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PolitikSlowakei

Slowakei: Mordanschlag in einem vergifteten Land

16. Mai 2024

Ein älterer Mann mit wirren politischen Ansichten schießt auf den slowakischen Premier Robert Fico - eine Tat in einem Land, das die Verflechtung von Politik und organisierter Kriminalität nie konsequent beendet hat.

Bild von Robert Fico
Der slowakische Premier Robert Fico im Ort Handlova kurz vor dem Mordanschlag auf ihnBild: Radovan Stoklasa/TASR/AP Photo/picture alliance

Lebensgefährliche Schussverletzungen in der Brust und im Bauch, stundenlange Notoperationen, deren positiver Ausgang nicht sicher war, nun möglicherweise eine monatelange Genesung - der slowakische Premier Robert Fico hat das Attentat auf ihn am Mittwoch (15.05.2024) offenbar nur um Haaresbreite überlebt. Einen so schweren Mordanschlag gegen einen Regierungschef eines europäischen Landes hat es seit Jahrzehnten nicht gegeben. Umso größer ist die Erschütterung nun, vor allem in der Slowakei selbst, aber auch anderswo. Der Mordanschlag gegen Fico ist der vorläufige traurige Höhepunkt zunehmender Gewalt gegen Politikerinnen und Politiker in vielen europäischen Ländern.

Zustand von Premier Fico hat sich "stabilisiert"

01:29

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In dem politisch tief zerstrittenen Fünf-Millionen-Land Slowakei, in dem zwischen den Parteien ein außerordentlich rauer und gewalttätiger Umgangston herrscht, äußerten sich nahezu alle Gegner und Widersacher Ficos entsetzt und bestürzt. Die wichtigste Oppositionspartei sagte Proteste gegen die von Ficos Regierung geplante Umgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ab. Die Staatspräsidentin Zuzana Caputova, die selbst Ziel vielfacher Rufmordkampagnen ist und ihre politische Karriere deshalb demnächst aufgibt, rief die politische Elite und die Öffentlichkeit ihre Landes dazu auf, dem Klima des Hasses und der verbalen Gewalt abzuschwören.

Noch sind die Motive des Täters und die Umstände der Tat nicht aufgeklärt. So viel scheint festzustehen: Offenbar handelt es sich um einen Einzeltäter. Der 71-jährige Juraj C. aus der südwestslowakischen Kleinstadt Levice hatte bei einer Security-Firma gearbeitet und soll laut Berichten slowakischer Medien erfolglos eine Karriere als Schriftsteller und Dichter angestrebt haben. Offenbar gehörte er einer rechtsgerichteten Schriftsteller-Vereinigung an. In der Vergangenheit hatte er in sozialen Medien offenbar auch Inhalte gegen Migranten und Roma gepostet. Zugleich war er anscheinend auch ein Gegner der rechtsnationalistischen Regierungskoalition unter Premier Fico. Beobachter charakterisieren den Mann als offensichtlich frustriert und politisch wirr.

Der mutmaßliche Täter wird am Mittwoch überwältigt und festgenommenBild: Radovan Stoklasa/AP Photo/picture alliance

Meciar-Ära: Privatisierungskriminalität, brutale Mafia-Morde

Zwar wies nichts auf ein derartiges Verbrechen gegen Fico hin. Doch der Anschlag ist Teil einer langjährigen Geschichte schwerer Gewalttaten in Politik und organisierter Kriminalität in der Slowakei und in gewisser Weise auch Teil einer politischen Kultur voller tiefer Verwerfungen. Endgültige Konsequenzen gezogen hat die Slowakei aus dieser Vergangenheit nie.

Nach der friedlichen Auflösung der Tschechoslowakei und der Unabhängigkeit 1993 befand sich das Land unter dem Premier Vladimir Meciar jahrelang an einem Scheideweg zwischen einem autokratischen Regime mit engen Verbindungen zur organisierten Kriminalität und einer rechtsstaatlichen Entwicklung. Diese Zeit war geprägt von Wirtschafts- und Privatisierungskriminalität, brutalen Mafia-Morden und zahlreichen schwerwiegenden Angriffen auf Kritiker des Meciar-Systems. Tiefpunkt der Ära war 1995 ein Machtkampf zwischen Meciar und dem damaligen Staatspräsidenten Michal Kovac, in dem der slowakische Geheimdienst den Sohn des Präsidenten entführen ließ. Meciar war mutmaßlich Drahtzieher der Affäre, infolge einer von ihm selbst verkündeten Amnestie wurde sie jedoch nie aufgeklärt.

