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Deutsche Skepsis bei Zuwanderung nimmt ab

16. Februar 2022

Die Willkommenskultur für Flüchtlinge und Migranten hat sich seit der deutschen Fluchtdebatte im Jahr 2015 verbessert. Vorbehalte bleiben, das zeigt eine Studie der Bertelsmann Stiftung.

Auf einem Bahnsteig steht ein lächelnder Mann mit einem kleinen Kind auf dem Arm, zwei Jugendliche Deutschland stehen neben ihm
Diese Geflüchteten erreichten Anfang September 2015 den Bahnhof von MünchenBild: Joerg Koch/AA/picture alliance

Was Willkommenskultur bedeutet, das weiß Christian Osterhaus nur zu gut. Als 2015 hunderttausende Schutzsuchende nach Deutschland kamen, war er einer der ersten, der eine lokale Flüchtlingshilfe mitgründete.

"Wir wollten die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen", sagt er der DW, sondern durch ein Willkommenheißen der Geflüchteten, "einen Impuls setzen, dass wir nicht wieder ausgrenzen". Mit rund 30 Mitstreitern engagierte sich Osterhaus im Herbst 2015 in Bonn. Intensiv kümmerte sich die Gruppe um 40 bis 50 Geflüchtete; die meisten kamen aus Syrien.

Engagiert sich schon lange zivilgesellschaftlich: Christian OsterhausBild: DW/Oliver Pieper

So wie Osterhaus halfen damals Hunderttausende in Deutschland, die vielen Menschen aus dem Bürgerkriegsland Syrien und anderen Herkunftsländern in Deutschland aufzunehmen und zu integrieren. "Wir wollten diesen Menschen ein Stück Heimat geben", sagt Osterhaus rückblickend.

Das Engagement der Menschen ging als Willkommenskultur in die Geschichte Deutschlands ein. Doch in den Jahren 2015 und 2016 gab es auch Menschen, die wenig Verständnis für diese Haltung hatten, die Geflüchtete und Migranten nicht aufnehmen wollten.

Mehr Menschen sehen die Vorteile von Migration

In ihrer repräsentativen Studie "Willkommenskultur zwischen Stabilität und Aufbruch" hat die gemeinnützige Bertelsmann Stiftung sich genauer mit den Veränderungen bei der Willkommenskultur auseinandergesetzt und einen Trend feststellen können: Die Deutschen sind in Bezug auf Migration und Zuwanderung optimistischer als noch vor Jahren.

"Im Kern zeigt unsere Umfrage, dass skeptische Haltungen gegenüber Zuwanderung in Deutschland zwar immer noch verbreitet sind, in den letzten Jahren aber weiter abgenommen haben", sagt Ulrike Wieland, Co-Studienautorin der Bertelsmann Stiftung: "Gleichzeitig sehen heute mehr Menschen die möglichen Vorteile von Migration; vor allem für die Wirtschaft. Bei der Wahrnehmung von Integration zeigt sich, dass mehr Befragte als in den Jahren zuvor Chancenungleichheit und Diskriminierung als bedeutende Hindernisse betrachten."

Hat die Bertelsmann-Studie mitverfasst: Ulrike WielandBild: Kai Uwe Oesterhelweg/Bertelsmann Stiftung

Schon seit 2012 führt die Stiftung repräsentative Befragungen durch, um die Trends genauer zu erfassen. Am Anfang wollten die Forscher vor allem ermitteln, wie die Deutschen über die Zuwanderung von ausländischen Fachkräften denken. Nach der Fluchtdebatte 2015/2016 ging es darum zu ermitteln, wie die Deutschen über Flüchtlinge und Migranten denken.

Mit Blick auf die Folgen von Migration halten sich positive und negative Einschätzungen in etwa die Waage. Die Verlaufskurve zeigt aber, dass sich nach der Fluchtdebatte die Einstellungen allmählich zum Positiven verändert haben.

Heute betrachten viele Zuwanderung als Chance, die demografischen und wirtschaftlichen Probleme Deutschlands anzugehen. So sehen zwei von drei Befragten eine geringere Überalterung, mehr als die Hälfte erhofft sich einen Ausgleich für den Fachkräftemangel und fast jeder Zweite erwartet Mehreinnahmen für die Rentenkasse als positive Folgen der Zuwanderung.

