1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Sklavenhandel in Ostafrika

Silja Fröhlich
22. August 2019

Durch die Sahara oder über den Indischen Ozean: Unzählige Ostafrikaner wurden über viele Jahrhunderte von arabischen Muslimen in den Nahen und Mittleren Osten verkauft. Doch darüber geredet wird zu wenig, sagen Experten.

Sklaverei
Bild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Sansibar gilt heute als das bevorzugte Reiseziel Ostafrikas: weiße Sandstrände, kristallklares Wasser und Hotels, die Touristen aus aller Welt einen Urlaub zum Träumen bescheren. Längst vergessen ist die dunkle Vergangenheit, die das Paradies vor 200 Jahren noch überschattete. Damals galt die Inselgruppe, die heute ein halbautonomer Teilstaat Tansanias ist, als Zentrum des ostafrikanischen Sklavenhandels. Hier gab es auf den bunten Märkten neben wertvollen Rohstoffen wie Elfenbein und begehrten Gewürznelken vor allem eines: Aberhunderte Sklaven.

Von Osteuropa nach Nordafrika

Der Verkauf von afrikanischen Sklaven lässt sich bis zurück in die Antike belegen. Zur Routine wurde er im siebten Jahrhundert unserer Zeitrechnung, als der Islam in Nordafrika erstarkte - sieben Jahrhunderte, bevor die Europäer den Kontinent erforschten, zehn Jahrhunderte, bevor Westafrikaner über den Atlantik nach Amerika verkauft wurden. Bereits damals verkauften arabische Muslime in Nord- und Ostafrika gefangene Afrikaner in den Nahen und Mittleren Osten. Dort arbeiteten sie als Feldarbeiter, Lehrer oder Haremswächter, weswegen die Kastration männlicher Sklaven üblich war. Muslime hingegen - auch afrikanische - durften nach islamischen Rechtsauffassungen nicht versklavt werden.

Afrikaner, die in Ostafrika gefangen wurden, wurden als Sklaven in den Osten verkauftBild: Getty Images/Hulton Archive

"Zuerst holten sich die arabischen Muslime in Ost- und Zentraleuropa weiße Sklaven, um sie nach Arabien zu verkaufen", erklärt der senegalesischstämmige Autor Tidiane N'Diaye im DW-Interview. "Doch die erstarkende militärische Macht Europas beendete die islamische Expansion, und da es nun einen Defizit an Sklaven gab, schauten die arabischen Muslime massiv nach Schwarzafrika."

Sklaverei - kein neues Konzept in Afrika

"Sklaverei existierte in praktisch allen Zivilisationen", erklärt N'Diaye. So auch in Afrika, bevor Siedler von außerhalb kamen: Im zentralen Ostafrika bekriegten Volksgruppen wie die Yao, Makua und Marava einander, ganze Völker im Inneren des Kontinents betrieben Handel mit Menschen, die sie durch Kriege gefangen hatten. So trafen arabische Muslime auf bereits bestehende Strukturen, die den Einkauf von Sklaven für ihre Zwecke erleichterten.

"Sklaverei war Teil verschiedener afrikanischer Kulturen", erklärt Abdulazizi Lodhi, emeritierter Professor für Suaheli und Afrikanische Linguistik an der Universität von Uppsala in Schweden. "Wenn es um den Export ging, waren Stammesafrikaner selbst die Hauptakteure. In vielen afrikanischen Gesellschaften gab es keine Gefängnisse, so dass Menschen, die gefangen wurden, verkauft wurden."

Auf Prison Island, Sansibar, wurden Sklaven vor ihrer Verschiffung gefangen gehaltenBild: picture-alliance/dpa/M. Moxter

Sklavenhochburg Sansibar

Ab dem 17. Jahrhundert nahm der Sklavenhandel in Ostafrika richtig Fahrt auf. Immer mehr Händler aus Oman ließen sich auf Sansibar nieder, die Inseln nahmen wegen des großen Handels an der Suaheli-Küste eine immer wichtigere Rolle im internationalen Warenverkehr - und infolge dessen auch im Sklavenhandel - ein. So entstand der damals größte Sklavenmarkt Ostafrikas.

Wie viele Afrikaner in den Osten und nach Nordafrika verkauft wurden - darüber gibt es nur grobe Schätzungen, die teils weit auseinandergehen. Das hängt auch mit den hohen Verlusten zusammen: Wissenschaftliche Recherchen kommen zu dem Schluss, dass etwa drei von vier Sklaven starben, noch bevor sie auf dem Markt ankamen, auf dem sie verkauft werden sollten. Ursachen waren Hunger, Krankheit oder Erschöpfung nach langen Reisen. Autor N'Diaye geht von 17 Millionen Afrikanern aus: "Die meisten Menschen haben immer noch den so genannten transatlantischen Handel der Europäer in die Neue Welt im Blick. Aber in Wirklichkeit war die arabisch-muslimische Sklaverei viel größer: acht Millionen Afrikaner wurden aus Ostafrika über die Trans-Sahara-Route nach Marokko oder Ägypten gebracht. Weitere neun Millionen wurden in Regionen am Roten Meer oder dem Indischen Ozean deportiert."

