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Politik

Slowakei: Wahlsieg der Protestparteien

1. März 2020

Die Slowaken haben Korruption und organisierte Kriminalität in der Politik satt. Bei der Parlamentswahl stimmten viele für rechte Protestparteien. Die Slowakei könnte auf eine politisch instabile Zukunft hinsteuern.

Slowakei Wahlen | Igor Matovic
Wahlgewinner: Unternehmer Igor Matovic mit OLaNOBild: AFP/V. Simicek

Kaum eine Parlamentswahl ist in der Geschichte der unabhängigen Slowakei mit so viel Spannung erwartet worden wie diese. Es war eine Wahl der großen Wut und der großen Hoffnungen. Denn seit dem Mord an dem Investigativjournalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová vor fast genau zwei Jahren hatten immer mehr Menschen in der Slowakei das Gefühl, in einem mafiösen Staat zu leben, den eine Clique korrupter Politiker und krimineller Oligarchen kontrolliert. Deshalb sagten alle Umfragen der vergangenen Wochen und Monate für diesen Samstag ein Wahlergebnis voraus, das einen einschneidenden politischen Wandel nach sich zöge.

Europapolitische Konsequenzen

Nun ist dieser Wandel für die Slowakei gekommen - allerdings deutlich anders, als die Umfragen prognostizierten. Eine Mehrheit der Wähler hat für schwer berechenbare Protestparteien mit rechtskonservativen, rechtspopulistischen und europaskeptischen Positionen gestimmt. Zwar ist der große Durchbruch der Rechtsextremen ausgeblieben. Doch nur eine einzige Partei aus dem gemäßigten liberal-konservativen Spektrum ist im Parlament vertreten. Zugleich sind aus diesem Spektrum rund 18 Prozent der Wähler gar nicht im Parlament vertreten, und zwar wegen der Sperrklauseln für Parteien und Wahlbündnisse - so viele Ausgeschlossene wie nie zuvor. Damit steuert die Slowakei in eine ungewisse, möglicherweise instabile Zukunft - was auch europapolitisch von weitreichender Bedeutung sein dürfte.

"Für eine anständige Slowakei" - Demonstration am ersten Jahrestag des Mordes Ján Kuciak (Februar 2019)Bild: Getty Images/AFP/V. Simicek

Der große Wahlsieger ist mit 25 Prozent der Stimmen die ideologische schwer einordbare Protestpartei OLaNO ("Gewöhnliche Leute und unabhängige Persönlichkeiten") des Medienunternehmers und Politaktivisten Igor Matovic. Er präsentiert sich als unerbittlicher Kämpfer gegen Korruption und für mehr Rechtsstaatlichkeit. Zugleich vertritt er viele rechtspopulistische und rechtskonservative Positionen. Zwei weitere kleine Parteien mit ähnlicher Programmatik sind ebenfalls im neuen Parlament vertreten.

Abgestraft: Langzeit-regierende SMER

Demgegenüber wurde die Partei SMER klar abgestraft. Sie regierte seit 2006 fast ununterbrochen und ist nominell sozialdemokratisch, faktisch aber nationalistisch-rechtspopulistisch. Allerdings erhielt sie mit 18 Prozent dennoch mehr Stimmen als erwartet. Die neofaschistische "Volkspartei Unsere Slowakei" (LSNS) von Marian Kotleba kam dagegen nur auf knapp acht Prozent und damit sogar auf leicht weniger als vor vier Jahren. Umfragen hatten die Partei zeitweise bei 14 bis 16 Prozent gesehen.

Die liberal-konservative Newcomer-Partei "Für die Menschen" ("Za Ludi") des ehemaligen Staatspräsidenten Andrej Kiska erhielt knapp sechs Prozent. Dagegen scheiterte das sozialliberale Wahlbündnis "Progressive Slowakei/Zusammen" (PS/Spolu) knapp an der Sieben-Prozent-Hürde für Wahlkoalitionen, ebenso wie die Christdemokraten, die auf knapp unter fünf Prozent kamen. Auch ist erstmals seit 1990 keine Partei der ungarischen Minderheit mehr im Parlament vertreten.