Die Skeptiker wenden ein, dass der deutsche Sozialstaat zusätzlich belastet werde (67 Prozent). Auch die Angst vor Konflikten zwischen "Einheimischen" und Zuwanderern (66 Prozent) und Problemen an den Schulen gehören zu den negativen Zuschreibungen der Zuwanderung.

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Dabei bleibt eine Differenzierung wichtig: Migranten, die gezielt nach einem Beruf oder Studienmöglichkeiten suchen, sind stärker akzeptiert (71 Prozent) als geflüchtete Menschen, die vor allem Schutz außerhalb ihrer Heimatländer suchen (59 Prozent).

Mehr als ein Drittel will keine weiteren Flüchtlinge

Die Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt aber auch deutlich, dass es in Deutschland trotzdem noch viel Skepsis beim Thema Geflüchtete gibt.

In der Bonner Flüchtlingsinitiative von Christian Osterhaus haben sich einige Helfer wegen der zunehmenden gesellschaftlichen Ablehnung abgewandt. "Während wir am Anfang Teil einer gesellschaftlichen Bewegung waren und uns getragen fühlten, arbeiten wir seit Jahren gegen den gesellschaftlichen Mainstream", so beschreibt es Osterhaus der DW.

Zwar hat sich die Toleranz gegenüber Menschen, die ihre Heimat verlassen haben, in den letzten Jahren insgesamt vergrößert. Aber mehr als ein Drittel der Befragten (36 Prozent) ist der Meinung, dass Deutschland keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen könne. 2017 äußerten sich noch 54 Prozent so. Aktuell betrachten 20 Prozent sie als "Gäste auf Zeit", die man nicht integrieren müsse.

Der DW sagte Co-Studienautorin Ulrike Wieland: "Die Ergebnisse der Umfrage können also dahingehend interpretiert werden, dass ein Fünftel der Bevölkerung generell eine skeptische bis ablehnende Grundhaltung hegt und von ihrem Weltbild her der Idee einer (weitgehenden) gesellschaftlichen Abschottung gegenüber Migration anzuhängen scheint."

Sprache ist der Weg in die Integration. Das ist und bleibt ein Grundthema, wenn nach Hindernissen für eine Eingliederung gefragt wird. Das zeigt auch die aktuelle Studie.

Abgesehen davon, dass Menschen mit Migrationshintergrund immer noch eher selten in der Politik, Unternehmensführungen oder in den Medien anzutreffen sind, habe sich eines gezeigt: Bessere Integration braucht neue, bessere Gesetze. Nur so könnten Benachteiligungen bei der Wohnungssuche, bei Behörden oder Schulen ausgeglichen werden, glauben viele Befragte.

Die derzeitige Bundesregierung, die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP, hat bereits Pflöcke eingeschlagen: Sie setzt auf mehr Willkommenskultur. So sollen zum Beispiel abgelehnte Asylbewerber, wenn sie Deutsch lernen und ihren Lebensunterhalt durch eigene Arbeit absichern, schneller die Möglichkeit bekommen, dauerhaft in Deutschland bleiben zu können. Der Familiennachzug soll auf alle Geflüchteten ausgedehnt und der Weg zu einem deutschen Pass erleichtert werden.

Selbstverständnis als Einwanderungsgesellschaft

Grundsätzlich sei das der richtige Weg, sagt Wissenschaftlerin Ulrike Wieland: "Wichtig ist aber auch ein positives Selbstverständnis als Einwanderungsgesellschaft. Hier sind Politik und Zivilgesellschaft gemeinsam gefragt. Sie müssen das weitere Zusammenwachsen in der Vielfalt aktiv gestalten."

Der Mann aus der Praxis, Flüchtlingshelfer Christian Osterhaus, sieht es so: "Ich hatte damals wirklich den Eindruck, dass sich die deutsche Gesellschaft geöffnet und verändert hatte und tatsächlich viel dazugelernt hat." Das Wichtigste für ihn: persönliche Verbindungen und Freundschaften.

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