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Politik

Slowakei: Hat die EU zu lange weggesehen?

Barbara Wesel
15. März 2018

In der Slowakei kommt eine neue Regierung, aber die Protestbewegung will weiter auf die Straße gehen. Die EU hat die massive Korruption zu lange ignoriert. Aber sollte sie sich stärker einmischen?

Slowakei Ministerpräsident Robert Fico
Bild: Getty Images/AFP/V. Simicek

Die Krisen-Delegation der EU ist zurück aus der Slowakei, und die Debatte im Europaparlament über die Lage in dem Land zeigte deutlich die Schwächen europäischer Politik. Über die Fraktionen hinweg drückten die Redner Schock und Empörung über den Mord an dem Journalisten Jan Kuciak und seiner Partnerin aus. Doch im Angesicht der zugrunde liegenden politischen Probleme scheint die EU an die Grenzen ihrer Zuständigkeiten zu stoßen. Außerdem hat Brüssel Fehlentwicklungen in früheren osteuropäischen Ländern auch deshalb lange nicht zum Thema gemacht, um nicht in die Rolle des Oberlehrers zu geraten.

Eine Bedrohung für die gesamte EU?

"Wenn es um die Grundrechte geht, ist die EU zuständig", sagt Claude Moraes von den Sozialisten im EP. Es sei richtig, das Thema mit allem Nachdruck zu behandeln, denn die gesamte Union sei existentiell bedroht, wenn in einzelnen Mitgliedsländern Grundrechte unter Druck geraten.

Seine Kollegin Sophie In't Veld von den Liberalen will die Sache praktisch angehen: Dies sei die Gelegenheit, einen neuen Mechanismus zu schaffen, um die Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedsländern zu überprüfen und zu stärken. Eine Art "Gesundheits-Check" für Rechtsstaatlichkeit nennt sie ihre Idee. 

Europaabgeordnete Sophie In't Veld: "Gesundheitscheck für Rechtsstaatlichkeit"Bild: DW/A. de Loore

In't Veld beschreibt eine doppelte Realität, die die EP-Delegation in der Slowakei vorgefunden habe. Die rechtlichen Rahmenbedingungen seien gut, alle Institutionen vorhanden, es gebe eine lebendige Presse und Zivilgesellschaft. Auf der anderen Seite stehe eine parallele Wirklichkeit mit Korruption, Betrug und organisierter Kriminalität, die den Staat teilweise übernommen habe. "In dieser Halbwelt ist es schwierig, zwischen Wahrheit, Lügen und Phantasien zu unterscheiden, und das schafft tiefes Misstrauen bei der Bevölkerung".

Der Abgeordnete Benedek Jabor von den Grünen fügt hinzu: "Wir dürfen uns nicht hinter dem Mantra verstecken, dass der Schutz der Pressefreiheit Sache der Mitgliedsländer ist. Journalisten müssten besser geschützt und ihre Arbeit, wenn nötig, auch finanziell von der EU unterstützt werden."

Und er stellt noch einmal die entscheidende Frage: Wieso können jahrelang EU-Gelder hinterzogen werden, ohne dass Brüssel einschreitet? Erst ein 27-jähriger Journalist habe die Einzelheiten recherchiert - und dafür mit seinem Leben bezahlt. 

Mehr Kontrolle ist der Schlüssel

Auch Milan Nic, Osteuropa-Experte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, kritisiert die zahnlose EU-Betrugsbehörde OLAF. Die Untersuchung einiger Fälle in der Slowakei sei zwar in die richtige Richtung gegangen, am Ende aber folgenlos geblieben. Auf Anfrage erklärte die Behörde in Brüssel, es habe in den letzten Jahren acht Untersuchungen in der Slowakei gegeben. Aber nur eine davon wurde veröffentlicht, die übrigen sind geheim und bleiben damit wirkungslos.

Ein weiteres Problem, so Milan Nic, seien die politischen Familien im Europaparlament. Robert Ficos SMER-Partei gehört der Gruppe der Sozialisten an. Innerhalb der Parteienfamilien aber wird Kritik vermieden, denn es gibt immer die Angst vor Abwanderung von Abgeordneten zu radikalen Rechtsextremen oder Europagegnern. So gehört etwa Viktor Orbans Fidesz-Partei trotz ihres massiven Rechtsrucks immer noch zur größten Familie, den konservativen Volksparteien der  EVP, und wird deswegen unter anderem von deutschen Christdemokraten gegen Angriffe in der EU geschützt.  

Die Ermordung von Jan Kuciak hat in der Slowakei eine starke Protestbewegung hervorgebrachtBild: picture-alliance/AP/B. Engler

Demokratische Risiken in Osteuropa

Die EU müsse "der fragilen Region in Mittel- und Osteuropa mehr Aufmerksamkeit" widmen, fordert der slowakische Politikexperte.  Man sehe in Ungarn, wie leicht schwache Institutionen und Parteien von einem starken Mann übernommen werden können. Viktor Orban habe das Thema Immigration benutzt, um seine Macht zu sichern. Fico aber habe von ihm gelernt und jetzt drohe das Risiko weiterer Radikalisierung.

Die Slowakei sei, so Nic, auf dem Weg zu einen "captured state", einem Staat, der von Korruption und organisierter Kriminalität übernommen wurde. Vorgezogene Neuwahlen seien deswegen keine Hilfe, sondern könnten Extremisten sogar noch stärken. Letzte Umfragen zeigen steigende Zustimmungswerte für die neofaschistische  Partei LSNS. Den Regierungswechsel in Bratislava aber hält Nic für eine Scharade: Fico werde weiter von einem Platz hinter der Bühne aus die Strippen ziehen.  

Das reale Problem der Slowakei: Korruption

"Robert Fico hat in Brüssel die europäische Karte schlau gespielt", erklärt Jana Kobzova vom "European Council of Foreign Relations". Er hat sich unter den Visegrad-Ländern als Gemäßigter profiliert und bei Abstimmungen in der EU stets mit der Mehrheit votiert. Die Wirtschaft in der Slowakei lief gut, und der Regierungschef machte nach außen keine Probleme.

Die Politikexpertin aber glaubt nicht, dass Europa versuchen sollte, sich jetzt politisch stärker einzumischen. "Man kann die Slowakei nicht mit Ungarn oder Polen vergleichen, wo Gesetze geändert wurden und etwa die Unabhängigkeit der Justiz in Frage steht". Man müsse die Gefahr eines Rückschlages bedenken.

Die Regierungschefs der Visegrad-Gruppe mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Bild: picture-alliance/dpa/CTK/J. Dospiva

Sie widerspricht auch der These, dass die Institutionen der Slowakei von Korruption ausgehöhlt und kontrolliert seien. "Die Justiz arbeitet sehr langsam, aber die Gerichte fällen Urteile", und die Grundrechte seien noch gewährleistet.

Europa sollte ganz einfach das reale Problem im Land angehen, nämlich die Korruption: "Sie müssen den Missbrauch von EU-Geldern untersuchen und die Zahlungen einstellen." Vielleicht solle man die Agrar-Subventionen lieber abschaffen, als sie wie "Spielgeld" mit der Gießkanne zu verteilen. Für ein kleines Land wie die Slowakei gehe es hier um verführerisch große Summen.

Auch was die neue Regierung in Bratislava angeht, ist Jana Kobzova nicht ganz so pessimistisch: Der designierte Premier Peter Pellegrini sei das moderne Gesicht der Regierungspartei SMER. Wenn er sich bis zu den regulären Wahlen in zwei Jahren an der Macht halten könne, habe er eine Chance, den Kurs des Landes zu ändern.  

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