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Politik

"Sinnlose Gewaltspirale" in Kamerun

Adrian Kriesch
20. Oktober 2018

Im anglophonen Teil Kameruns eskaliert die Krise. Ein Priesteranwärter wird vor seiner Kirche von Soldaten erschossen. Der Erzbischof fordert ein Ende der "sinnlosen Gewaltspirale". Adrian Kriesch aus Bamenda.

Kamerun | Beerdigung von Gerard Akiata (DW/D. Tchoffo)
Bild: DW/A. Kriesch

Comfort Akiata kann sich vor Schmerz kaum auf den Beinen halten, als sie sich ihrem Sohn nähert. Gerard Akiata trägt ein weißes Gewand, eine Kette mit Kreuz auf dem Bauch. Er liegt in einem offenen Sarg in der Kathedrale von Bamenda. „Gute Reise, mein Sohn", sagt die Mutter und bricht in Tränen aus.

Schon immer wollte der 19-Jährige Priester werden, erzählt Comfort Akiata später: "Er war mein einziger Sohn. Wie er gestorben ist – das ist einfach verstörend." Augenzeugen zufolge wurde Gerard nach einem Gottesdienst vor seiner Kirche in der Nähe der Provinzhauptstadt Bamenda erschossen. Mehrere Krankenschwestern in einer benachbarten Klinik hätten die Situation beobachtet, berichtet der Erzbischof von Bamenda.

„Er war mein einziger Sohn“, sagt Mutter Comfort AkiataBild: DW/A. Kriesch

Demnach hielt ein Militärfahrzeug vor der Kirche an, die umstehenden Menschen flüchteten in Panik. Gerard versteckte sich am Eingang, wurde aber kurz darauf gefunden. Ein Soldat sprach kurz mit ihm, so die Augenzeugen, befahl ihm dann sich hinzulegen und schoss. Erzbischof Cornelius Fontem Esua findet überraschend deutliche Worte: "Die Armee ist ein Symbol für Folter und Tod", sagt er. "Sie nehmen Menschen fest, foltern, zünden Häuser an. Das macht die Armee – nicht die Amba-Boys."

Kamerun in der Krise

Die Amba-Boys, damit meint der Erzbischof die Separatisten, die für die Unabhängigkeit ihres eigenen Staates kämpfen: Ambazonien. Die Wurzeln dieses Konflikts reichen zurück in die Zeit der Staatsgründung in den 1960er Jahren. Damals wurde aus einem französischsprachigen und einem englischsprachigen Mandatsgebiet das unabhängige Kamerun. Offiziell gibt es seitdem zwei Amtssprachen, zwei Bildungssysteme, zwei Rechtssysteme. Doch in der Realität fühlt sich die Minderheit im anglophonen Westen Kameruns seit Jahren unterdrückt und benachteiligt.

Er wirft der Armee gravierende Menschenrechtsverletzungen vor: Erzbischof Cornelius Fontem EsuaBild: DW/A. Kriesch

Anfang 2016 gingen zunächst Anwälte auf die Straße, später Lehrer und Mitglieder der Zivilgesellschaft. Der Staat reagierte mit harter Hand – mindestens sechs Menschen starben, dutzende wurden verhaftet und die Regierung verhängte eine dreimonatige Internetblockade für die gesamte Region. Daraufhin gründeten sich mehrere bewaffnete Widerstandsgruppen. Mit Jagdgewehren und Macheten kämpfen sie seither gegen das kamerunische Militär, das zum Teil von amerikanischen und israelischen Spezialeinheiten ausgebildet wurde. 400 Zivilisten sind laut Amnesty International allein dieses Jahr ums Leben bekommen. Gegen beide Kriegsparteien gibt es Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen. 

Umstrittene Präsidentschaftswahlen

Angst und Schrecken bestimmen mittlerweile den Alltag in der einstigen Wirtschaftsmetropole Bamenda. Soldaten patrouillieren, fordern an Checkpoints oft Schmiergeld von Anwohnern. Seit Tagen liegt eine Leiche auf offener Straße, ein vom Militär getöteter Separatist. Niemand traue sich, sie zu beerdigen, berichten Anwohner - aus Angst vor den Soldaten.

