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Ablenkungsturbo Smartphone: Konzentriert euch!

28. Januar 2019

Wir greifen rund 1500 Mal pro Woche zum Smartphone. So oft? Vielleicht! Forscher tun sich mit dem Nachweis schwer. Möglicherweise reicht es aber auch, wenn wir uns ab und an den analogen Spiegel vorhalten. Bitteschön.

Menschen starren auf ihr Handy, während sie auf den Zug warten
Bild: Imago/Westend61/W. Perugini

Wie oft warten wir am Bahnsteig, schauen uns um, sehen unsere Mitreisenden in orthopädisch höchst bedenklicher Haltung aufs Handy starren? Ein Handynacken neben dem anderen.

Unmöglich!

"Können die nicht mehr nur ihre Gedanken schweifen lassen, ein bisschen träumen", denken wir. Offenbar nicht.

Keine Minute später erwischen wir uns selber dabei, wie wir in der Tasche nach dem Handy fischen. Nur noch mal schnell den Zug checken. Natürlich. Und vielleicht das Wetter. Ein paar Nachrichten. Was ganz anderes also. 

Am Ende müssen wir uns nicht wundern, wie wir innerhalb einer Woche 1500 Mal zum Smartphone greifen. Umgerechnet heißt das 214 Mal am Tag, neun Mal in der Stunde. Das könnten Sie sich selbst ausrechnen, aber wer möchte sich die nackten Zahlen schon so vor Augen führen? Oft macht unser Handy das von ganz allein, etwa mit einem Wochenbericht zu unserem Nutzungsverhalten – der sich zum Glück schnell ungesehen aus dem Display wischen lässt.

Das sollten Sie mit diesem Beitrag aber auf keinen Fall tun, denn wir haben noch ein paar nützliche Tipps parat.

Lesen Sie mehr: Zeit zum Abschalten? Wenn Medien zur Sucht werden

Unser Smartphone: Eine Hassliebe

Laut Statista-Umfrage kennen wir unsere digitalen Marotten sehr gut: Die meisten Befragten stresst es, dass sie noch vor dem Aufstehen zu allererst zum Smartphone greifen, abends länger wach bleiben als geplant und generell zu viel Zeit mit ihrem Handy verbringen. Aber bei so viel Selbsteinsicht: Warum ist es so schwer, diese leidigen Gewohnheiten zu kontrollieren?

Ganz einfach: Weil die digitale Welt fasziniert.

"It's not that the digital world is bad, it's almost that it's too good", schreibt Tanya Goodin in "OFF. Your Digital Detox for a Better Life". Das Buch an sich mal dahingestellt, trifft Goodin mit diesem Satz den Nagel auf den Kopf.

Das digitale Feuerwerk

Denn letztlich überwiegen die digitalen Annehmlichkeiten die Nachteile, oder nicht? Auch wenn die Digitalisierung oft als Apokalypse beschrieben wird, würden die meisten dieses Zeitalter nicht mehr missen wollen. Keine Bange: Müssen Sie auch nicht. 

Lesen Sie mehr: Schöne neue Welt? Vom Leben mit Robotern

Nie war weltweite Kommunikation so einfach und schnell wie heute. Nie sind wir so einfach und schnell an Informationen gekommen. Nie wurden wir mit so vielen Nachrichten und Wissen überschüttet wie heute. Es gleicht einem digitalen Feuerwerk. 

Alexander Markowetz ist Autor und Informatiker an der Universität Bonn. Er hat mithilfe einer App im Rahmen des "Menthal-Projekts" die Handynutzung von 60.000 Personen ausgewertet. Das Ergebnis beschreibt er in "Digitaler Burnout" als "erschreckend". Die Auswertung zeige, dass unsere Handynutzung ein abnormales Ausmaß erreicht habe, dass wir uns allmählich zum "Homo Digitalis" entwickeln.

Eine Bodenampel, besonders komfortabel für Homo DigitalisBild: picture alliance/dpa/O. Berg

Markowetz geht davon aus, dass wir acht Stunden schlafen und 16 Stunden wach sind und demnach alle 18 Minuten unsere eigentliche Tätigkeit unterbrechen, um uns mit dem Smartphone zu befassen. Und wenn es nur ein Antippen für einen Blick auf die Uhr ist. Die einen nenne es "Multitasking" (gleich mehr dazu), für Markowetz ist es "Ablenkung".

