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Sita Mazumder will keine 170 Jahre warten

Kolja Unger
27. September 2018

Die Frauenquote wirkt - aber nur sehr schwach. Noch immer haben es Frauen deutlich schwerer als Männer in Aufsichtsräte und Vorstände aufzusteigen. Das Placement-Programm "Boardpilot" unterstützt sie nun dabei.

Sita Mazumder, Unternehmerin, IT-Professorin und Verwaltungsrätin
Bild: privat

Ein Meetingraum in der Schweiz. Ein paar Stühle, ein riesiger Monitor, eine Couch. Auf der sitzt Sita Mazumder mit Headset vor ihrem Laptop.

Sita Mazumder arbeitet gern zu jeder Tageszeit, auch am Wochenende. Sie ist Unternehmerin, IT- und Wirtschafts-Professorin und Mitglied in zahlreichen Verwaltungsräten. Mit ihren indischen und französisch-schweizerischen Wurzeln ist sie für alle Gremien, die Wert auf Diversity legen, "ein Multipack-Einkauf", wie sie gerne scherzhaft feststellt.

170 Jahre bis zur Gleichberechtigung

Mazumder möchte "etwas von innen bewegen. In Bezug auf Heterogenität und Innovationen." Dass zwischen der Zusammensetzung von operativen Gremien und ihren Leistungen ein wichtiger Zusammenhang besteht, zeigt auch eine Studie der Boston Consulting Group. Je vielfältiger Management-Teams sind, umso innovativer sind ihre Dienstleistungen, Produkte und umso höher ihre Gewinne.

Der notwendige Kulturwandel lässt allerdings auf sich warten. Das World Economic Forum geht von 170 Jahren aus, bis eine ökonomische Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen herrschen wird. Empirisch ist die Ungleichheit tagtäglich spürbar, auch in Deutschland, auch in der Schweiz. Mazumder selbst hat oft genug die Erfahrung gemacht, aufgrund von Vorurteilen gegenüber ihrer Herkunft oder ihres Geschlechts in traditionell denkenden Teams nicht ernst genommen zu werden.

Mehr Effort gefordert, als bei männlichen Kollegen

"Man hat mir schon ins Gesicht gesagt: 'Du bist so eine junge nette Frau, die man gerne um sich hat'". Nur ihre Positionen und ihre Perspektiven werden dann gerne mal übersehen. "Ich denke konsequent vom Kunden her und was das für den Business-Case in der zunehmend digitalisierten Welt bedeutet." Damit "die junge, nette Frau" auch Gehör findet, muss sie allerdings "mehr Effort betreiben", um sich gegen ihre männlichen Kollegen durchzusetzen.

Mazumder ist an diesen zusätzlichen Anforderungen gewachsen. Sie hat sich eine Stimme erarbeitet. Jetzt möchte sie einen Schritt weiter gehen und ihr Können wie auch ihre Erfahrungen in den Aufsichtsrat eines börsennotierten, international agierenden Unternehmens tragen. Zum Beispiel in Deutschland oder Frankreich.

Hier hätte sie als Frau auch eine reale Chance, anders als in der Geschäftsführung. Der Frauenanteil in den Vorständen der 200 größten deutschen Unternehmen liegt bei gerade mal 12 Prozent. Das ist halb so viel wie in den USA. Die schwedisch-deutsche Allbright Stiftung hat vergangenes Jahr ermittelt, dass es unter den Geschäftsführern großer deutscher Unternehmen dreimal so viele Männer mit Namen Thomas gibt, wie Frauen insgesamt. Das häufigste Argument: Es gäbe nicht genügend geeignete Kandidatinnen.

Die Quote wirkt – die Übertragungswirkung bleibt aus

An der Qualifikation kann es allerdings nicht liegen. "Frauen haben in der Ausbildung aufgeholt", sagt Elke Holst, Forschungsdirektorin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. "Die objektiven Voraussetzungen, um in Führungsposition aufzusteigen, wie z.B. ein Hochschulabschluss sind mittlerweile gleich."

Holst beschäftigt sich seit Jahren mit der Entwicklung von Frauen in Führungspositionen und hat auch die 2016 eingeführte Frauenquote auf ihre Wirksamkeit hin untersucht. Ihr Ergebnis: "Die Quote wirkt - allerdings nur in den oberen Aufsichtsräten." Seit ihrer Einführung wurden in 160 börsennotierten Unternehmen 86 Aufsichtsratsposten mit Frauen neu besetzt. Die erhoffte Übertragungswirkung auf Vorstände und die oberen Führungsetagen, ebenso wie auf nächstgrößere Unternehmen, blieb bislang aus.

Rahmenbedingungen und Kulturwandel

Elke Holst ist es wichtig zu betonen, dass die Quote auch in eine stimmige Familien- und Arbeitspolitik "aus einem Guss" eingebettet werden muss. "Männern und Frauen sollten mehr Anreize geboten werden, Familie und Beruf geschlechterunspezifisch aufzuteilen."

Auch innerhalb der Unternehmen gibt es Änderungsbedarf, damit Männer wie Frauen, "sich nicht mehr zwischen Familie und Beruf entscheiden müssen", so Holst. Schließlich wachse ja eine Generation an Männern heran, für die Verdienst gar nicht mehr so wichtig ist, die ihre Kinder auch aufwachsen sehen möchte. Daher sind gerade "im Wettbewerb um die hochqualifizierten Nachwuchskräfte Unternehmen viel attraktiver, die ihren Beschäftigten mehr Zeitsouveränität einräumen", sagt sie und prognostiziert: "Das wird auch allein schon wegen der Digitalisierung kommen."