Die Quittung kassiert: Die Partei SMER kann die Regierung nicht mehr stellenBild: picture-alliance/AP/Ctk/V. Salek

Eine zutiefst gespaltene Slowakei

Insgesamt zeigt sich im Wahlergebnis das Bild einer zutiefst gespaltenen Slowakei. Zwar wünschen sich die Wähler fast einhellig einen tiefgreifenden Wandel hin zu mehr Rechtsstaatlichkeit, Transparenz, nachhaltigem Regieren und einer besseren Sozialpolitik. Doch diese Aufgabe vertraut eine Mehrheit der Wähler nun Anti-Establishment-Parteien an, deren Politikverständnis und Programmatik Zweifel daran aufkommen lassen, dass sie die Wählerwünsche umsetzt.

Exemplarisch dafür steht der OLaNO-Chef Igor Matovic. Der 46-jährige Geschäftsmann machte einst mit Werbezeitungen ein Vermögen und inszeniert seine Politik seit einem Jahrzehnt als Mischung aus zivilem Aktivismus und provokanter Reality-Show. Mal lässt er Immobilien mutmaßlich korrupter Politiker symbolisch beschlagnahmen, mal recherchiert er zu Briefkastenfirmen und filmt das mit einer Videokamera, mal lässt er vor dem Regierungssitz tausende Kerzen anzünden, um auf die Toten durch Korruption im Gesundheitswesen aufmerksam zu machen. Seine Wähler können auf der Internetseite rozhodni.to ("Entscheide es") über elf Programmpunkte und populistische Gesetzesinitiativen von OLaNO abstimmen.

"Entscheide es" - Wahlplakat von Igor Matovic und OLaNOBild: picture-alliance/NurPhoto/B. Zawrzel

Matovic liegt nicht nur mit ausnahmslos allen anderen Parteien im Dauerkonflikt, sondern auch mit eigenen Parteifreunden, von denen viele in den vergangenen Jahren OLaNO verließen. Er gilt als Egozentriker und Enfant terrible der slowakischen Politik, seine Partei als One-Man-Show. Er ist strikt gegen Abtreibung, gegen mehr Rechte für Homosexuelle und gegen die Aufnahme von Flüchtlingen in der Slowakei, er will Roma mit Sozialhilfeeinschränkungen und Arbeitsprogrammen drangsalieren und fiel im Parlament schon mit zweifelhaften Nazi-Vergleichen auf. Zugleich tritt er für mehr partizipative Demokratie und umfassende Transparenz in der Politik ein. Seinen Wahlsieg feierte er in der Nacht zum Sonntag als "Sieg über die Mafia" und mit den Worten: "Wir haben einen schlafenden Drachen geweckt!"

OLaNOs Problem: Koalitionspartner finden

Zum Regieren braucht Matovic allerdings Koalitionspartner. In Frage kämen dafür wahrscheinlich die stramm rechtskonservativ-populistische Partei "Sme Rodina" ("Wir sind eine Familie") des Unternehmers Boris Kollár sowie Kiskas Partei "Za Ludi". Allerdings dürften sich die Koalitionsverhandlungen äußerst schwierig gestalten, vor allem wegen der großen inhaltlichen Differenzen zwischen Matovic und Kollár einerseits sowie dem liberal-konservativen Ex-Präsidenten Kiska anderseits.

Angesichts dessen bewerten viele Beobachter in der Slowakei die politischen Perspektiven des Landes mit Skepsis und Sorge. "Es wird nicht ausreichen, gegen alle zu sein", schreibt Beata Balogová, die Chefredakteurin der Tageszeitung "SME". "Im Gegenteil: Matovic muss sich allen demokratischen Kräften anschließen. Das wird die größte Veränderung für ihn sein." Der Politologe Pavol Hardos bezeichnet Matovic als "Lehrbuchbeispiel eines populistischen Politikers". Es stehe zu befürchten, so Hardos, dass Matovics Wahlsieg zu einem "Pyrrhussieg" für die Slowakei werde.

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