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PolitikSlowakei

Slowakei: Urteil gegen den Fico-Attentäter erwartet

20. Oktober 2025

Ein Gericht in der Slowakei verkündet am Dienstag das Urteil gegen den Urheber des Attentats auf Ministerpräsident Robert Fico. Doch schon jetzt steht fest: Das Land ist seit dem Anschlag im Mai 2024 ein anderes.

Ein Mann mit einem kurzen Vollbart - der Fico-Attentäter -  hält zwei Finger zum Siegeszeichen in die Höhe
Der Fico-Attentäter von Gericht in Banska BystricaBild: Vaclav Salek/CTK/picture alliance

In seinem Schlusswort vor Gericht wirkte der angeklagte Attentäter ebenso verwirrt wie verblendet. Während seiner fast zweistündigen Rede sagte Juraj Cintula, keine bestimmte Person, sondern "das Leben selbst" habe ihn beauftragt, das Attentat auf den slowakischen Regierungschef Robert Fico auszuführen. Er bezeichnete die Tat als "Schrei der Missbilligung, als Warnung", motiviert nicht durch Hass, sondern getrieben von Verzweiflung.

Streckenweise sprach er in pastoralem Ton und klang so, als sei nicht er es gewesen, der am 15.05.2024 geschossen hatte. "In diesem Prozess geht es nicht um mich", behauptete der Rentner, "sondern darum, dass wir alle für einen Moment innehalten und uns fragen, warum und wie es so weit kommen musste."

In diesem Gerichtssaal in Banska Bystrica wird das Urteil gegen den Fico-Attentäter gesprochenBild: Vaclav Salek/CTK/picture alliance

Das Gericht für besonders schwere Straftaten in der mittelslowakischen Großstadt Banska Bystrica: Hier läuft der Prozess gegen den 72-jährigen Rentner Juraj Cintula, der den slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico im Mai 2024 mit fünf Schüssen aus einer Pistole lebensgefährlich verletzt hatte. Am 8.10.2025 ging die Beweisaufnahme im Prozess zu Ende, Cintula sprach sein Schlusswort. Am morgigen Dienstag (21.10.2025) soll das Urteil verkündet werden - der Beschuldigte könnte eine lebenslängliche Strafe erhalten.

Cintula selbst bestreitet eine Mordabsicht, er habe Fico nur verletzen wollen. Vor dem Attentat war der schwer einzuordnende Mann in sozialen Medien mal mit rechtslastigen, mal mit liberalen Ansichten aufgefallen. Dass er Fico und dessen Politik ablehnt, gibt er zu. Mit seiner Tat habe er auf die schlimme politische Lage aufmerksam machen wollen, sagte er mehrfach. Worin die nach seiner Ansicht besteht, blieb in seinen Aussagen oft vage.

Der Anschlag und seine Folgen

Die Slowakei war seit ihrer Unabhängigkeit 1993 nicht arm an politischer Gewalt. Doch das Attentat auf Robert Fico erschütterte und veränderte das Fünfeinhalb-Millionen-Land nachhaltig - vor allem, weil es die Persönlichkeit des Premiers selbst spürbar veränderte und dieser nun dabei ist, die Slowakei radikal umzukrempeln. Seit dem Attentat, schreibt Matus Kostolny, Chefredakteur der Tageszeitung Dennik N, habe sich Ficos Gefühl vertieft, dass er ständig um sein Leben kämpfe und jeder ihn ausschalten wolle. "Seitdem wiederholt er Fabeln über einen Putsch, über Verschwörungen und die Einmischung ausländischer Mächte in die slowakische Politik."

Nach dem Attentat am 15.05.2024 wurde Fico per Rettungshubschrauber in ein Krankenhaus gebrachtBild: AFP/Getty Images

Einst reformorientierter Sozialdemokrat, schlug der gelernte Jurist Fico, 61 Jahre, bereits in seiner ersten Amtszeit als Premier ab 2006 einen populistischen Weg ein und begann, mit seinem ausufernden Machtbewusstsein und Korruptionsaffären Schlagzeilen zu machen. Im Februar 2018, während seiner dritten Amtszeit, wurden der Investigativ-Journalist Jan Kuciak und seine Verlobte ermordet; Kuciak hatte zu Verbindungen zwischen organisierter Kriminalität und slowakischer Politik recherchiert. Nach dem Mord musste Fico zurücktreten. Obwohl er mit der Tat nichts zu tun hatte, schien er wegen seiner anderweitigen tiefen Verstrickungen in Korruptionsaffären politisch erledigt.