Ein Sklavenmarkt auf Sansibar, auf einer Darstellung von 1878Bild: picture-alliance/dpa/K. Welsh

Das Gewürz der Sklaven

Eine Zahl, die Lodhi nicht nachvollziehen kann. "17 Millionen? Wie soll das funktionieren, wenn die Gesamtbevölkerung Afrikas damals möglicherweise nicht einmal 40 Millionen betragen hat? Diese Statistiken wurden nicht damals erhoben." Und alte Berichte seien teils methodisch zweifelhaft: So habe David Livingston, ein schottischer Missionar und Afrikaforscher, errechnet, dass jährlich 50.000 Sklaven auf den Märkten Sansibars worden seien. "Nicht einmal heute könnten 50.000 Menschen auf Sansibar leben. Die Zahlen haben weder Hand noch Fuß," so der tansanische Professor.

Längst nicht alle Sklaven wurden nach Ägypten oder Saudi-Arabien gebracht. Ab 1820 kultivierten omanische Siedler auf Sansibar Nelken, um die wachsende Nachfrage auf dem Weltmarkt zu bedienen. Schnell entstanden große Plantagen, Sklaven konnten günstig auf dem nahen Sklavenmarkt erworben werden. Von 1839 bis 1860 stieg die Menge exportierter Nelken laut dem US-amerikanischen Historiker Frederick Cooper von 565 auf 12.600 Kilogramm. Sansibars Charakter änderte sich: vom Zentrum des Sklavenhandels zu einem Zentrum der Sklavenhaltung, das berüchtigte Figuren hervorbrachte wie den sagenumwobenen Sklavenhändler Tippu-Tip.

Das Ende der Sklaverei?

Ende August 1791 begann im heutigen Haiti und der heutigen Dominikanischen Republik ein Sklavenaufstand, der die Abschaffung des transatlantischen Sklavenhandels, des Sklavenwesens und des Kolonialismus in Afrika maßgeblich vorantrieb. Doch erst 1873 unterzeichnete Sultan Seyyid Barghash von Sansibar unter dem Druck Großbritanniens einen Vertrag, der den Sklavenhandel in seinen Herrschaftsgebieten endgültig illegal machte - allerdings wurde auch dieser zunächst nicht effektiv durchgesetzt. Erst 1909 wurde die Sklaverei in Ostafrika endgültig abgeschafft.

Im Dezember 2017 protestierten Diaspora und Organisationen in Pretoria gegen den Sklaven- und Menschenhandel in LibyenBild: Getty Images/AFP/G. Khan

Von einem tatsächlichen Ende könne allerdings keine Rede sein, so Autor N'Diaye: "Heute leben schätzungsweise noch immer fast 40 Millionen Menschen weltweit in Sklaverei." In Afrika seien es Hunderttausende. "In Mauretanien sagen sie, sie haben die Sklaverei abgeschafft, aber in Wirklichkeit hat sich die Situation in Nordafrika nicht wesentlich verändert. Junge Menschen werden gegen ihren Willen versklavt, müssen Zwangsarbeit leisten und werden sexuell ausgebeutet." Aus Libyengebe es Berichte über organisierte Sklavenmärkte, auch in Tansania sei vor einigen Jahren ein Fall von Sklaverei aufgedeckt worden, so Lodhi: "Man fand eine Mine in einer abgelegenen Gegend, wo 50 bis 60 Jungen zur Arbeit gezwungen wurden. Sie wurden nicht bezahlt und lebten in einem Camp, das von Bewaffneten bewacht wurde."

Die Auswirkungen der Sklaverei, die es in Ostafrika gab, seien heute nicht so stark zu sehen wie die schweren wirtschaftlichen Folgen der Kolonialisierung Afrikas durch den Westen, so N'Diaye. "Die Wirtschaft vieler dieser Länder wird auch heute noch durch den Westen dominiert, und das diskutieren afrikanische Intellektuelle." Doch N'Diaye fordert, dass auch offen über das gesprochen werden müsse, was über Jahrhunderte hinweg in Ostafrika geschah. "Die meisten der afrikanischen Autoren haben bisher aus religiöser Solidarität kein Buch über den arabisch-muslimischen Sklavenhandel veröffentlicht. Es gibt 500 Millionen Muslime in Afrika, und da schiebt man lieber dem Westen die Schuld zu, als über die vergangenen Verbrechen der arabischen Muslime zu reden", kritisiert N'Diaye.

Silja Fröhlich Redakteurin, Reporterin und Moderatorin
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen