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So lebten deutsche Kriegsgefangene in Japan

Julian Ryall ehl
1. Februar 2020

Vor 100 Jahren hat Japan seine letzten deutschen Gefangenen aus dem Ersten Weltkrieg freigelassen. Viele von ihnen lebten seit 1915 in einem Lager nahe der Stadt Narashino. Julian Ryall war vor Ort.

Japan Gedenkstätte Narashino
Diese Baracken in Narashino waren für das Personal des Gefangenenlagers gedachtBild: Narashino City Municipal Board of Education

Als Österreich-Ungarn und das Deutsche Reich im Sommer 1914 in Europa den Ersten Weltkrieg begannen, war wohl kaum abzusehen, dass sich schon wenige Monate später tausende ihrer Landsleute in japanischer Kriegsgefangenschaft befinden würden. Der Grund: Der Krieg galt dem Vereinigten Königreich als willkommener Anlass, seine Machtposition im Pazifikraum auszubauen und die deutsche Kolonie Tsingtau (heute die chinesische Stadt Qingdao) einzunehmen. Der britische Bündnispartner Japan forderte die Deutschen auf, die Kolonie zu entwaffnen - als sie dieser Aufforderung nicht nachkamen, rückten japanische Truppen auf die Stadt vor. Ähnliche Szenen ereigneten sich auch auf von deutschen Kolonialisten gehaltenen Inselgruppen wie den Marshall- und den Marianeninseln.

"Hass in Freundschaft verwandeln"

"Die Geschichte von Kriegen sind oft Abfolgen von Hass und Vergeltung", sagt Masayuki Hoshi der DW. Er arbeitet für die Stadtverwaltung von Narashino, einer Stadt an der Bucht von Tokio, und hat sich über viele Jahre mit der Geschichte der deutschen Kriegsgefangenen dort beschäftigt. "Diese Abfolge zu brechen und dieselbe Erde miteinander zu teilen, verlangt von uns, Hass in Freundschaft zu verwandeln. Ich glaube, die deutschen Soldaten in den Lagern von Narashino haben das begriffen." In einer Welt, in der immer noch Kriege geführt werden, sei es wichtig, den nachfolgenden Generationen solche Geschichten zu überliefern. Das gilt auch heute, 100 Jahre nach der Freilassung der letzten deutschen Kriegsgefangenen in Narashino.

Das erste der zwischenzeitlich zwölf Gefangenenlager wurde 1915 eröffnet. Soldaten von den eroberten Pazifikinsel wurden dorthin gebracht, aber auch die Mannschaft des k.u.k.-Marinekreuzers Kaiserin Elisabeth aus der Bucht von Tsingtau. Zu Spitzenzeiten waren es laut Hoshis Recherchen 4700 Gefangene und 1000 Wärter in den Gefangenenlagern von Narashino, das in der Präfektur Chiba liegt.

Brot, Würstchen und Musik

Der Umgang sei recht entspannt gewesen: "Obwohl die Lager mit Stacheldraht umzäunt waren, konnten Anwohner recht frei ein und aus gehen", so Hoshi. "Eine der Hausfrauen aus der Nachbarschaft, die Wäsche wusch, erinnerte sich später an die Melodien der Lieder, die die Kriegsgefangenen sangen. Kinder aus Narashino, die das Lager aufsuchten, bekamen Limonade von den deutschen Soldaten - und wurden sogar mit Clowns-Pantomime unterhalten."

Das Gefangenorchester des Lagers war nur eine von mehreren Möglichkeiten der FreizeitgestaltungBild: Narashino City Municipal Board of Education

"Die Gefangenen stellten im Lager eigenes Brot, Würstchen und Süßigkeiten her - Dinge, die die einfache japanische Bevölkerung nur selten zu Gesicht bekam", erzählt Hoshi. "Und die Musik des Lagerorchesters war in der ganzen Stadt zu hören. Man könnte sagen, die Gefangenen spielten unbeabsichtigt die Rolle von Friedensbotschaftern."

Offizielle Dokumente aus der Zeit belegen, dass die Insassen Kurse in Buchhaltung und Elektrotechnik belegen konnten, auch Japanisch- und Französischunterricht wurde angeboten. Daneben durften sie im Lagerorchester musizieren und Fußball, Tennis oder Hockey spielen.

Gut 30 Männer starben in der Kriegsgefangenschaft, 25 von ihnen an der Spanischen Grippe, die 1918-19 in weiten Teilen der Welt grassierte. Alle von ihnen erhielten ein Begräbnis mit militärischen Ehren auf dem Armeefriedhof von Narashino. Bis heute werden Anfang November zu ihrem Andenken Gottesdienste an dem großen Gedenkstein abgehalten. Sie werden von der Deutsch-Japanischen Gesellschaft Chiba ausgerichtet, auch Vertreter der Deutschen Botschaft in Tokio nehmen daran teil.

Hier wird ein Kriegsgefangener auf dem Soldatenfriedhof beerdigt - bis heute finden Gedenkgottesdienste stattBild: Narashino City Municipal Board of Education

Ende des Kriegs, Ende der Gefangenschaft

Als im fernen Europa im November 1918 der Krieg mit der Kapitulation Deutschlands endete, begannen in Narashino die Überlegungen, Kriegsgefangene in ihre Heimat zu entlassen. Bis die erste Gruppe die Heimreise antreten konnte, dauerte es dann aber noch ein Jahr. Die letzten deutschen Kriegsgefangenen betraten Ende Januar 1920 die Schiffe in Richtung Deutschland.

Einige frühere Gefangene hatten sich in Japan so sehr eingelebt, dass sie sich entschieden, zu bleiben. Manche lehrten an Universitäten, andere eröffneten Würstchenbuden. "Ihr Erfolg heilte komplett die Wunden des Krieges zwischen Japan und Deutschland", sagt Hoshi. "Die meisten Bürger Narashinos - und die meisten Japaner allgemein - wissen nicht einmal mehr, dass Deutschland und Japan vor 100 Jahren einander bekämpften. Es ist wichtig, dass wir uns erinnern."

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