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Politik

Slowakei - Ein Blick hinter die Kulissen

Zoran Arbutina | Marla Mies
15. März 2018

Der Regierungschef ist zurückgetreten, die Krise in der Slowakei dauert aber an: der Mord am Journalisten Kuciak ist immer noch nicht aufgeklärt. Ein Überblick über die Ereignisse der vergangenen Monate.

Slowakei Bratislava Demonstrationen nach Journalistenmord
Bild: Reuters/R. Stoklasa

Der Ministerpräsident tritt zurück

Am Ende war der Druck doch zu groß. Seit Tagen protestierten zehntausende Slowaken gegen seine Regierung, Staatspräsident Andrej Kiska hatte ihm den Rücktritt nahe gelegt, und dann hat sich sogar sein Koalitionspartner, die Ungarnpartei Most-Hid, den Forderungen nach den Neuwahlen angeschlossen. Nun reichte der slowakische Regierungschef Robert Fico seinen Rücktritt ein. Damit will er einem Misstrauensvotum im Parlament zuvorkommen und gleichzeitig aus der Schusslinie kommen. Kritiker werfen ihm mangelndes Interesse an der Aufklärung des Mordes an dem Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova vor. Mit dem jetzigen Rücktritt versucht Fico, die Tür für eine mögliche politische Rückkehr offen zu halten: Er machte zur Bedingung, dass seine Drei-Parteien-Koalition weiter regieren kann und seine Sozialdemokratische Partei den neuen Regierungschef vorschlagen darf. Nun soll sein Parteifreund Peter Pellegrini die Regierung weiter anführen.

Der Innenminister tritt zurück

Schon drei Tage vor dem Rücktrittgesuch des Regierungschefs war Innenminister Robert Kalinak zurückgetreten. Auch er ist Mitglied der Sozialdemokratischen Partei. Er steht seit langem in der öffentlichen Kritik, und mehrmals wurde bei den Massendemonstrationen der letzten Wochen seine Absetzung wegen Korruption gefordert. Ihm wird vorgeworfen, einen umstrittenen slowakischen Oligarchen in einem Fall des Steuerbetrugs gedeckt zu haben. Auch an einer der Firmen des Oligarchen sei er beteiligt.

Der bisherige stellvertretende Premierminister Peter Pellegrini soll neuer Regierungschef werdenBild: Reuters/D. W. Cerny

Demonstrationen

Schon vor dem Mord an Kuciak und Kusnirova brodelte es unter der Oberfläche in der Slowakei. Immer wieder gingen Tausende auf die Straße, um gegen Vetternwirtschaft und Korruption zu protestieren. Nun waren es Zehntausende, die in der Hauptstadt Bratislava und anderen slowakischen Städten die Aufklärung des Mordes und einen Kampf gegen den "Mafia-Staat" forderten. Viele der Demonstranten waren junge, pro-europäisch orientierte Menschen, die eine "anständige Slowakei" fordern. Es war von der größten Demonstration in der Slowakei seit der "Samtenen Revolution" von 1989 die Rede.

Der Mord an Jan Kuciak und Martina Kusnirova

Der Journalist Jan Kuciak und seine Verlobte Martina Kusnirova wurden regelrecht hingerichtet. Sie wurden in ihrem Wohnhaus im Dorf Velka Maca, etwa 60 Kilometer östlich von Bratislava, aufgefunden, getötet durch gezielte Schüsse in Brust und Kopf. Kuciak hatte mehrfach Artikel über korrupte Machenschaften in der Slowakei veröffentlicht. Zuletzt recherchierte er zu mutmaßlichen Verbindungen der Regierungspartei zur italienischen Mafia. Die Polizei geht davon aus, dass Kuciaks Tod "höchstwahrscheinlich" mit seinen Recherchen zusammenhängt. Er hatte herausgefunden, dass vor allem in der Ostslowakei ein Netzwerk der kalabrischen Mafiaorganisation 'Ndrangheta operiert. Dabei soll es unter anderem auch um den Missbrauch und die Veruntreuung von EU-Agrarsubventionen gehen.

