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PolitikEuropa

Slowakei: Koalition kaputt, Regierung bleibt

Luboš Palata
9. September 2022

Nach dem Ausscheiden des liberalen Koalitionspartners verfügt das Kabinett des konservativ-populistischen Premiers Eduard Heger über keine Mehrheit im Parlament mehr. Doch er macht mit einer Minderheitsregierung weiter.

Eduard Heger - Ministerpräsident der Slowakei
Der slowakische Ministerpräsident Eduard Heger in Brüssel im März 2022Bild: LUDOVIC MARIN/AFP/Getty Images

Die Regierungskoalition in der Slowakei unter Ministerpräsident Eduard Heger von der konservativ-populistischen Partei Olano (Obycejni lide a nezavisle osobnosti, deutsch: Gewöhnliche Leute und unabhängige Persönlichkeiten) ist zerbrochen - und die Opposition bemüht sich nach Kräften, nun die Macht zu übernehmen. Vor allem Ex-Premier Robert Fico von der linkspopulistischen Partei Smer-SD (Smer-socialna demokracia, deutsch Richtung-Sozialdemokratie) drängt auf eine pro-russische Politik, also ein Ende der massiven Unterstützung für die Ukraine und einen Wandel der slowakischen Außenpolitik in eine ähnlich Kreml-freundliche Richtung wie sie die ungarische Regierung unter Viktor Orban betreibt.

Bisher gehört das Fünf-Millionen-Einwohnerland zusammen mit Polen, der Tschechischen Republik und den baltischen Staaten zu denjenigen EU-Ländern, die die Ukraine in ihrem Kampf gegen die russische Aggression am meisten unterstützen. Die Regierung in der Hauptstadt Bratislava hat Kiew Waffen- und Munition geliefert, darunter Panzer, Panzerhaubitzen vom Typ Zuzana 2 und das Raketenabwehrsystem S-300. Zudem hat die Slowakei rund 800.000 Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen. Die meisten von ihnen sind in andere Länder weitergereist, rund 90.000 sind geblieben.

Ex-Premier Robert Fico im Dezember 2021 in BratislavaBild: Jaroslav Novák/dpa/TASR/picture alliance

"Die demokratische Welt kann nicht zulassen, dass Kriegsfanatiker die Weltordnung bestimmen. Deshalb wird die umfassende Unterstützung für die Ukraine fortgesetzt und die Slowakei weiterhin Teil der Koalition von Ländern sein, auf die sich die Ukrainer auf ihrem Weg zum Sieg stützen können", erklärte Ministerpräsident Heger Ende Juni 2022 nach einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auf seinem Twitter-Account.

"In der Ukraine herrscht ein Krieg zwischen den USA und Russland, und die Ukraine steht unter absoluter Kontrolle der USA", sagt dagegen Ex-Premier Fico in einem Video auf seiner Facebook-Seite. Das Zentrum für die Bekämpfung von Desinformation der ukrainischen Regierung stuft den slowakischen Politiker aufgrund solcher Äußerungen als Verbreiter russischer Propaganda ein.

Es geht nicht (nur) um die Ukraine

Doch Moskaus Angriffskrieg und Bratislavas Ukraine-Politik sind nicht der Grund für die Krise der bisherigen slowakischen Regierung. "Im Gegenteil, die klare Haltung zur russischen Aggression gegen die Ukraine hat das bisherige Kabinett wahrscheinlich am meisten geeint", sagt der slowakische Politologe Grigorij Meseznikov der DW. "Umfragen zufolge ist auch die Unterstützung der slowakischen Bürger für die Ukraine sehr groß. Es gibt zwar auch anti-ukrainische Stimmungen, aber nur bei etwa zehn Prozent der Slowaken."

Igor Matovic ist Finanzminister der Slowakei und Vorsitzender der Partei Olano Bild: AFP/V. Simicek

Die Regierungskrise begann Anfang Juli 2022, als Wirtschaftsminister Richard Sulik das Ausscheiden des Finanzministers und Olano-Vorsitzenden Igor Matovic aus der Regierung zur Bedingung für den Verbleib seiner liberalen Reformpartei SaS (Sloboda a Solidarita, deutsch: Freiheit und Solidarität) in der Koalition machte. Der impulsive, chaotische und autoritäre Matovic ist laut Umfragen der unbeliebteste Spitzenpolitiker des Landes. Seine Partei, die die Wahl vor zweieinhalb Jahren mit 25 Prozent der Stimmen gewonnen hatte, wird heute noch von etwa acht Prozent der Wählerinnnen und Wähler unterstützt.

