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PolitikSlowakei

Slowakei: Auf dem Weg ins prorussische Lager?

12. Juni 2023

In der Slowakei könnte die Opposition unter Führung des Ex-Premiers und Nationalisten Robert Fico die vorgezogene Wahl im September gewinnen. Dann würde das Land wohl einen prorussischen, antiwestlichen Kurs einschlagen.

Slowakischer Ex-Regierungschef Fico
Der slowakische Ex-Premier Robert Fico, hier im Dezember 2021Bild: Jaroslav Novák/TASR/dpa/picture alliance

Die Slowakei gehört zusammen mit Polen, der Tschechischen Republik und den baltischen Staaten zu den größten Unterstützern der Ukraine in ihrem Kampf gegen den russischen Aggressor. Das Fünf-Millionen-Land hat die Ukraine mit fast allem versorgt, was die kleine und nicht besonders gut ausgerüstete slowakische Armee Kiew zur Verfügung stellen konnte. Außerdem nahm die Slowakei zu Beginn der russischen Aggression hunderttausende ukrainische Flüchtlinge auf, auch wenn viele von ihnen später nach Tschechien, Deutschland oder Österreich gingen.

Doch die nahezu uneingeschränkte Solidarität der Slowakei mit der Ukraine könnte bald enden. Im September 2023 findet im Land eine vorgezogene Parlamentswahl statt. Favorit ist die Partei SMER-SD (Richtung Sozialdemokratie) unter der Führung des Ex-Premiers Robert Fico. Nominell Sozialdemokrat, ist er faktisch ein Nationalist, der häufig stark rechtskonservative Ansichten vertritt und in vielerlei Hinsicht dem ungarischen Premier Viktor Orban ähnelt. Ebenso wie Orban hat sich Fico seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine offen antiukrainisch und prorussisch geäußert. Sollte SMER-SD die Wahl gewinnen, hätte Viktor Orban erstmals im Kreis der Visegrad-Staaten einen Verbündeten.

Die slowakische Staatspräsidentin Zuzana Caputova bei einem Besuch in der Ukraine im Mai 2022Bild: Kancelária Prezidenta Sr/TASR/dpa/picture alliance

Ebenfalls in der Favoritenrolle ist eine weitere sozialdemokratische Partei, HLAS (Stimme), angeführt vom Ex-Premier Peter Pellegrini, der einst selbst Mitglied in der Fico-Partei war. Pellegrini galt früher als williger Handlanger Ficos, auch wenn er selbst nicht in die Korruptionsaffären hochrangiger SMER-Politiker verstrickt schien. Heute steht er außenpolitisch eher für einen Schlingerkurs, eine Zusammenarbeit mit seinem einstigen Mentor Fico hat er nicht ausgeschlossen.

Regierung versus Öffentlichkeit

Bisher gehört die Slowakei zu den Ländern, die in der EU auf eine massive Unterstützung der Ukraine drängten. Mehr noch: Sie war eines der ersten NATO-Länder, das der Ukraine im vergangenen Jahr ein Flugabwehrsystem, das sowjetische S-300, zur Verfügung stellte. In diesem Frühjahr übergab die Slowakei zudem ihre gesamte Kampfjet-Flotte, dreizehn MiG-29, an die Ukraine. Den Schutz ihres Luftraums überließ das Land Tschechien, Ungarn und Polen, eine deutsche NATO-Einheit mit einem Patriot-System sorgt für die Raketenabwehr.

Das Patriot-Raketenabwehrsystem im zentralslowakischen Ort SliacBild: David Ehl/DW

Doch während alle vier Regierungen, die in den vergangenen dreieinhalb Jahren amtierten, eindeutig proukrainisch und prowestlich eingestellt waren, hat sich die Stimmung in der slowakischen Öffentlichkeit im letzten Jahr deutlich zugunsten Russlands gedreht. Laut einer aktuellen Globsec-Meinungsumfrage, die in acht mittel- und osteuropäischen EU-Ländern durchgeführt wurde, haben die Slowaken die am stärksten prorussisch und antiwestlich ausgeprägte Haltung in der untersuchten Region.

