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Politik

So bewerten internationale Medien die Wahl

27. September 2021

Lange Koalitionsverhandlungen, Merkel-Wehmut und Schlüsselrollen für zwei kleinere Parteien: Der Blick aus anderen Teilen der Welt auf die Bundestagswahl ist vielfältig.

Indien Neu Dehli | Zeitungen zur Wahl in Deutschland
Auch in indischen Zeitungen ist die Bundestagswahl ein wichtiges ThemaBild: Aamir Ansari/DW

"Deutschland wählt Merkel-Nachfolger und bekommt... mehr Merkel" - so bringt es die britische "Daily Mail" auf den Punkt. "Merkel könnte bis zum Jahresende an der Macht bleiben, nachdem die Wahl an einem toten Punkt geendet hat", schreibt das Blatt.

Lange Koalitionsverhandlungen

Viele internationale Zeitungen stimmen ihre Leserschaft auf lange Koalitionsverhandlungen ein. Die liberale dänische Zeitung "Politiken" kommentiert: "Wer nächster Kanzler wird, ist noch ungewiss. Alles deutet darauf hin, dass es Wochen oder gar Monate dauern wird, bis die künftige Regierungskoalition steht. Aber unabhängig davon ist nach der historischen Wahl vom Sonntag eine Sache klar: Die mit Abstand größte Aufgabe der nächsten Regierung ist es, Deutschland viel weiter in den Kampf ums Klima hineinzubringen als bisher. Das ist nicht nur für Deutschland entscheidend, sondern für die ganze EU."

Die belgische Tageszeitung "De Tijd" sieht angesichts "launenhafter" Wählerinnen und Wähler die Verhandelnden vor einer "schweren Aufgabe": "Eine baldige Koalitionsbildung in Deutschland - mit welchen Farben auch immer - wäre für Europa das beste Zeichen von Sicherheit. Doch für die angestrebte Stabilität gibt es keine Garantie. Auch in Deutschland scheint der Konsens verloren gegangen zu sein. Und das ist keine gute Nachricht - weder für Deutschland, noch für den Rest Europas."

Am Ende könnte die Grüne Baerbock gemeinsam mit der FDP entscheiden, wer Kanzler wird: Scholz oder LaschetBild: Michael Kappeler/AFP/Getty Images

Die "Kleine Zeitung" aus Österreich bewertet die jeweilige Verhandlungsposition der vier maßgeblichen Parteien: "Mit seinem Sieg hat Scholz das Momentum nun zwar auf seiner Seite. Doch ob er jemals im Kanzleramt ankommen wird, ist keineswegs gesagt. Denn wirklich klar war das Votum nicht. Und obwohl der so glücklose wie ungeschickte Armin Laschet für die Union das schlechteste Ergebnis seit 1945 verantwortet und es für die von Merkel ideologisch entkernte CDU das Beste wäre, sich in der Opposition zu erneuern, bleibt der Christdemokrat im Poker um die Kanzlerschaft im Spiel. Letztlich wird es darauf ankommen, wer den über die eigene Hybris gestolperten Grünen und der FDP das beste Angebot unterbreitet. Deutschland stehen monatelange zähe Verhandlungen bevor. Das Land ist im Umbruch. Ob daraus der dringend notwendige Aufbruch wird, ist ungewiss."

Internationale Merkel-Wehmut

Die Wahl war für einige Zeitungen auch ein Anlass, die scheidende Kanzlerin Angela Merkel zu würdigen. "The Independent" aus Großbritannien bezeichnete sie als "Königin Europas" und "Gegengift zu Trump": "Ein bescheidenes Fanal der größten Hoffnungen der Menschheit, ein Bollwerk gegen die Welle des Populismus und ein Beweis, dass die Extremisten und Hasser nicht siegen müssen."

Angela Merkel beendet, im Gegensatz zu Donald Trump, ihre Regierungszeit freiwilligBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Der "New Zealand Herald" erinnert: "Merkels gleichmäßiger, kühler und schrittweiser Ansatz wurde kritisiert. Doch für viele war die Stabilität, die sie in grundsätzlich instabilen Zeiten bot, wichtig. Merkel hat sich den Weg gebahnt, Schritt für Schritt. Die Welt wird sich fragen, wie gut Deutschland ihre Fußstapfen ausfüllen kann."