Die gläserne Decke und ihre Wirkungsweisen

Solche Entwicklungen reichen aber meistens nur bis ins mittlere Management. "Hier stoßen Frauen an eine gläserne Decke, die ihnen die letzten Schritte in die Unternehmensführung verwehrt", sagt Holst. Sita Mazumder kann beispielsweise von einer Kollegin berichten, die für eine höhere Leitungsfunktion vorgesehen war. "Als sie schwanger wurde, hat man die Stelle jemand anders gegeben, um sie nicht zu belasten. Dabei hatte sie nach den vier Monaten Mutterschutz nicht mal ihr Pensum reduziert."

Sogenannter "gender bias", also eine Voreingenommenheit und damit zusammenhängende Karrierebrüche betreffen aber auch Frauen, die keine Kinder bekommen. "Sie bekommen nicht die tollen Jobs oder Projekte, weil sie ja potenziell ein Kind bekommen könnten", beschreibt Holst das Vorurteil. "Und wenn sie sich mit über 40 Jahren nicht hochgearbeitet haben, wird  ein weiteres Vorurteil bestätigt: Frauen seien nicht so zielstrebig."

Umso mehr gilt es für Frauen wie Sita Mazumder "sich zu zeigen" und, was Holst darüber hinaus rät, "sich selbst in den Kreis derjenigen zu bringen, die entscheiden, wer aufsteigt."

Strategien "für die letzten zehn Meter": Clarissa-Diana WilkeBild: Privat

Weg von der Picknickdeckenkultur

Eine Möglichkeit dies zu tun, bietet die Deutsche Gesellschaft für Frauen in Führungspositionen, Women's Boardway. Hier werden Frauen, die Führungspositionen anstreben mit Schlüssel-Persönlichkeiten aus der Branche zusammengebracht. "Mir ist es wichtig, das Thema Chancenfairness voranzubringen", sagt Clarissa-Diana Wilke. Die Gründerin und Geschäftsführerin der Plattform versteht sich als Netzwerkerin. Sie ist selbst Mitglied in diversen Boards und Netzwerken für Frauen im Management. Ausgehend von den ihr dort zugetragenen Geschichten hat sie Strategien "für die letzten zehn Meter" entwickelt. Damit hofft sie eine Angebotslücke für Mandatsanwärterinnen zu schließen, die trotz diversen Coaching- und Vernetzungsangeboten klafft.

Gerade in den Frauennetzwerken sei oft versucht worden, sich aus einem Unrechtsempfinden heraus zu einem politischen Kampf zusammenzufinden. Eine meist nicht gerade erfolgreiche Strategie, wie Wilke befindet: "Sich kollegial auszutauschen ist wichtig. Aber wenn es diesen Picknickdeckencharakter bekommt mit einer verdeckten Hierarchie, dann ist es kontraproduktiv."

Auch "die x-te Weiterbildung" gehe an dem Bedürfnis der Frauen vorbei, die eine Führungsposition anstreben. Sie seien für diese meistens schon ausreichend qualifiziert. "Wir brauchen  informelles Wissen", sagt Wilke "Das sind die vielen kleinen ungeschriebenen Codes, die sich auf der mikropolitischen Ebene abspielen, und wir brauchen gezielte Zugänge in die Board-Community."

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Der Boardpilot

Gemeinsam mit dem Deutschen Institut der Aufsichtsräte hat sie den Boardpiloten entwickelt. Das Positionierungs- und Placementprogramm richtet sich an Frauen und Männer, die in ein Spitzenmandat aufsteigen oder wechseln wollen, Menschen wie Sita Mazumder. Sie ist eine der ersten Teilnehmerinnen. In mehreren Modulen, hauptsächlich bestehend aus jeweils 90-minütigen Webinaren und persönlichen Treffen, hat sie mit Placement-Experten eine persönliche Strategie entwickelt. "Es hat mich überrascht, wie viel mir das an Schärfung gebracht hat. Ich habe jetzt Hausaufgaben wie Lebenslauf überarbeiten, Aleinstellungsmerkmale ausarbeiten, wenn ich das hab, geht es an die gezielte Direktsuche vakanter Posten."

Über die Webinare hinaus wird den Teilnehmenden auch angeboten, echte Problemlösungen für externe Firmen zu übernehmen, etwa "eine gute Nachfolgeregelung für ein Familienunternehmen zu finden oder die passende Digitalisierungsstrategie zu entwickeln", sagt Wilke.

Sita Mazumder fühlt sich nach dem Boardpiloten noch besser vorbereitet. "Ich bin positiv, dass effektiv ein Placement erfolgen wird."

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Eine gute Durchmischung

Und wenn sie es schafft? Natürlich kann man dann sagen, "nur eine Quotenfrau mehr". Allerdings wäre es auch eine Führungskraft mehr, die um die Notwendigkeit von Diversität weiß. Die einen Kulturwandel anstrebt und auch Ahnung hat, wie man diesen befördert. Die hart verhandelt, nicht zuletzt für weichere Unternehmenshierarchien.

Anders als eine frühere Vorgesetzte, möchte sie andere Frauen nicht ausbremsen, im Gegenteil: "Wenn ich jemandem Türen öffnen kann, Frau oder Mann, dann mach ich das gerne, wir müssen das machen, was für die Wirtschaft und Gesellschaft am besten ist und das ist eine gute Durchmischung."

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