Vertrauensmangel, Fehlinformationen

Nur 40 Prozent der Slowaken sehen Russland als Schuldigen für den Krieg gegen die Ukraine. Hingegen sagen 34 Prozent, dass die russische Aggression vom Westen provoziert wurde. Zudem sind mit 76 Prozent die meisten Slowaken in der Region entschieden gegen Russland-Sanktionen, 69 Prozent lehnen Militärhilfe für die Ukraine ab.

Slowakische Soldaten helfen ukrainischen Flüchtlingen im Grenzort Vysne Nemecke am 4.03.2022Bild: Darko Vojinovic/AP photo/picture alliance

"Die Slowakei zeigt, wohin es führt, wenn mehrere Faktoren zusammenkommen: Vertrauensmangel in Institutionen, eine Gesellschaft, die dazu neigt, Fehlinformationen zu glauben, und mächtige politische Akteure, die die Frustrationen und Ängste der Gesellschaft zu ihrem Vorteil nutzen können", sagt Katerina Klingova vom Globsec Centre for Democracy and Resilience, das die Studie Ende Mai vorstellte.

Ungelöste Korruptionsskandale

Vor allem der Vertrauensmangel der Gesellschaft in den Staat sitzt in der Slowakei tief. Im Februar 2018 wurden der Investigativjournalist Jan Kuciak und seine Lebensgefährtin Martina Kusnirova ermordet, mutmaßlich im Auftrag des schwerkriminellen slowakischen Geschäftsmanns Marian Kocner, der wegen anderer Delikte bereits eine langjährige Haftstrafe verbüßt.

Gedenken für den ermordeten Journalisten Jan Kuciak und seine Lebensgefährtin Martina Kusnirova am 21.02.2019 in der slowakischen Hauptstadt BratislavaBild: Mikula Martin/dpa/picture alliance

Zwar mussten der zum Mordzeitpunkt amtierende Premier Robert Fico und seine Regierung zurücktreten. Im Jahr 2019 wählte das Land mit Zuzana Caputova eine progressive Staatspräsidentin, die sich als Anti-Korruptions-Aktivistin einen Namen gemacht hatte. Im Jahr darauf kam nach der Parlamentswahl eine liberal-konservative Koalition an die Macht. Doch sie war fast von Anfang an tief zerstritten und konnte viele Reformen nicht durchsetzen, zahlreiche Korruptionsskandale in Justiz und Polizei blieben ungelöst.

Slowakei als Ziel russischer Desinformationen

Seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine machen Fico und SMER systematisch Stimmung gegen die Solidaritätspolitik der Regierung unter Ministerpräsident Eduard Heger und seines Nachfolgers Ludovit Odor, der bis zur Neuwahl als Übergangspremier amtiert. "Wahrscheinlich hat kein europäisches Land eine so starke prorussische Desinformationskampagne erlebt wie die, die in der Slowakei im Gange ist", sagt der slowakische Politologe Grigorij Meseznikov der DW über die Situation im Land.

Der slowakische Oppositionspolitiker Peter PellegriniBild: Vaclav Salek/CTK/IMAGO

In den Umfragen rangiert SMER derzeit vorn, gefolgt von HLAS. Ihr Vorsitzender Peter Pellegrini grenzt sich zwar nominell von der prorussischen Kampagne seiner früheren Parteifreunde ab. Die Ukraine müsse unterstützt werden, weil ihre territoriale Integrität verletzt sei, sagt er der DW. Aber er schränkt ein: "Wir haben immer davon gesprochen: Wenn die Regierung der Ukraine helfen will, muss sie dem slowakischen Volk doppelt helfen."

Angesichts eines möglichen Wahlsiegs von Fico warnt inzwischen selbst die sonst eher um Neutralität bemühte slowakische Präsidentin Zuzana Caputova nachdrücklich vor einer Veränderung der slowakischen Ausrichtung weg vom Westen und hin zu Moskau. "Die slowakische Haltung", sagte Caputova kürzlich in einem Interview mit dem Magazin Politico, "könnte der Außenpolitik Viktor Orbans ähnlicher werden."

Lubos Palata Korrespondent für Tschechien und die Slowakei, wohnhaft in Prag