Die Sache mit der Sucht

Ab wann genau unser digitales Nutzungsverhalten krankhafte oder suchtähnliche Züge annimmt, ist nur schwer zu bestimmen.

Auch im Bericht des Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung der Bundesregierung heißt es, dass das Thema nicht klar abgrenzbar sei, da sich einerseits die Medien selbst, andererseits die Nutzungsmuster der Menschen ständig verändern. Außerdem gebe es keine Einigkeit darüber, was als "normales Mediennutzungsverhalten" verstanden wird – und was nicht. Wie auch, unsere Großeltern können wir hier ausnahmsweise nicht fragen. Eine universale Definition von Mediensucht existiert (noch) nicht. 

Der Medienwissenschaftler Jörg Müller-Lietzkow sagt zum Beispiel, dass er es am sinnvollsten halte, Abhängigkeit an der Wirkung und nicht an der Konsumzeit festzumachen. Werden zum Beispiel Grundbedürfnisse – wie Essen, Trinken, Schlafen – vernachlässigt, hält er die Lage für kritisch.

Die World Health Organization (WHO) definiert Abhängigkeit allgemein als starkes Verlangen und als Kontrollverlust über den Konsum samt stetiger Zunahme.

Allerdings setzt die WHO hier immer die Abhängigkeit von einer konkreten Substanz voraus – also Drogen, Alkohol oder Tabak. Bislang wurde 2018 lediglich die "Gaming Disorder", also die Abhängigkeit von Computerspielen, als eigenständige und stoffungebundene Diagnose anerkannt.

Die meisten von uns sind jedoch keine "Heavy User", also wirklich süchtig. Dies sind nur Einzelfälle. Wir mit unserem Handynacken am Bahnhof befinden uns im Mittelfeld. Doch genau diese Gruppe hält Buchautor Markowetz für die gefährdetste. Denn der Großteil der Bevölkerung habe sich einen schädlichen Lebensstil angewöhnt, schreibt er. Und hiermit meint er nicht die ungesunde Körperhaltung.

Schwierige Studienlage

Inwiefern sich der alltägliche digitale Konsum jedoch genau und vor allem langfristig auf unser Leben auswirkt, stellt Forscher noch immer vor ein Rätsel. Vielleicht sogar vor ein unlösbares. 

Denn gemessen an wissenschaftlichen Maßstäben, existieren Smartphones erst seit einer relativ kurzen Zeit. Für eine Langzeitstudie hätten mit der Geräteeinführung direkt auch mit entsprechenden Untersuchungen begonnen werden müssen. Die Studienbedingungen hätten konstant bleiben und der technologische Fortschritt aufgehalten werden müssen.

Wie bei wissenschaftlichen Studien üblich, braucht es eine Kontrollgruppe, die in diesem Fall über einen entsprechend langen Zeitraum nicht mit digitalen Medien in Kontakt kommt.

Sie merken, die Sache wird kompliziert.... 

Anders sieht es bei den unmittelbaren Folgen aus. Diese lassen sich durchaus messen, wie die Studie "The Extendend iSelf: The Impact of iPhone Seperation on Cognition, Emotion and Physiology" zeigt.

Hierbei hatten Forscher Probanden eine Aufgabe vorgelegt. Während sie diese bearbeiteten, klingelte unverhofft ihr Smartphone, das sich nicht in greifbarer Nähe befand. Das Ergebnis: Herzfrequenz und Blutdruck nahmen zu, die Probanden berichteten von Unwohlsein oder einem Gefühl der Angst. Die kognitiven Leistungen nahmen ab. 

Und jetzt stellen Sie sich mal vor: Ihr Handy klingelt, aber sie kommen in dem Moment nicht ran. Sie kennen dieses seltsam-nervöse Gefühl, das sich dann breitmacht, stimmt's? Wir alle hätten vermutlich genauso in dieser Studie abgeschnitten.

