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Politik

Kabul: So läuft die Evakuierung

25. August 2021

150 Starts und Landungen pro Tag, über 70.000 Evakuierte - die Rettungsaktion vom Flughafen in Kabul läuft auf Hochtouren. Und doch reichen die immensen Anstrengungen nicht aus, um alle Schutzbedürftigen auszufliegen.

Uzbekistan | Evakuierte aus Kabul in einem A400M-Flugzeug der Bundeswehr
Nur noch raus - Evakuierte aus Afghanistan in einem Airbus A400M der BundeswehrBild: Marc Tessensohn/Bundeswehr/Handout/REUTERS

Die Lage rund um den Flughafen in Kabul wird immer dramatischer, die Evakuierungen aus Afghanistan laufen auf Hochtouren. Unter Federführung des US-Militärs beteiligen sich weit mehr als ein Dutzend Staaten an den Rettungsflügen aus der afghanischen Hauptstadt, darunter auch die deutsche Bundeswehr, die mit mehreren Transportflugzeugen vom Typ Airbus A400M vom Flughafen im usbekischen Taschkent aus im Einsatz ist.

Wie viele Menschen wurden bereits evakuiert?

Insgesamt wurden seit Beginn der Evakuierungsflüge am 14. August mehr als 70.000 Menschen aus Afghanistan ausgeflogen, der Großteil davon durch das US-Militär. Aber auch zahlreiche andere Staaten beteiligen sich an der Rettungsmission, darunter Großbritannien, Frankreich, Italien, aber auch Indien, Japan oder Kanada.

Die Bundeswehr hat allein am Dienstag 983 Menschen nach Taschkent ausfliegen können, twitterte das Verteidigungsministerium am Mittwochmorgen. Damit hat die deutsche Luftwaffe bislang mehr als 4600 Menschen aus Kabul evakuiert. 

Dabei handele es sich um deutsche Staatsbürger, Bürger weiterer Staaten sowie um rund 3700 afghanische Staatsbürger, so das Auswärtige Amt.

Tausende Menschen warten jedoch noch immer darauf, aus Afghanistan evakuiert zu werden. Bundeswehroffizier Marcus Grotian vom Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte schätzt die Gesamtzahl der Afghanen, die allein für deutsche Organisationen gearbeitet haben, und ihre Angehörigen auf rund 8000. Hinzu kommen zahlreiche Frauenrechtlerinnen, Journalisten sowie mehr als 200 deutsche Staatsbürger.

Wie läuft die Evakuierung logistisch ab?

Die Evakuierung erfolgt ausschließlich über den Internationalen Flughafen in Kabul. Dieser verfügt nur über eine einzige Start- und Landebahn. Die gesamte Operation wird vom US-Militär organisiert. "Wir sind da nur Dienstleister", erklärt ein Sprecher des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr auf DW-Anfrage. Jeder beteiligte Staat bekomme minutengenaue Slots für die Landung und den Start seiner Maschinen zugewiesen. Insgesamt konnten so allein am Montag mehr als 150 Starts und Landungen durchgeführt werden.

Nach der Landung in Kabul muss es schnell gehen - weniger als eine Stunde bleibt zum Be- und Entladen, bevor die Maschine den Flughafen wieder verlassen mussBild: Taylor Crul/US AIR FORCE/AFP

Für die deutsche Bundeswehr gibt es derzeit fünf solcher Zeitfenster täglich. Rund anderthalb Stunden dauert ein Flug vom usbekischen Taschkent nach Kabul. Besonders die Starts und Landungen in Kabul gelten dabei als hochriskant. Mit besonderen Anflugmanövern versuchen die Piloten, so spät und so kurz wie möglich in die Reichweite möglicher Flugabwehrraketen zu geraten.

Die Verweildauer der Flugzeuge auf dem Flughafen in Kabul beträgt jeweils weniger als eine Stunde. In dieser Zeit müssen Hilfsgüter abgeladen und zu evakuierende Personen aufgenommen werden. Mitgenommen wird, wer mit einer Ausreiseberechtigung zu diesem Zeitpunkt am Flughafen vor Ort ist. Das seien nicht nur afghanische Ortskräfte und deutsche Staatsbürger, sondern könnten auch Staatsbürger anderer Nationen sein, so der Bundeswehrsprecher.