Trauer um Jan Kuciak und Martina KusnirovaBild: Getty Images/AFP/A. Halada

Fico und die Presse

Einen Mord an einem Journalisten gab es in der Slowakei vorher noch nie, verschiedene Übergriffe aber schon. Einer der letzten größeren Fälle war im Juni 2016 ein Brandanschlag auf den Wagen des Enthüllungsjournalisten Milos Majko; zwei andere Journalisten sind seit Jahren spurlos verschwunden. Am Dialog mit Journalisten hat Premierminister Fico kein Interesse; er beleidigte sie fortwährend als "antislowakische Prostituierte", "dreckige Huren", "schleimige Schlangen", "Arschlöcher" und "Hyänen". Die Journalisten seien vom Ausland bezahlte Staatsfeinde, behauptete Fico immer wieder.

Das Model und die Mafia

Jan Kuciak ließ sich von diesen Beschimpfungen nicht beeindrucken. Laut seinen Recherchen lebte das slowakische Ex-Model Maria Troskova früher mit dem mutmaßlichen Mafiaboss Antonino Vadala zusammen und unterhielt mit ihm rege Geschäftsbeziehungen. Seit Jahren ist Vadala im Osten der Slowakei ansässig, wohin er vor der italienischen Polizei geflüchtet war. Dann machte Premierminister Fico Maria Troskova trotz fehlender politischer Erfahrung zu seiner persönlichen Assistentin. Im April des vergangenen Jahres nahm sie sogar an einem Treffen der deutschen und der slowakischen Regierung teil, obwohl ihre Anwesenheit von deutscher Seite nicht erwünscht war. Inzwischen ist das Ex-Model untergetaucht.

Ein wirtschaftlicher Musterschüler...

Seit mehr als zehn Jahren boomt die slowakische Wirtschaft. Nach der Wende wurden bei der Umstrukturierung der Gesellschaft neoliberale Konzepte sehr konsequent angewandt. Bis auf wenige Ausnahmen wurde die komplette Wirtschaft privatisiert, die Banken sind fast vollständig in ausländischen Händen, das Land hat eine allgemeine einheitliche Flat Tax eingeführt, die Löhne und Sozialausgaben wurden niedrig gehalten. Das zog ausländische Investoren an. Das Wirtschaftswachstum ist kontinuierlich eines der höchsten in Osteuropa. 2009 wurde der Euro eingeführt. Und der Arbeitsmarkt für qualifizierte Arbeitskräfte ist fast leergefegt. Viel Geld ist im Umlauf, auch schmutziges Geld aus dubiosen Quellen. Der ungezügelte Kapitalismus, begleitet von mangelhafter Rechtsstaatlichkeit, begünstigt die Verfilzung zwischen Politik und zwielichtigen Geschäftsleuten. Korruption macht sich breit.

Die größte Demonstration in der Slowakei seit der "Samtenen Revolution" von 1989Bild: Reuters/R. Stoklasa

...ein neuer Problemfall

Lange Zeit galt die Slowakei als Musterknabe unter den neuen EU-Mitgliedsstaaten. Die wirtschaftlichen Daten waren blendend, und obwohl das Land auch Mitglied der sogenannten Visegrad-Gruppe ist, zeigte sich Slowakei aus Brüsseler Sicht wesentlich pflegeleichter als Polen, Ungarn oder Tschechien, nicht zuletzt in der Flüchtlingskrise. Mehrmals betonte Fico, sein Land gehöre zu Kerneuropa und spiele in der EU eine konstruktive Rolle. Nun hat aber das Land ungewollt die Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit auf sich gezogen - als Problemfall. So sah sich das Europaparlament gezwungen, eine Untersuchungskommission nach Bratislava zu schicken, um die Hintergründe für den Doppelmord zu erfahren. Die Ermittlungen der slowakische Polizei dauern an.

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