Die Rolle der Juniorpartner

"India Today" rechnet damit, dass "lange Koalitionsgespräche anstehen, bevor eine neue Regierung ins Amt eingeführt wird, wahrscheinlich unter Beteiligung der Grünen und der Freien Demokraten". Auch die "South China Morning Post" aus Hongkong rechnet damit, dass diese beiden Parteien eine "entscheidende Rolle" spielen - und leitet daraus Schlussfolgerungen für das künftige deutsch-chinesische Verhältnis ab: "Von allen großen Parteien nehmen die beiden die härteste Haltung gegenüber China ein. (...) Beide Parteien wollen eine Neuausrichtung der Politik, weg von einem rein wirtschaftlichen Ansatz hin zu einem solchen, der die Menschenrechte stärker in den Blick nimmt. Sie treten für eine härtere Gangart gegen mutmaßliche Rechtsverletzungen in Xinjiang und bezüglich der Zerschlagung der Demokratiebewegung in Hongkong ein."

Die Existenz von "Umerziehungslagern" in der Provinz Xinjiang hat den deutschen China-Kurs kaum beeinflusstBild: Mark Schiefelbein/AP Photo/picture alliance

Die spanische "El País" kommentiert: "Deutschland steht vor einer neuen Parteienlandschaft. Die Ära der Parteien, die 30 oder 35 Prozent der Stimmen erhielten und es sich leisten konnten, mit einem einzigen Partner zu regieren, ist vorbei. Die Auffächerung der Stimmen bei dieser Wahl hat eine ungewöhnliche Situation geschaffen, in der zwei Parteien bei 25 Prozent liegen und drei weitere sich zwischen 10 und 15 Prozent bewegen. Lässt man die rechtsextreme AfD, mit der sich niemand einlassen will, aus der Gleichung heraus, dann sind zwei gar nicht mehr so kleine Parteien entscheidend für die Bildung der nächsten Regierung. Die Grünen und die Liberalen der FDP halten den Schlüssel bei der Entscheidung, ob der nächste Kanzler Olaf Scholz oder Armin Laschet heißt."

Viel Einfluss bei der Regierungsbildung: Grünen-Ko-Chefin Annalena Baerbock und FDP-Parteichef Christian Lindner

Die rechtsliberale "Neue Zürcher Zeitung" aus der Schweiz freut sich hingegen, dass die Linkspartei bei der Regierungsbildung keine Rolle spielen dürfte: "Das rot-grün-dunkelrote Regierungsbündnis, das Berlin seit fünf Jahren in Grund und Boden regiert, wird nicht auf den Rest der Republik übertragen werden können - allen Linksruck-Träumereien der Mehrheit der Mitglieder der drei Parteien zum Trotz. Nach den ersten Hochrechnungen - die Zeilen wurden wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale geschrieben - würden für eine solche Worst-Case-Koalition mehrere Sitze im nationalen Parlament fehlen."

Deutschland bleibt stabil

Die liberale "Sme" aus der Slowakei gibt sich durchaus positiv: Egal, wer letztendlich an der Regierung beteiligt ist, es werde der "gesunde Menschenverstand die Hauptrolle in der Politik spielen". (...) "Es lässt sich darüber diskutieren, wie sich das Land nach 16-jähriger Kanzlerschaft Merkels entwickeln wird. Die Vorstellung kann uns mehr oder weniger gefallen, aber das Ergebnis wird immer sein, dass Deutschland das schafft und ein stabiler, konstruktiver Teil der Europäischen Union sein wird. Klingt das langweilig? Möglicherweise ja, aber so soll eine funktionierende Demokratie aussehen, wie Deutschland sie ist. So, dass auch Schlüsselwahlen sie nicht bedrohen. Das ist vielleicht langweilig, aber es ist gut."

Mitarbeit: Anna Bakovic

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