRA Wandgemälde in Londonderry im Jahr 2017Bild: ZUMAPRESS.com/picture alliance

Charismatische Spitzenkandidatin

Einen großen Anteil am Wahlerfolg der Sinn Fein hat die charismatische Spitzenkandidatin der Partei, Michelle O'Neill. An Stelle der belasteten Vergangenheit des Landes rückte die 45-Jährige die Alltagssorgen der Menschen in den Vordergrund. O'Neill gab sich bodenständig und versprach, die drängenden Probleme im Gesundheitswesen zu beheben, Menschen zu helfen, die von steigenden Preisen betroffen sind, und präsentierte sich als Kandidatin, die die Interessen aller Nordirinnen und Nordiren im Blick habe. Allerdings lassen sich auch in ihrem engen familiären Umfeld die dunklen Schatten der Vergangenheit nicht ausblenden. Zwei ihrer Cousins gehörten der IRA an. Einer wurde erschossen, der andere durch Schüsse verwundet und 2017 zu einer Haftstrafe verurteilt. Auch ihr Vater saß wegen Verbindungen zu der Gruppe im Gefängnis.

Brexit schwächt die Konkurrenz

Das starke Abschneiden Sinn Feins lag auch an der Schwäche der DUP, der Democratic Unionist Party. Seit Anfang des neuen Jahrtausends war die pro-britische Partei aus jeder Parlamentswahl als stärkste Kraft hervorgegangen. In ihren besten Jahren kam sie auf Werte um die 30 Prozent. Doch mit der Entscheidung zum Brexit geriet in Nordirland vieles ins Wanken: Besonders umstritten ist das sogenannte Nordirland-Protokoll, das die Handelsströme zwischen Großbritannien und der irischen Insel regelt. Um eine harte Grenze innerhalb Irlands zu vermeiden, wurde beschlossen, eine Seegrenze einzuziehen. Dadurch bleibt der Warenverkehr zwischen Irland und Nordirland weitgehend frei. Gleichzeitig muss sich Nordirland aber weiter an viele EU-Bestimmungen halten, selbst wenn Waren aus Großbritannien in das Land importiert werden. Viele Unionisten sind enttäuscht, da durch das Protokoll so eine stärkere Distanz zu London aufgebaut wird.

Brexit-Chaos führte in Nordirland zwischenzeitlich zu leeren Supermarktregalen wie hier in Belfast im Januar 2021Bild: Charles McQuillan/Getty Images

Vereinigung mit Irland auf längere Zeit nicht zu erwarten

Dass der Wahlsieg der Sinn Fein zu einem schnellen Zusammenschluss mit der Republik Irland führen wird, ist unwahrscheinlich. Zwar wird sich die Partei aller Voraussicht nach für die Festlegung eines Referendums einsetzen. Darin sollen Bürgerinnen und Bürger entscheiden, ob sich Nordirland mit der Republik im Süden vereinigen soll. Allerdings wird dies aus mehreren Gründen dauern. Das Ansetzen einer Volksabstimmung obliegt laut Karfreitagsabkommen der Regierung in London. Diese darf sich dem Ansinnen nicht verwehren, wenn es Aussicht auf Erfolg hat. Das aber lässt sich auch aus diesem Wahlergebnis nicht direkt ableiten. Eine Wiedervereinigung wird zurzeit von nicht einmal einem Drittel der Nordiren gewünscht. Priorität hat das Thema sogar nur für jeden Sechsten.

Hängepartie bei Regierungsbildung erwartet 

Auch hinsichtlich der Regierungsbildung steht das Karfreitagsabkommen allzu raschen Veränderungen im Wege. Zwar erhält die Sinn Fein durch den Sieg das Recht, mit ihrer Spitzenkandidatin Michelle O'Neill die Chefin der Einheitsregierung des Landes zu stellen. Aus dem Abkommen folgt allerdings auch, dass O'Neill ein gleichberechtigter Stellvertreter oder Stellvertreterin aus der DUP an die Seite gestellt werden muss. Hinzu kommt, dass das gute Wahlergebnis der überkonfessionell-neutralen Alliance Party die Regierungsbildung voraussichtlich weiter in die Länge ziehen könnte. Denn eine starke neutrale Partei ist in dem System des sogenannten "Power Sharing" laut Karfreitagsabkommen überhaupt nicht vorgesehen. Nicht verwunderlich, dass die Alliance das gesamte Abkommen reformieren will.

Die designierte Regierungschefin Michelle O'Neill im Wahlkampf mit zwei Studentinnen. Bild: Peter Morrison/AP/picture alliance

Zur Not greift London ein

Nach dieser Wahl stehen also drei Parteien im Fokus, deren Absichten sich kaum vereinbaren lassen: Die nationalistische Sinn Fein drängt auf ein Referendum und hat kein Interesse daran, das eher spaltende Nordirland-Protokoll aufzuheben. Das genaue Gegenteil schwebt dagegen der DUP vor, während die Alliance das dualistische System, das beide Parteien begünstigt, aufbrechen will. Trotz des historischen Wahlsieges der Sinn Fein zeichnet sich in Belfast also eine längere Hängepartie ab. Ungewöhnlich sind solche unsicheren Zustände in Nordirland übrigens nicht: Schon die letzte Regierung brach im Streit um das Nordirland-Protokoll auseinander. Für eine Lösung ist in der Verfassung schon gesorgt: Ohne handlungsfähige Regierung würden die Geschicke des Landes vorerst aus London gesteuert.

Der britische Premier Boris Johnson, hier bei einem Parteitag der DUP 2018, steht an der Seite der Unionisten Bild: Charles McQuillan/Getty Images