Kritik vom Staatsoberhaupt

Am Montag (05.09.2022) lief die Frist für das Sulik-Ultimatum ab, und die SaS verließ die Koalition: Außen-, Bildungs- und Justizminister sowie mehr als zwei Dutzend Abgeordnete. Der Grund dafür waren persönliche Differenzen zwischen Ex-Wirtschaftsminister Sulik, der bereits vergangene Woche zurückgetreten war, und Matovic sowie die Tatsache, dass letzterer als Finanzminister im Frühjahr 2022 mit Hilfe rechtsextremer Abgeordneter finanziell anspruchsvolle familienfreundliche Gesetze durchgesetzt hatte, mit denen die liberale SaS nicht einverstanden war.

Zuzana Caputova, Staatspräsidentin der Slowakei, bei einem Besuch in der Ukraine im Mai 2022Bild: Kancelária Prezidenta Sr/TASR/dpa/picture alliance

"Matovic verhält sich wie ein Vorzeigepopulist, und viele Slowaken fühlen sich durch seine Regierungszeit beschämt", erklärte der slowakische Soziologe Michal Vasecka dem tschechischen Radiosender Cesky rozhlas Plus. Staatspräsidentin Zuzana Caputova kritisierte die Regierungsparteien dafür, dass sie sich auf ihre politischen Streitigkeiten konzentrieren, anstatt die Energiekrise anzugehen. "Die Slowakei hat zwei Monate darauf gewartet, dass die Koalition aufhört, sich mit sich selbst zu beschäftigen", so Caputova, die für ihre pro-europäische Haltung bekannt ist. "So soll und kann man nicht regieren."

EU-Millionen, eine neue Gaspipeline und ein neuer Reaktor

Dabei ist es der Slowakei in den vergangenen Monaten gelungen, einige grundlegende Probleme besser zu lösen als andere EU-Länder. Im Gegensatz zu Polen oder Ungarn hat das Land die ersten von Hunderten von Millionen Euro aus dem Brüsseler Wiederaufbaufonds für die Zeit nach COVID-19 bereits erhalten. Eine neue Gaspipeline nach Polen wurde in Betrieb genommen, die sicherstellen wird, dass die Slowakei unabhängiger von Lieferungen aus Russland wird und dennoch über genügend Gas verfügt. Zudem wurde der neue, dritte Block des Kernkraftwerks Mochovce in Betrieb genommen.

Das slowakische Kernkraftwerk MochovceBild: Getty Images/AFP/J. Klamar

Damit wird das Land ab jetzt mehr Strom erzeugen als es verbraucht. Zudem hat die Regierung Heger die Energiepreise für Haushalte auf dem Niveau des vergangenen Jahres gedeckelt. "Der positive Effekt wird sich im Winter einstellen", so der Politologe Meseznikov zur DW. "Die Einwohner der Slowakei sind trotzdem nervös, denn die Opposition behauptet immer wieder, die Regierung sei nicht in der Lage, die bestehenden Probleme zu lösen. Dabei hat die Regierung viel getan - aber sichtbarer ist für viele die Koalitionskrise."

Trotz ihres Ausscheidens aus der Regierungskoalition haben Sulik und seine Partei bereits erklärt, dass sie die Regierung nicht stürzen wollen, sondern "vernünftige" Gesetzesvorlagen weiter unterstützen werden. Und selbst, wenn es zu vorgezogenen Neuwahlen kommt, muss dies für die Slowakei und ihre politische Ausrichtung keine Katastrophe sein. "Niemand wird mit einem pro-russischen Politiker wie Fico regieren wollen. Das gilt auch für den mutmaßlichen Sieger bei Neuwahlen, die Partei Stimme der Sozialdemokratie von Ex-Premier Peter Pellegrini, die nicht pro-russisch sei, erklärt Meseznikov.

"Die pro-europäische Ausrichtung der Slowakei hat sich bei den letzten Wahlen deutlich verstärkt, und es wird nicht so einfach sein, dies wieder rückgängig zu machen. Das Gleichgewicht der politischen Kräfte ist immer noch so, dass die pro-russischen Kräfte in der Slowakei nicht dominieren", so der Politologe.

Luboš Palata Europaredakteur der tschechischen Tageszeitung "Deník".