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Politik

Neue Regierung in der Slowakei während Corona-Krise

20. März 2020

Machtwechsel in der Slowakei, mitten in der Corona-Krise. Die neue Regierung kündigt einen grundlegenden politischen Wandel an. Die meisten Parteien der Koalition sind bisher nur durch populistische Parolen aufgefallen.

Igor Matovič
Igor Matovič will die "beste Regierung in der Geschichte der Slowakei" bildenBild: picture-alliance/AP Photo/P. D. Josek

Mitten in der Corona-Krise und unter den Bedingungen des Notstands einen Regierungswechsel zu bewerkstelligen, ist eine ernste und schwerwiegende Herausforderung. Umso mehr, wenn dieser Wechsel auch noch mit einem grundlegenden Wandel in Staat und Politik einhergehen soll. Vor genau dieser enormen Herausforderung steht derzeit die Slowakei.

Nach der Parlamentswahl vom 29. Februar, deren Siegerin die Protest- und Anti-Korruptionspartei OĽaNO war, tritt an diesem Sonnabend in der Slowakei eine neue Regierung ihr Amt an. Der Premier und  OĽaNO-Chef Igor Matovič verspricht Großes: ein Ende der massiven politischen Korruption und des Einflusses der organisierten Kriminalität im Staat, mehr Transparenz, Rechtsstaatlichkeit und gute Regierungsführung. Und natürlich, so seine Ankündigung, will er mit Entschlossenheit und Erfolg auch die Corona-Krise meistern, von der die Slowakei derzeit vor allem wirtschaftlich sehr schwer getroffen wird. Er werde die beste Regierung in der Geschichte der Slowakei bilden, hatte Matovič bereits vor zwei Wochen erklärt.

Skepsis ist angebracht

So vielversprechend diese Ankündigungen klingen, so viel Skepsis ist angebracht. Die neue slowakische Regierung besteht aus vier sehr unterschiedlichen Parteien, von denen nur die kleinste wirklich uneingeschränkt zu den Werten der liberalen Demokratie steht. Die drei anderen Parteien sind in ihrer Ausrichtung populistisch, rechts oder politisch unberechenbar, eine Partei steht an der Grenze zum Rechtsextremismus.

Die Partei von Igor Matovič, OĽaNO, zu deutsch "Gewöhnliche Leute und unabhängige Persönlichkeiten", ist eine heterogene und ideologisch schwer einordbare Protestpartei, die slowakische Kommentatoren verbreitet als "One-man-show" ihres Chefs bezeichnen. Matovič hat sich im vergangenen Jahrzehnt als unermüdlicher Anti-Korruptionsaktivist inszeniert und vertritt zahlreiche rechtskonservative und rechtspopulistische Positionen, etwa bei den Themen Abtreibung, gleichgeschlechtliche Partnerschaften oder Flüchtlinge.

Zweiter Koalitionpartner ist die rechtspopulistische Partei "Wir sind eine Familie" (Sme rodina) des Unternehmers Boris Kollár, die zum rechtsextremen europäischen Parteienbündnis "Identität und Demokratie" gehört, das von Matteo Salvini und Marine Le Pen angeführt wird. Kollár ist vor allem mit migrationsfeindlichen Aussagen aufgefallen und persönlich eine schillernde Figur. Er hat zehn Kinder mit neun Frauen, ihm wurden in den 1990er Jahren Kontakte zur slowakischen Unterwelt nachgesagt, außerdem pflegte er in den vergangenen Jahren regelmäßig Kontakt zu dem Geschäftsmann Marian Kočner, der als Auftraggeber des Mordes an dem Journalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová angeklagt ist.

An der Koalition beteiligt sind außerdem die wirtschaftsliberal-euroskeptische Partei "Freiheit und Solidarität" (SaS) des Unternehmers Richard Sulík, der sich selbst ausdrücklich als slowakischer Nationalist bezeichnet, sowie die liberal-konservative "Für die Menschen" (Za ľudí) des ehemaligen Staatspräsidenten Andrej Kiska, die einzige Partei im slowakischen Parlament, die ohne Wenn und Aber zur liberalen Demokratie steht.

Ein "gemischtes Bild"

Als politischem Marketing-Profi ist Matovič offenbar bewusst gewesen, dass er eine vertrauenswürdige Regierungsmannschaft zusammenstellen muss. Tatsächlich unterscheiden sich einige Minister deutlich vom politischen Profil der drei Koalitionspartner OĽaNO, Sme rodina und SaS. Außenminister wird der parteilose, sehr erfahrene und als liberal geltende Diplomat Ivan Korčok, der unter anderem Botschafter der Slowakei in Deutschland, in Brüssel und zuletzt in den USA war. Auch der neue Verteidigungsminister Jaroslav Naď, ebenfalls ein ehemaliger Diplomat, gilt als überzeugter Europäer. Zum Innenminister ernannte Matovič den ehemaligen Militärgeheimdienstler und Sicherheitsexperten Roman Mikulec, der als persönlich integer und unbestechlich gilt - er soll garantieren, dass die Regierung die Sicherheitsorgane des Landes, vor allem die Polizei, von korrupten Beamten säubert.

"Wenn man sich die neue Koalition und die Regierung anschaut, ergibt sich ein gemischtes Bild", sagt der Politologe Grigorij Mesežnikov vom Bratislavaer Institut für öffentliche Angelegenheiten (IVO) der DW. "Ich bin allerdings vorsichtig optimistisch. Zwar hat diese Koalition eine problematische Partei und einzelne problematische Politiker, aber in der Regierung selbst sind überwiegend überzeugte Anhänger der liberalen Demokratie. Insgesamt ist die Regierung berechenbarer als die einzelnen Fraktionen der Regierungsparteien."

Umgang mit der Corona-Krise

Ein wichtiger Gradmesser für die Arbeit der neuen Regierung wird in den kommenden Wochen der Umgang mit der Corona-Krise und dabei vor allem mit den Menschen sein, die zu den meistgefährdeten gehören: die 250.000 Roma, die großenteils in Elendsiedlungen ohne Zugang zu fließendem Wasser und Hygieneeinrichtungen leben. Bisher ist der Staat nahezu völlig unvorbereitet auf das gesundheitliche Desaster, das sich dort anbahnen könnte. Lediglich in einigen dieser Siedlungen wurde bisher die durchgehende Kaltwasserversorgung sichergestellt. Ob die neue Regierung in Roma-Siedlungen Gefahrenprävention betreibt, ist offen. Bisher war die Roma-Programmatik von  OĽaNO, Sme rodina und SaS äußerst zweifelhaft - sie reichte von einer diskriminierenden Zwei-Klassen-Sozialpolitik für Roma bis hin zur staatlichen Förderung der freiwilligen Sterilisierung von Roma-Frauen.

Auch insgesamt muss die neue Regierung schnell auf die Corona-Krise reagieren. Wirtschaftlich ist die Slowakei  weitgehend vom Autobau internationaler Konzerne abhängig, im Gesundheitswesen mangelt es an Personal, Ausrüstungen und Atemschutzmasken. Angesichts dessen schreibt Matúš Kostolný, der Chefredakteur der Tageszeitung Denník N: "Igor Matovič steht vor einer äußerst schwierigen Aufgabe: Er muss schnell damit überzeugen, dass er das Land verwalten kann. Bisher hat er Chaos verbreitet, jetzt muss er sich beruhigen, aber gleichzeitig energisch und rational regieren. Denn jetzt geht es wirklich um das Leben."