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PolitikSlowakei

Slowakei: Liberale Präsidentin gibt auf

23. Juni 2023

Die liberale slowakische Präsidentin Zuzana Caputova wird nicht erneut kandidieren. Schmutzkampagnen gegen ihre Familie haben sie zermürbt. Wird die Slowakei nun eine prorussische und antiwestliche Richtung einschlagen?

Slowakischer Premier Eduard Heger zurückgetreten
Die slowakische Staatspräsidentin Zuzana CaputovaBild: Radovan Stoklasa/REUTERS

Die Staatspräsidentin der Slowakei, Zuzana Caputova, kam einst wie eine strahlende Erlöserin an die Spitze ihres Landes. Die Anwältin, Umweltaktivistin und Anti-Korruptionskämpferin wurde im März 2019 mit großer Mehrheit gewählt - in einer Situation, in der die slowakische Gesellschaft zutiefst erschüttert war: über den Mord an dem Investigativjournalisten Jan Kuciak und seiner Lebensgefährtin Martina Kusnirova und weil im Zuge dessen herauskam, dass Staat und organisiertes Verbrechen in schockierendem Ausmaß miteinander verwoben waren.

Zuzana Caputova war damals weitgehend unbekannt, aber ihre Geschichte verkörperte jenen Traum von einem besseren und gerechten Land, den die meisten Menschen in der Slowakei hatten: Als Anwältin und Juristin hatte Caputova in ihrer Heimatstadt Pezinok erfolgreich gegen die mächtige Müllmafia gekämpft, unbestechlich, in David-gegen-Goliath-Manier, mit hohem persönlichen Risiko.

Zuzana Caputova während des Wahlkampfs 2019 in BratislavaBild: Reuters/D.W Cerny

Caputova ist seit damals, seit ihrer Wahl 2019, ungebrochen die populärste Politikerin ihres Landes. Sie steht nicht nur für einen Rechtsstaat ohne Kompromisse, für soziale Gerechtigkeit und gegen Diskriminierung von armen Menschen und Minderheiten, sondern auch für eine feste Verankerung der Slowakei in der EU und der NATO und vor allem für eine uneingeschränkte Solidarität mit der Ukraine.

Mäßigend, ordnend, beständig

Aus der Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr wäre sie aller Wahrscheinlichkeit nach erneut als klare Siegerin hervorgegangen. Doch nun kündigte sie zu Anfang der Woche (20.06.2023) an, nicht ein zweites Mal für das höchste Staatsamt kandidieren zu wollen. Nicht nur innenpolitisch ist das für viele in der Slowakei eine traurige Nachricht. Das Land könnte sich auch außenpolitisch wegbewegen von seinem bisherigen prowestlichen und proukrainischen Kurs.

Der ehemalige slowakische Premier Robert FicoBild: Jaroslav Novák/TASR/dpa/picture alliance

Im September steht eine vorgezogene Parlamentswahl an, einer der Favoriten ist der Ex-Premier Robert Fico mit seiner nominell sozialdemokratischen, tatsächlich aber rechtsnationalistischen Partei SMER-SD (Richtung Sozialdemokratie). Zwar ist das Amt des Staatspräsidenten in der Slowakei im Vergleich zur Regierung nicht mit starken Kompetenzen ausgestattet, doch das Staatsoberhaupt kann durch Symbolkraft, persönliche Ausstrahlung und auch mit der Macht einiger Vetorechte viel bewirken, wie das Beispiel Caputovas zeigt. Im Regierungs- und Koalitionschaos der vergangenen drei Jahre wirkte sie oft mäßigend, ordnend, beständig und als diejenige, die das Land in der Spur hält.

Anzeige wegen Verleumdung

Wie schwer ihr die Entscheidung, nicht mehr zu kandidieren, gefallen ist, ließ sie nur ansatzweise erkennen. "Nach reiflicher Überlegung weiß ich, dass die Kräfte für ein weiteres Mandat nicht ausreichen würden. Ich werde daher das letzte Jahr meiner Amtszeit zu Ende bringen, und mein Dienst in dieser Funktion wird damit erfüllt sein. Ich werde mich nicht um eine zweite Amtszeit bemühen", sagte Zuzana Caputova am 20. Juni während einer Pressekonferenz. Als einen der Hauptgründe nannte sie die Rücksicht auf ihre Familie. Im Laufe der vergangenen Jahre hatte nicht nur sie selbst viele Drohungen erhalten, auch ihre beiden Töchter waren mehrfach Ziel schlimmer, zum Teil äußerst frauenfeindlicher, sexistischer Schmutzkampagnen. Die Präsidentin bewahrte angesichts dessen zwar stets die Würde, dennoch konnte man mitunter erahnen, wie sehr ihr die Angriffe auf ihre Töchter zu schaffen machten.