Sie denken, Sie können Mutitasken? Wir müssen Sie enttäuschen. Im Straßenverkehr ist das Spielen am Smartphone ohnehin ein absolutes No-Go. Bild: picture-alliance/ANP

Mythos Multitasking: Wir tun mehr, schaffen weniger

Unser Smartphone ist ein Ablenkungsturbo. Wir aber denken, dass wir produktiver werden, gar Meister im Multitasking sind: Wir schreiben schließlich unzählige Nachrichten, suchen im Internet oder checken das Wetter in der App, anstatt aus dem Fenster zu sehen, und und und. 

Falsch.

"Wer täglich viel Multitasking betreibt, der wird nicht besser im Multitasken, sondern trainiert sich langfristig eine Aufmerksamkeitsstörung an", schreibt der Neurowissenschaftler Manfred Spitzer in "Cyberkrank". 

Dass Multitasking ein Mythos ist, zeigt ein analoges Beispiel: Wenn wir ein Buch lesen und uns jemand eine Frage stellt, hören wir den- oder diejenige nicht. Das menschliche Gehirn ist schuld, haben britische Forscher gezeigt, denn Multitasking liegt uns einfach nicht. "Taubheit durch Unaufmerksamkeit" heißt das Phänomen unter Psychologen und Neuroforschern. Wenn unser Gehirn ausgelastet ist, verarbeitet es Sinnesreize weniger gut.

Wenn Sie nun meinen, dass Sie beim Abwasch durchaus fähig sind, einer Unterhaltung zu folgen, mag das zutreffen. Routinetätigkeiten erledigen wir nebenbei. Wenn Sie aber beispielsweise telefonieren und sich gleichzeitig Notizen machen, dann erledigen Sie streng genommen nicht beides gleichzeitig, sondern wechseln blitzschnell zwischen beidem hin und her – und teilen ihre Aufmerksamkeit auf.

Smartphone-Sucht - Unser Experte im Gespräch

08:01

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Forscher der Stanford University haben im Rahmen einer Studie "heavy media mutitaskers" (HMMs) und "light media mutitaskers" (LMMs) gegeneinander antreten lassen. Diejenigen, die es gewohnt waren, viele Tätigkeiten gleichzeitig auszuführen – also die HMMs – schnitten schlechter ab als die Probanden, die weniger versiert im Multitasking waren.

Als Grund sehen die Autoren, dass es den LMMs leichter fiel, irrelevante Informationen auszublenden, was den HMMs weniger gut gelang. 

Zusammengefasst: Wir trainieren uns durch Multitasking unbemerkt eine Aufmerksamkeitsstörung an. Können weniger gut Prioritäten setzen und uns auf eine einzige Sache konzentrieren. Wir sind reizüberflutet. Stimmt's?

Zurück in den Flow!

Theoretisch wissen wir doch sehr gut über unsere schlechten digitalen Angewohnheiten Bescheid. Was wir brauchen: Die nötige Entschlossenheit. Also: Zurück in den Flow!

Mihály Csíkszentmihályi gilt als Erfinder der gleichnamigen Theorie. Sie beschreibt den optimalen Zustand für das Schaffen, zu dem ein Mensch in der Lage ist. Allerdings kommt dieser Zustand nicht von ungefähr: 15 Minuten vollste Konzentration dauert es, bis wir unser Gehirn in den Höchstleistungs-Modus schaltet. Den Flow. 

Jede Unterbrechung, jeder noch so kurze Blick aufs Smartphone zerstört diesen Flow wieder. Das heißt: Alles beginnt von vorne. Die ganzen 15 Minuten.

Sollten Sie konzentriert an etwas arbeiten wollen, denken sie zweimal darüber nach, ob sie der Versuchung widerstehen können. Oder ob Sie Ihr Smartphone lieber gleich für eine kurze Zeit aus Ihrer Nähe verbannen.

Ach, auch das Ausschalten oder der Flugmodus sind Möglichkeiten, wenn eine räumliche Trennung keine Option ist.

Hannah Fuchs Multimedia-Reporterin und Redakteurin mit Fokus auf Technik, digitalen Themen und Psychologie.
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