1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Skandal-Premiere "Nurejew" im Bolschoi

9. Dezember 2017

Im Sommer sagte das Bolschoi das Tanzstück von Starregisseur Serebrennikow kurzfristig ab - ein kulturpolitischer Skandal. Nun kam das Ballett doch auf die Bühne. Allerdings ohne Regisseur. Der hat Hausarrest.

Filmstill DW-Dreh Nureev Generalprobe im Bolschoi-Theater Moskau
Bild: DW

Als Bolschoi-Direktor Wladimir Urin gefragt wird, ob nach zwei Premiere-Vorstellungen an diesem Wochenende weitere "Nurejew”-Abende folgen, klingen seine Worte nicht gerade überzeugend. Ja, das Stück werde später in den Spielplan übernommen. Wirklich? Daran darf gezweifelt werden.

Immerhin wagt das Bolschoi die Inszenierung des Regisseurs Kirill Serebrennikow überhaupt auf die Bühne zu bringen. Eine Inszenierung, die man als "zensiert” im Sommer bereits abgehakt hat. Eine Inszenierung, die einen Haufen Geld, Zeit, Nerven und nicht zuletzt Herzblut ihrer Macher kostete. Eine Inszenierung, die angeblich auf Raten der Obrigkeit der Russisch-Orthodoxen Kirche nur zwei Tage vor der Premiere im Juli diesen Jahres mit einem riesen Tam-Tam abgesagt wurde. Eine Inszenierung, die Russlands bekanntester Theaterregisseur Kirill Serebrennikow einstudierte, aber nicht zu Ende bringen durfte. Serebrennikow steht immer noch unter Hausarrest. Der Vorwurf: Veruntreuung von Staatsgeldern.

Das Leben des russischen Tänzers Rudolf Nurejew steht im Mittelpunkt des BallettsBild: DW

"Nurejew" ist das mutigste Stück

Ein paar tausend Zuschauer werden das Stück aber trotzdem sehen. Sie dürfen sich glücklich schätzen. Denn "Nurejew" ist womöglich das Mutigste, was das Bolschoi je auf die Bühne brachte. Und womöglich das politischste Werk, das dieses wichtigste Theater Russlands je wagte. Zum ersten Mal wird auf der Staatsbühne nicht nur das großartige Schaffen und die spektakuläre Flucht eines der bekanntesten Tänzer Russlands, Rudolf Nurejew, (1938-1993) thematisiert, sondern auch seine Liebe. Die Liebe zu einem anderen Mann. Eine schwule Liebe. Zum ersten und wahrscheinlich auch letzten Mal kommt sie an diesem Wochenende (09.12. bis 10.12.) auf die Bühne.

Denn wer sich in Russland in Anwesenheit von Minderjährigen positiv über Homosexuelle äußert, macht sich strafbar. Dafür gibt es das berüchtigte Gesetz gegen die sogenannte Schwulenpropaganda.

Ballettänzer Rudolf Nurejew im Jahr 1989Bild: picture-alliance/Russian Look/Photoagency Interpress

Diese Liebe Nurejews zu einem dänischen Tänzer wird sehr rührend und zugleich zurückhaltend getanzt. Sie steht nicht im Zentrum des Balletts, aber sie ist eben da. Genauso übrigens wie auch andere Aspekte des Lebens eines großartigen russischen Ausnahmekünstlers. Nach einem Gastspiel seiner Leningrader Truppe, des Kirow-Balletts in Paris, wo Rudolf Nurejew amoralische Kontakte zu Vertretern des Westens vorgeworfen wurden, beschließt der Tänzer nie wieder in die Sowjetunion zurückzukehren. Er findet seine Freiheit im Westen. In Paris und Kopenhagen, in London und New York.

Russische Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln

Die Zuschauer erwarten drei wunderbare Stunden einer vielschichtigen, intelligenten und sehr komplexen Inszenierung eines jungen Dreier-Teams: des Regisseurs Kirill Serebrennikow, des Choreographen Jurij Posochow und des Komponisten Ilja Demuzkij. Drei biographische Stunden, die nicht chronologisch erzählt werden, sondern als Versatzstücke mal aus dem zaristischen, mal aus dem sowjetischen Russland, mal aus dem Westen und mal aus dem Himmel erzählt werden. Zusammengehalten wird das Ganze durch eine Auktion der persönlichen Gegenstände des Ballett-Stars. Eine Versteigerung, die wie eine Verscherbelung wirkt. Eine Verscherbelung des Erbes eines Mannes, auf den seine Heimat nicht stolz sein wollte.

Igor Zwirko spielt die Rolle von Rudolf NurejewBild: DW/E. Ibragimova

Kirill Serebrennikow darf seine Wohnung nicht verlassen

Bei der Pressekonferenz im Vorfeld der Premiere äußerten die Macher ihre große Hoffnung, dass "Nurejew" vor allem als Kunstwerk und nicht als Skandal wahrgenommen wird. Das ist verständlich und wird der wirklich spannenden Inszenierung eines wirklich außergewöhnlichen Regisseurs nur gerecht. Allerdings ist Kirill Serebrennikow bei der Generalprobe nicht dabei. Er durfte seine Wohnung in Moskau nicht einmal für einen Abend verlassen. Zwar beteuern sowohl Bolschoi-Direktor Wladimir Urin, als auch seine Tänzer, die nacheinander vor die Presse treten, dass nach dem Juli-Eklat nichts an Serebrennikows Lesart verändert wurde. Trotzdem bleibt der Gedanke an einen Künstler, der sich gezwungen sieht, seine Heimat zu verlassen, die ganze Zeit im Kopf. Dieser Gedanke ist das Leitmotiv des Balletts. "Dieses Land ehrt seine Helden nicht" - beklagt an einer Stelle der omnipräsente Erzähler im Stück. Wiederholt sich die Geschichte: gestern Nurejew, morgen Serebrennikow?

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen