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PolitikSlowakei

Slowakei: Regierung will Zeitung für Dystopie bestrafen

13. September 2024

Ein slowakischer Journalist entwirft in der fiktiven Zeitung "Untergrundkurier" die Folgen eines russischen Angriffs auf die Slowakei im Jahr 2028. Die Regierung unter Robert Fico will gegen das Medienprojekt vorgehen.

Screenshot einer Webseite, auf der das Faksimile einer Zeitung und rechts in slowakischer Sprache Angaben zu Spenden zu sehen sind
Slowakisches Medienprojekt "Untergrundkurier": Durch Crowdfunding wurden 62.563 Euro gesammelt. Spenderinnen und Spender bekommen die gedruckte Ausgabe zugesandtBild: www.startlab.sk

Am 21. September 2028 weist der slowakische Premier Mstislav Behauptungen zurück, denen zufolge Generäle der russischen Armee zusammen mit bewaffneten Mitgliedern russischer Spezialeinheiten in der Slowakei seien. Drei Tage später titelt die Zeitung "Untergrundkurier" (Podzemny kurier): "Russland greift seit dem Morgen auf dem gesamten Territorium der Republik an".

Über das düstere - aber natürlich fiktive - Szenario im Herbst 2028 kann man sich schon jetzt informieren: Ende August 2024 erschien in der slowakischen Hauptstadt Bratislava die erste gedruckte Ausgabe des Untergrundkuriers. Es ist ein Medienprojekt des slowakischen Journalisten Tomas Forro. In der Zeitung spielen der 45jährige Reporter und einige weitere Journalisten und Analysten Szenarien durch, die eintreten könnten, falls Russland die Ukraine besiegt und anschließend die Slowakei angreift.

Der slowakische Journalist Tomas ForroBild: Aureliusz Marek Pędziwol/DW

Das Projekt Untergrundkurier hat auf der slowakischen Crowdfunding-Plattform startlab.sk 62.500 Euro (Ende der Kampagne: 12.09.2024) gesammelt. Alle Spenderinnen und Spender bekommen ein gedrucktes Exemplar zugesandt. Ein Ziel - die massenhafte Verbreitung der Publikation - hat das Projekt bereits erreicht. Weitere Ausgaben der Zeitung sind geplant.

Leiter des Regierungsamtes fordert "Gegenmaßnahmen"

Noch bevor der Druck der ersten Ausgabe verteilt war, sorgte ihr Inhalt für Unmut in der Regierung des populistischen Premiers Robert Fico. In einer Stellungnahme des Regierungsamtes, das die Tätigkeit der slowakischen Regierung organisiert, hieß es Mitte August: "Diese Lügen sollen Chaos verbreiten und das Vertrauen in die Institutionen untergraben, die Frieden und Sicherheit schützen."

Der slowakische Premier Robert FicoBild: Radovan Stoklasa/REUTERS

Juraj Gedra, der Leiter des Regierungsamtes, will gegen den Untergrundkurier vorgehen. Er sagte in einem Facebook-Video Ende August, die Publikation sei eine "Manipulation der Realität" und forderte "Gegenmaßnahmen vom Kulturministerium und den Sicherheitskräften", ohne allerdings konkret zu werden. Interessant dabei: Gedra gehört zu den Gründern einer Regierungskampagne unter dem Titel "Ich respektiere eine andere Meinung", die in diesem Herbst landesweit anlaufen soll.

Umbau des Staates

Der Ruf nach Zensur passt in die Strategie des Premiers Robert Fico. Er war 2018 nach Massenprotesten zurückgetreten, weil ihm und seiner nominell sozialdemokratischen Partei SMER-SD eine Mitschuld an der Ermordung des slowakischen Investigativjournalisten Jan Kuciak und dessen Verlobter Martina Kusnirova vorgeworfen wurde. Seit der Wahl vom Herbst 2023 ist Fico zurück an der Macht. Diesmal mit einer Links-Rechts-Koalition unter Beteiligung der sozialdemokratischen Partei Hlas-SD und der ultrarechten Slowakischen Nationalpartei (SNS).