Bamenda: Früher Wirtschaftszentrum, jetzt im Krisengebiet Bild: DW/A. Kriesch

Seit fast zwei Jahren gibt es als Protest gegen die Regierung jeden Montag einen sogenannten Geisterstadt-Tag. Fast alle Geschäfte bleiben dann geschlossen. Die Verkäuferin Joya zieht deshalb am späten Sonntagnachmittag mit ihrer Schubkarre lautstark über die Straßen und preist ihre Pflaumen an. "Ein Beutel Pflaumen kostet normalerweise 200 Franc. Jetzt verkaufe ich sie für 100, später dann für 50. Wenn ich sie heute nicht verkaufe, werden sie schlecht", sagt sie. "Morgen kann ich ja nicht verkaufen. Es läuft nicht gut hier. Viele Leute sind längst weg, die Stadt ist leer."

Viele hier machen Kameruns Präsident Paul Biya für die Lage verantwortlich, der das Land seit 36 Jahren regiert. Anfang Oktober ging der 85-Jährige bei den Präsidentschaftswahlen erneut als Sieger hervor, obwohl in weiten Teilen des Landes überhaupt nicht gewählt werden konnte. Im Norden kämpft noch immer die islamistische Terrorgruppe Boko Haram, im Westen blieben wegen des Konflikts zwischen Regierung und Separatisten die meisten Wahllokale geschlossen. Wahlkampftermine hatte Biya im anglophonen Teil des Landes keinen einzigen. In Bamenda, immerhin die drittgrößte Stadt des Landes, war er zuletzt vor acht Jahren.

Wenig Dialogbereitschaft vonseiten der Regierung

Kamerunische Offizielle sprechen selten mit der Presse über die Krise im anglophonen Teil des Landes. Wir fahren trotzdem zum Büro des Gouverneurs der Nord-West Region – und haben Glück. Deben Tchoffo ist ein Vertrauter des Präsidenten und ist bereit mit uns zu sprechen. In seinem Empfangszimmer hängt eine Bildmontage von Präsident Biya neben einem Löwen in Militäruniform. Darunter steht: "Finger weg von Kamerun."

Deben Tchoffo, Gouverneur der Nord-West Region Kameruns, sagt die Situation sei unter KontrolleBild: DW/A. Kriesch

Unsere Fragen mussten wir vorab einreichen, doch kurz bevor Tchoffo den Raum betritt, wird uns mitgeteilt, dass wir nur die erste Frage stellen dürfen. Also führt der Gouverneur einen kurzen Monolog über die Sicherheitslage: Die Wahlen seien gut gelaufen, die Situation in der gesamten Region sei unter Kontrolle. Wir versuchen nachzufragen, was er zu den Beschuldigungen gegen das Militär sagt. "Die Menschenrechtsverletzungen werden wir nach Recht und Gesetz aufarbeiten", sagt er, steht auf und geht. Fragen zum Tod von Gerard Akiata sind ebenfalls nicht mehr möglich.

Bundestag debattiert über Kamerun

Der Termin bei Gouverneur Tchoffo zeigt die mangelnde Dialogbereitschaft der Regierung, die auch der Erzbischof von Bamenda immer wieder beklagt. Cornelius Fontem Esua fordert eine komplette Amnestie und dann Gespräche zwischen den Krisenparteien, damit die "sinnlose Gewaltspirale" ein Ende hat. Auch das Ausland könne dabei mit Druck auf die Regierung helfen – doch bisher sei das kaum geschehen.

Im deutschen Bundestag wurde zwar vergangene Woche immerhin über die Lage in Kamerun diskutiert. Oppositionspolitiker sprachen von Staatsterrorismus und einem Präsidenten, der monatelang im Ausland "ganze Stockwerken von Fünfsterne-Hotels" belegt. Selbst Mitglieder der Großen Koalition nahmen dabei Worte wie schlechte Regierungsführung, Vetternwirtschaft und Korruption in den Mund. Doch der Antrag für mehr deutsches Engagement bei der Eindämmung der Krise in Kamerun wurde letztendlich abgelehnt.

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