Mord an Jan Kuciak

Mit dem EU-Beitritt der Slowakei 2004 schien ein Schlusspunkt unter diese Ära gesetzt. Es war auch die Zeit, in der Robert Ficos große politische Karriere in der Slowakei begann. Der Jurist Fico profilierte sich damals als Sozialdemokrat und Kämpfer gegen Korruption und den zügellosen Neoliberalismus. Seit 2006 erstmals Premier, wurden ihm bald selbst Verwicklungen in Korruptionsaffären nachgesagt, darunter in die Penta-Gorila-Affäre, den größten postkommunistischen Korruptionsskandal der Slowakei, bei dem es um den Einfluss zwielichtiger Geschäftsleute auf die slowakische Politik ging.

Bild des ermordeten Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova (2018)Bild: Svancara Petr/CTK/dpa/picture alliance

Der Tiefpunkt von Ficos Regierungszeit war im Februar 2018 der Auftragsmord an dem Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova - Kuciak hatte zu Verbindungen zwischen Politik und organisierter Kriminalität in der Slowakei recherchiert. Obwohl Ficos Regierung nicht direkt mit dem Mord zu tun hatte, musste der Premier damals zurücktreten, denn Kuciak hatte Verbindungen der italienischen Mafia in die slowakische Regierung aufgedeckt, unter anderem über eine Beraterin und mutmaßliche Geliebte Ficos. Der mutmaßliche Auftraggeber des Mordes, der Geschäftsmann Marian Kocner, pflegte ebenfalls enge Verbindungen zu Regierungsmitgliedern und hohen Beamten im Staatsapparat. Insgesamt ergab sich damals das Bild der Slowakei als eines regelrechten Mafia-Staates.

Keine tiefgreifenden Reformen

Nach der Ära Fico wurde 2019 die Rechtsanwältin und Anti-Korruptionsaktivistin Zuzana Caputova als Staatspräsidentin gewählt, im Jahr darauf kam eine liberal-konservative Reformkoalition an die Macht. Doch die Hoffnungen der slowakischen Gesellschaft auf tiefgreifende und dauerhafte Veränderungen erfüllten sich letztlich nicht, die Reformkoalition zerbrach im vergangenen Jahr an Dauerstreitigkeiten. Fico kehrte nach vorgezogenen Neuwahlen im September 2023 zurück an die Macht. Seither waren er und seine Regierung vor allem damit befasst, die Justiz politisch zu beeinflussen, Strafverfahren wegen Korruption zu stoppen und unabhängige Medien zum Schweigen zu bringen.

Der slowakische Premier Robert Fico, hier im Januar 2024 in BerlinBild: Nadja Wohlleben/REUTERS

Vom Sozialdemokraten hat Fico sich bereits vor vielen Jahren zum Rechtsnationalisten gewandelt. Fico schimpft mit Vorliebe auf die Europäische Union, den Liberalismus, die "LGBTQ-Ideologie" und angebliche Feinde "traditioneller Werte". Er vertritt prorussische und antiukrainische Positionen, seine Gegner sind für ihn allesamt "Verräter", kritische Journalisten nennt er "Hyänen", Idioten" oder "antislowakische Prostituierte". Fico hat auf diese Weise selbst entscheidend zu einem Klima mit beigetragen, das die entsetzte Staatspräsidentin Caputova am Mittwoch in einer Ansprache so charakterisierte: "Die hasserfüllte Rhetorik, die wir erleben, führt zu hasserfüllten Taten." Und sie fügte hinzu: "Bitte, lassen Sie uns das stoppen!"

Staatskidnapping

Ob Caputova Gehör findet, ist mehr als fraglich. In ersten Reaktionen nach dem Mordanschlag gegen Robert Fico beschuldigten Regierungsmitglieder und Parteifreunde pauschal die Oppositionsparteien und nicht regierungskonforme Journalisten, die geistigen Drahtzieher des Verbrechens zu sein. Es könnte ein Zeichen dafür sein, dass die Koalition und besonders Ficos Partei SMER den Anschlag zum Anlass nehmen, noch rigoroser gegen Kritiker vorzugehen.

Der heutige slowakische Verteidigungsminister Robert Kalinak (2023)Bild: picture alliance/dpa/CTK

Einer derer, die nun auf unabhängige Journalisten eindreschen, ist ausgerechnet der slowakische Verteidigungsminister Robert Kalinak. Er hat allen Grund dazu, denn unabhängige Medien in der Slowakei haben vor Jahren seine mutmaßliche Beteiligung an Staatskidnapping aufgedeckt: Es ging um die Entführung eines vietnamesischen Geschäftsmannes aus Berlin über Bratislava zurück nach Vietnam. Als Innenminister soll Kalinak im Juli 2017 dafür gesorgt haben, dass der zuvor aus Berlin verschleppte Trinh Xuan Thanh mit gefälschten Papieren in einem slowakischen Regierungsflugzeug nach Vietnam gebracht werden konnte. Kalinak ist seit langem ein Freund Vietnams - unter anderem fädelte er bei einem Besuch 2017 eine gemeinsame Kooperation von slowakischen und vietnamesischen Firmen im Sicherheits- und Rüstungsbereich ein.

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