Zuzana Caputova zusammen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und dem tschechischen Präsidenten Petr Pavel bei einem Besuch in Kiew am 28.04.2023Bild: Ukrainian Presidential Press Service/REUTERS

In den vergangenen Monaten war sie wegen ihrer Solidarität mit der Ukraine auch massiven Angriffen des Ex-Premiers Fico ausgesetzt. Er bezeichnete sie als "amerikanische Agentin" und behauptete, das Präsidialamt werde in Wirklichkeit von der US-Botschaft in Bratislava geleitet. Caputova erstattete wegen dieser Verleumdungen Strafanzeige gegen Fico.

Großteil der Slowaken prorussisch

Noch vor einiger Zeit war der Ex-Premier das Symbol für Korruption und für die Verflechtung von Politik und organisiertem Verbrechen in der Slowakei. Doch mit seiner prorussischen und antiwestlichen Rhetorik hat Fico es geschafft, sich als Oppositionsführer in Szene zu setzen. Er behauptet, der Krieg gegen die Ukraine sei vom Westen provoziert worden und die Slowakei müsse sich in diesem Krieg neutral verhalten. Das fällt in der Slowakei auf fruchtbaren Boden, denn ein großer Teil der Bevölkerung, vor allem außerhalb der Großstädte und im armen Osten des Landes, ist gegen die Hilfe für die Ukraine.

Die slowakische Staatspräsidentin bei einem Besuch in der Ukraine im Mai 2022Bild: Kancelária Prezidenta Sr/TASR/dpa/picture alliance

Dabei zeigten sich die Grenzen von Caputovas Popularität. Zusammen mit den beiden Regierungen, die seit Beginn des Krieges amtierten, setzte sich die Präsidentin dafür ein, der Ukraine maximale Hilfe zu leisten. So übergab die Slowakei dem Nachbarland ihre gesamte militärische Luftflotte und ihre gesamte Luftabwehr. Caputova versuchte mehrfach, den Slowaken in sehr persönlicher Weise zu erklären, dass es nicht nur eine moralische Verpflichtung sei, einem überfallenen Land zu helfen. "Indem wir den Ukrainern helfen, helfen wir auch uns selbst, weil wir den russischen Aggressor dadurch so weit wie möglich von unseren Grenzen fernhalten", sagte sie etwa Ende Mai 2023. Umfragen zeigen jedoch, dass die Positionen der Präsidentin und der Gesellschaft weit auseinander liegen.

"Keine Tragödie"

Caputova ist aber auch aus anderen Gründen mit Teilen der politischen Elite in der Slowakei und Teilen der Gesellschaft aneinander geraten. Man verübelte ihr den solidarischen Einsatz für Roma, für arme Menschen, für Alleinerziehende, für die LGBTQ-Gemeinschaft und für Personen, die wegen des Anbaus kleiner Mengen Marihuana zu sehr langen Haftstrafen verurteilt worden waren und die sie begnadigt hatte. "Die Präsidentin wollte eine einigende Figur für alle Teile der Gesellschaft sein", bilanziert das konservative slowakische News-Portal Postoj. "In dieser Hinsicht ist die Mission von Zuzana Caputova gescheitert."

Viele slowakische Kommentatoren zeigten sich enttäuscht oder sogar bestürzt von Caputovas Entscheidung, nicht mehr zu kandidieren. Manche warfen ihr einen Mangel an Verantwortungsgefühl in einer Zeit des tiefen politischen Chaos im Land vor. Das liberale Portal Dennik N mahnte demgegenüber zur Besonnenheit: "Den Abgang einer so schnell erwachsen gewordenen Politikerin zu einer Tragödie zu machen, ist nicht angebracht. Die Demokratie wird Zuzana Caputovas vorzeitiges Ende aus der Politik verkraften."