Protest gegen die Umgestaltung des slowakischen Rundfunks am 27.03.2024. Auf dem Transparent steht: "Hände weg von RTVS!"Bild: Pavol Zachar/TASR/AP Photo/picture alliance

Mit einer knappen Parlamentsmehrheit versucht die Koalition, den Rechtsstaat in der Slowakei umzubauen. Fachleute wurden über Nacht aus Leitungspositionen entfernt, beispielsweise beim Slowakischen Nationaltheater oder der Nationalgalerie. Trotz Massenprotesten wurde im Sommer 2024 per Gesetz aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen und Rundfunk der Slowakei ein staatlicher Sender unter neuem Namen mit direktem Regierungseinfluss gemacht. In den privaten Medien geraten die Journalisten ebenfalls unter Druck. So wie beispielsweise Forro.

Orban mit Großungarn-Symbolik

Den Unmut der Regierung erregte er vor allem, weil sein Untergrundkurier das Szenario einer Invasion "ungarischer Terroristen" in der Südslowakei entwirft, was dann zu einer Abspaltung des Landesteils führt - ähnlich, wie es in Teilen des ostukrainischen Donbas 2014 geschah. Doch obwohl das slowakische Regierungsamt ein solches Szenario als "Einschüchterung der Bevölkerung" verurteilte, ist es so abwegig nicht.

Der ungarische Regierungschef Viktor Orban zeigte sich in den vergangenen Jahren mehrfach mit Großungarn-Symbolen, so etwa 2022 bei einem Fußballspiel mit einem Schal, auf dem das einstige Großungarn in den Grenzen vor dem Ersten Weltkrieg zu sehen war, mit Teilgebieten Kroatiens, Österreichs, Rumäniens, Serbiens, Sloweniens, der Ukraine - und der Slowakei.

Orban mit Großungarn-Schal: Screenshot von Orbans Facebook-Account am 21.11.2022Bild: facebook.com/orbanviktor

Offiziell fordert Orban keine Grenzrevisionen. Ungarns Premier nennt Fico sogar "meinen Freund" und lobt die ungarisch-slowakische Partnerschaft. Allerdings distanziert er sich auch nicht explizit von Ideen zur Grenzrevision. Als die rechtsextreme ungarische Partei "Unsere Heimat" im Januar 2024 den Anschluss der ukrainischen Region Transkarpatien an Ungarn forderte, falls die Ukraine den Krieg verliere, waren von Orban keine Worte der Verurteilung zu hören.

Schon jetzt hybrider Krieg

Tomas Forro weiß jedenfalls, wovon er spricht, wenn er für die Südslowakei ein Donbas-Szenario entwirft. Er ist seit 2016 immer wieder in der ostukrainischen Region unterwegs gewesen, hat sowohl mit Menschen im nicht besetzten als auch im russisch besetzten Teil gesprochen und darüber ein Buch geschrieben. Bis heute ist er als Kriegsberichterstatter an der Front in der Ukraine unterwegs.

Premier Robert Fico, der Orbans Fidesz noch vor einigen Jahren als "chauvinistische und großungarische Partei" bezeichnete, pflegt heute seinerseits ein pragmatisch-freundschaftliches Verhältnis zu Orban. Innen- wie außenpolitisch geht Ficos Regierung auf Distanz zu westlichen Werten. Die slowakische Staatsspitze beteuerte zwar zuletzt Anfang September 2024 im Umfeld der Feierlichkeiten zum Nationalaufstand vor 80 Jahren wieder einmal die EU- und NATO-Anbindung des Landes. Doch neuerdings wird dabei ein souveränes nationales Handeln betont.

Ungarns Premier Viktor Orban und sein slowakischer Amtskollege Robert Fico am 26.10.2023 in BrüsselBild: Ludovic Marin/AFP/Getty Images

Die staatliche Militärhilfe für die Ukraine hat die Fico-Regierung direkt nach ihrem Amtsantritt im Oktober 2023 ausgesetzt. Allerdings: Kommerzielle Waffenlieferungen soll es weiterhin geben. Trotz der geltenden EU-Sanktionen bekommen die Slowakei und Ungarn russisches Öl. Die Ankündigung aus Kiew, durch eine Unterbrechung der Pipeline der Umgehung der Sanktionen einen Riegel vorzuschieben, beantwortete Bratislava mit der Drohung, Diesellieferungen an die Ukraine einzustellen.

Für diese Politik hat Tomas Forro nun einen Begriff erfunden: Er spricht von einer "Zwei-Wege-Politik" der Slowakei. Politische Doppelzüngigkeit könnte zur Erosion der Rechtsstaatlichkeit sowie zu offener militärischer Gewalt führen, warnt der Initiator des Untergrundkuriers. Seine Medieninitiative macht mit ihrem provokanten Narrativ klar: Die Slowakei befindet sich schon jetzt mitten im hybriden Krieg.