Wie kommen die Menschen überhaupt noch in den Kabuler Flughafen?

Die Situation rund um den Flughafen ist weiterhin chaotisch, sich auf eigene Faust auf den Weg dorthin zu machen, extrem gefährlich. Zehntausende Afghanen harren noch immer vor den Toren des Flughafens aus, in der Hoffnung, eingelassen zu werden. Talibankämpfer haben Checkpoints errichtet, Geheimdienste fürchten zudem Selbstmordanschläge der Terrororganisation "Islamischer Staat".

Tausende fluchtwillige Afghanen harren vor den Toren des militärischen Teils des Kabuler Flughafens ausBild: Wakil Kohsar/AFP

Zahlreiche Länder sind daher in Zusammenarbeit mit der US-Armee dazu übergegangen, Ausreiseberechtigte von geheimen Sammelpunkten aus mit militärischen Mitteln zum Flughafen zu bringen, sei es in gepanzerten Armeekonvois oder mit Hilfe von Kampf- und Transporthubschraubern. "Die westlichen Regierungen haben die Pflicht, die Leute, die sie auf ihre Listen genommen haben, auch auszufliegen - also, ihr Wort zu halten", mahnt Thomas Ruttig vom Afghanistan Analysts Network an. Dennoch fürchtet der Afghanistan-Experte, dass "bis zum Ende der militärischen Luftbrücke mit Sicherheit nicht alle ausfliegen können."

Wie lange kann die Luftbrücke noch aufrechterhalten werden?

Tatsächlich läuft den Evakuierenden die Zeit davon. Derzeit sollen noch mehr als 6000 US-Soldaten den Flughafen in Kabul sichern. Doch am 31. August - bekräftigte US-Präsident Joe Biden in der Nacht zu Mittwoch erneut - soll der Abzug der US-Amerikaner aus Afghanistan abgeschlossen sein. Die letzten Tage werden die US-Amerikaner daher damit beschäftigt sein, ihre verbliebenen eigenen Truppen und ihr militärisches Equipment zu verladen und auszufliegen.

Daher haben viele Nationen bereits angekündigt, ihre Evakuierungsflüge schon einige Tage vorher einzustellen. Frankreich will bereits am Donnerstag die letzten Flüge durchführen, auch Großbritannien will seine Flüge spätestens am Freitag einstellen. Wie lange Deutschland noch Evakuierungsflüge durchführen kann, ist bislang noch unklar. Meldungen, nach denen am Freitag der letzte Flug stattfinden soll, konnte die Bundesregierung bislang nicht bestätigen.  

Was passiert nach dem Abzug der US-Amerikaner?

Die Bundesregierung spricht eigenen Angaben zufolge weiter mit Taliban-Vertretern, um auch nach dem 31. August Menschen außer Landes bringen zu können. Im Gespräch sind etwa eine weitere Nutzung des Flughafens in Kabul für zivile Evakuierungsflüge oder auch ein Transport von Menschen auf dem Landweg in die Nachbarländer Afghanistans. Taliban-Vizechef Mullah Jakub zufolge sollen Afghanen auch in Zukunft das Land verlassen können. "Wenn sie für Jobs ins Ausland gehen oder ihr Leben verbessern wollen, können sie später Pässe beantragen, Visa bekommen und über legale Wege das Land verlassen", sagte er in einem Audio-Interview. 

Doch ob man diesen Aussagen trauen kann, bleibt unklar. Afghanistan-Experte Thomas Ruttig hält es zumindest "für ein realistisches Szenario, es zu versuchen und die Taliban darauf festzunageln", sagt er gegenüber der DW. Dazu jedoch müssten die Taliban auch in die Pflicht genommen werden: "Ich denke schon, dass die Talibanführung das tatsächlich ernst meint. Sie sind jetzt an der Macht, und sie müssen jetzt auch sichtbar dafür sorgen, dass bei ihnen niemand über die Stränge schlägt. Sie müssen zeigen, dass sie das Land kontrollieren."

Thomas Latschan Langjähriger Autor und Redakteur für Themen internationaler Politik