Rückkehr an die Macht

Bald darauf kam eine Reformkoalition an die Macht, die viel vorhatte, sich jedoch nahezu von Anfang an zerstritt. Vor dem Hintergrund einer chaotischen Regierungsführung gewann Ficos nominell sozialdemokratische, faktisch aber rechtspopulistisch-nationalistische Partei SMER-SD (Richtung-Sozialdemokratie) im Herbst 2023 die Parlamentswahl. Fico feierte ein politisches Comeback und wurde zum vierten Mal Premier, in einer Koalition mit Nationalisten und der Partei Hlas (Stimme), einer sozialdemokratischen Abspaltung seiner SMER. Seitdem schlägt die Slowakei einen ähnlichen Weg ein wie Ungarn unter Viktor Orban: illiberal, rechtsnationalistisch, prorussisch.

Robert Fico bei einer Pressekonferenz nach einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr SelenskyjBild: Roman Hanc/TASR/dpa/picture alliance

Ficos erklärtes Ziel war von Anfang an, Justizreformen rückgängig zu machen und den Kampf gegen Korruption abzuschwächen. Denn einer seiner engsten politischen Weggefährten, der ehemalige Innenminister Robert Kalinak, der heute Verteidigungsminister ist, kam 2022 zeitweise in Untersuchungshaft - wegen Korruptionsvorwürfen und des Vorwurfs, mit Fico eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben. Fico selbst entging einer U-Haft nur, weil er Parlamentsabgeordneter war und der slowakische Nationalrat einer Verhaftung hätte zustimmen müssen.

Staatsumbau

Fico war erst knapp sieben Monate im Amt, als Juraj Cintula am 15. Mai 2024 in einer mittelslowakischen Kleinstadt auf ihn schoss. Der Premier überlebte nur knapp. Er war noch nicht vollständig genesen, als er in seiner ersten öffentlichen Ansprache per Video zwar dem Täter verzieh, aber die Oppositionsparteien für den Mordanschlag auf seine Person verantwortlich machte. Seitdem war klar: Das Attentat diente Fico als Vorwand und Katalysator für seine politischen Umbaupläne.

So etwa wurde die Sonderstaatsanwaltschaft (USP) für die Untersuchung von Korruption und organisierter Kriminalität abgeschafft, Strafmaße und Verjährungsfristen, die auch Korruptionsfälle betreffen, wurden herabgesetzt. Nach ungarischem Modell wurde eine "Transparenzpflicht" für Nicht-Regierungsorganisationen eingeführt, die "ausländisch finanziert" sind. Ebenfalls nach ungarischem Vorbild wurde der öffentlich-rechtliche Rundfunk (RTVS) so umgebaut, dass Ficos Regierung und Parlamentsmehrheit größeren Einfluss auf eine politische Ausrichtung nehmen kann.

Verfassungsänderung

Auch die Verfassungsänderung von Ende September 2025 ahmt Orbans Ungarn nach: Die Verfassung erkennt nun nur noch zwei Geschlechter an (männlich/weiblich), Eltern eines Kindes können nur ein Mann und eine Frau sein, Adoptionen für homosexuelle Paare sind nicht mehr möglich. Außerdem erklärt die Slowakei ihre "Souveränität" im Bereich der nationalen Identität und bei kulturell-ethischen Grundprinzipien.

Viele slowakische Kommentatoren sehen zumindest in einem Teil dieser Gesetzes- und Verfassungsänderungen eine Symbolpolitik, die von den wirtschaftlichen und finanziellen Problemen der Fico-Regierung ablenken soll. Sie muss beispielsweise ein hohes Haushaltsdefizit senken und dafür unpopuläre Sparmaßnahmen durchführen. Gleichzeitig droht der Slowakei wegen der Krise auf dem internationalen Automarkt eine schwere Rezession, da die Pkw-Produktion der wichtigste Wirtschaftszweig des Landes ist.

Der autoritäre Umbau des Staates führt in der Slowakei immer wieder zu Demonstrationen gegen Regierungschef FicoBild: Radovan Stoklasa/REUTERS

Die Erklärung anderer slowakischer Kommentatoren für den Staats- und Gesellschaftsumbau lautet, dass Fico "besessen von Rache" sei - das ist auch der Titel eines Buches des bekannten slowakischen Journalisten Peter Hardy über Robert Fico. Der Chefredakteur von Dennik N, Matus Kostolny, schreibt: "Es geht Fico nicht mehr nur um Politik. Er kämpft für seine eigene Freiheit. Er hat aufgehört, nach den Regeln zu spielen."

Aus dem Prozess gegen seinen Attentäter hielt sich Robert Fico vollständig heraus. Dafür wiederholten seine Anwälte immer wieder Ficos ursprüngliche Behauptung: Das Attentat sei ein Ergebnis des Hasses, den Opposition, NGOs und Medien gegen ihren Mandanten, den Premier, geschürt hätten.