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PolitikAfrika

So profitieren Schleuser von Spaniens Migrationspolitik

14. Mai 2021

Seit Monaten versucht Spaniens Regierung, Migranten auf den Kanaren an einer Überfahrt aufs Festland zu hindern. Das hat viele in die Hände von Schleusern getrieben. Doch es gibt Anzeichen für einen Kurswechsel.

Las Palmas Polizisten am Hafen
Polizisten suchen am Hafen von Las Palmas nach blinden PassagierenBild: Jan-Philipp Scholz/DW

Rafael macht eine Extrarunde um seinen Lastwagen, bevor er das Fahrzeug auf die Fähre steuert. Jeder Winkel wird von ihm genau unter die Lupe genommen, von der Vorderachse bis zur Versieglung des Kühlcontainers. Der LKW-Fahrer ist regelmäßig zwischen dem Hafen von Las Palmas, der Hauptstadt der zu Spanien gehörenden Kanarischen Inseln, und dem spanischen Festland unterwegs. Meist transportiert er Fleisch und andere Lebensmittel.

Blinde Passagiere im Kühlcontainer

Vor wenigen Wochen musste Rafael allerdings auf einer seiner Überfahrten eine böse Überraschung erleben: Er hatte eine ganze Gruppe blinder Passagiere an Bord seines LKWs. Vier von ihnen hatten sich auf den Achsen des Sattelschleppers versteckt. "Ein paar andere sind hinten in den Container eingebrochen. Wenn ich während der Fahrt das Kühlsystem angestellt hätte, wären die alle eingefroren angekommen", erinnert sich Rafael. Auch so waren die blinden Passagiere am Zielort so geschwächt, dass er einen Rettungswagen rufen musste, der die jungen Männer ins Krankenhaus brachte.

LKW-Fahrer Rafael hatte erst vor wenigen Wochen mehrere blinde Passagiere an BordBild: Jan-Philipp Scholz/DW

Polizisten am Hafen von Las Palmas berichten, dass sie schon mehr als 30 blinde Passagiere an einem Tag entdeckt hätten. Seit Anfang letzten Jahres sind rund 30.000 Migranten auf den spanischen Atlantikinseln angekommen, die an einigen Stellen weniger als 100 Kilometer vom afrikanischen Kontinent entfernt sind. Viele der Migranten kommen aus Marokko, doch immer mehr auch aus Ländern südlich der Sahara, vor allem aus dem Senegal und Mali. Die meisten von ihnen sehen die Inseln nur als eine Etappe, um von dort weiter aufs spanische Festland und in andere europäische Länder zu gelangen. Doch genau das versucht die spanische Regierung seit Monaten mit allen Mitteln zu verhindern, um keinen neuen Fluchtkorridor in die Europäische Union zu etablieren.

Auch Amadou Diop hat schon darüber nachgedacht, die Insel heimlich zu verlassen. Der Senegalese ist vor über einem halben Jahr mit einem Holzboot auf Gran Canaria angekommen. Mit hunderten anderen Migranten wurde er in einem provisorischen Camp untergebracht, in dem er sich inzwischen wie in einem Gefängnis fühlt. "Ich habe keine Arbeit, ich habe nichts zu tun. Ich kann nur essen und schlafen. Dafür bin ich nicht hierhergekommen. Wir können hier überhaupt nichts für unsere Familien im Senegal tun - ihnen zum Beispiel etwas Geld für Essen schicken", sagt der junge Mann im DW-Interview.

Das Schleusergeschäft floriert

Die Hoffnungslosigkeit der Migranten ist für einige auf der Insel längst zum großen Geschäft geworden. Mitte April nahm eine Spezialeinheit der spanischen Polizei 45 mutmaßliche Schleuser fest. Von unscheinbaren Friseursalons und Reisebüros im Süden Gran Canarias aus sollen sie für mehrere hundert Migranten eine Weiterreise aufs Festland organisiert haben. Das Geschäftsmodell der Schleuser ist simpel: Sie versorgen die Migranten mit falschen Dokumenten und sammeln diese auf dem Festland wieder ein, um sie nochmals verwerten zu können. Dabei nutzen sie auch Kontakte, die üblicherweise Drogentransporte abwickeln.

Einer der Friseurläden, von denen aus ein riesiges Schleusernetzwerk operierteBild: Jan-Philipp Scholz/DW

Insider halten das aufgeflogene Netzwerk nur für die Spitze des Eisbergs, viele Banden würden weiterhin unentdeckt auf den Inseln operieren. Eine Flüchtlingshelferin erzählt der DW, dass Migranten gewöhnlich zwischen 700 und 3.000 Euro für Schleuserdienste ausgeben - ein Millionengeschäft für die kriminellen Gruppen.

Die Sicherheitsbehörden wollen sich zu dem Problem jedoch nicht äußern. Ein Interviewtermin zum Thema, der bereits fest mit Vertretern der Nationalpolizei vereinbart war, wurde jedoch in letzter Minute abgesagt. Das Innenministerium in der Hauptstadt Madrid hatte interveniert und die Interviewautorisierung ohne weitere Angabe von Gründen kurzerhand zurückgezogen. Schleusernetzwerke mitten in Spanien –offensichtlich ein unangenehmes Thema für die Zentralregierung.

Der einzige politisch Verantwortliche, der bereit ist, über die Schleuser zu sprechen, ist Txema Santana, der Migrationsbeauftragte der Inselregierung. Auch er ist überzeugt, dass die Kanarischen Inseln ein Problem mit Menschenschmugglern haben, sieht es aber als gesamteuropäisches Phänomen - insbesondere in Regionen mit europäischen Außengrenzen. "Überall, wo sich Migrantengruppen häufen, entstehen diese Netzwerke. Es wird immer Menschen geben, die sich an der Migration bereichern", so der Inselpolitiker.

Eine Gruppe marokkanischer Migranten bekommt Unterstützung von einer Flüchtlingshelferin Bild: Jan-Philipp Scholz/DW

Gericht gibt Migranten Recht

Was das Thema für die spanische Regierung allerdings besonders heikel macht: Laut einem aktuellem Gerichtsurteil dürfte sie die Migranten gar nicht auf der Insel festhalten und damit in die Hände von Schleusern treiben. Gegen diese Praxis hatte Anwalt Daniel Arencibia im Auftrag eines marokkanischen Mandanten geklagt - und Recht bekommen. Wenn eine Person sich ausweisen könne, entsprechende Registrierungsdokumente vorlege und zudem die pandemiebedingten Sonderregeln einhalte, dürften die Sicherheitsbehörden sie nicht ohne Angabe von Gründen oder mit einem allgemeinen Verweis auf die Gefahren im Zusammenhang mit COVID-19 von einer Weiterreise innerhalb Spaniens abhalten. "Man kann nicht einfach eine ganze Region in ein Gefängnis verwandeln - und das Gericht hat das nun glasklar gemacht", fasst es der Anwalt zusammen.

Zwar ist das Urteil das Ergebnis eines Eilverfahrens und die Regierung hat bereits Berufung eingelegt. Beobachter rechnen allerdings mit einer Bestätigung. Am Hafen seien die ersten Auswirkungen schon jetzt spürbar, berichten Mitarbeiter dort. Die Anzahl der blinden Passagiere nehme langsam ab. Außerdem hat die spanische Regierung begonnen, offizielle Umsiedlungen besonders schutzbedürftiger Personengruppen – vor allem Frauen und Kinder – deutlich auszuweiten. So könnte dann bald auch das Geschäft der Schleuser auf den Kanarischen Inseln deutlich an Attraktivität verlieren.

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