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Politik

So ticken die AfD und ihre Wähler

Kay-Alexander Scholz
23. Januar 2018

Die "Alternative für Deutschland" wird als große Oppositionspartei mehr Einfluss bekommen. Sie erhält den Vorsitz in den wichtigen Bundestags-Ausschüssen Haushalt, Recht und Tourismus. Daher eine Nahaufnahme der AfD.

Deutschland | AfD-Fraktion im Bundestag
Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Schreiber

Wären die AfD-Bundestagabgeordneten Anziehpuppen aus Papier, dann bräuchte man folgende Kleidung zum Ausschneiden: Tweed-Sakkos, Cordhosen, Motiv-Krawatten, Manschettenknöpfe, dunkelblaue Blazer, vor allem Slimfit-Anzüge und ein paar wenige Röcke, Perlenketten, Halstücher und Deutschland-Fähnchen für das Revers. Doch nicht nur äußerlich erinnert bei den 92 AfD-Abgeordneten viel an - vergangene - Stil-Welten der Bürgerlichen von CDU/CSU und FDP. Viele haben früher diese Parteien gewählt oder waren darin aktiv. Das zumindest lässt sich den Dutzenden gehaltenen Bewerbungsreden bei AfD-Parteitagen entnehmen.

Zu den Plenarsitzungen im Bundestag kommen sie schon zehn Minuten vor Sitzungsbeginn, sitzen mit durchgedrücktem Rücken auf ihren Plätzen am rechten Rand, sind betont aufmerksam und üben sich in Gruppengeräuschen. Sie zeigen stolze, manchmal aggressive Präsenz - bis in die letzte Reihe. Die Sitzreihen anderer Parteien sind häufig nicht so gefüllt.

Es gibt 10 Frauen gegenüber 82 Männern. Viele sind Akademiker. Verschiedenste Berufsgruppen sind vertreten - vom Agraringenieur über IT-Manager, ehemaligen Berufssoldaten, Polizisten bis hin zu Anwälten, Richtern und ehemaligen Managern in großen Konzernen. Noch ist der Bundestag für viele neu. 

Tendenz zur Selbstzerstörung

Dieses Team-Image aber wird wohl bald Risse bekommen, die bezeichnend sind für die innere Verfasstheit der Partei. Auf den Parteitagen unter den Delegierten wird schon längst nicht mehr am Abend zusammen gefeiert wie noch in der Anfangszeit nach der Parteigründung im Jahr 2013. Auch beim Frühstück in den Hotels mischen sich die Kreis- und Landesverbände nicht mehr. Die Kämpfe zwischen den Milieus und Flügeln der Partei reichen bis ans Frühstücksbuffet.

AfD-Vorsitzender Jörg Meuthen im DW-Gespräch

03:47

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Die AfD hat schon einige Häutungen hinter sich. Immer ging es um Macht und um den Umgang mit dem rechten Rand in der Gesellschaft. Zwei Vorsitzende - Bernd Lucke und Frauke Petry - wurden entmachtet. Dabei spielten sich Dramen ab mit Beinahe-Saalschlachten, falschen Handküssen und bleich erstarrten Gesichtern. Ein anderer einstiger Mitgründer der Partei musste öffentlich zusehen, wie er durch ein Raster der Machtkämpfe fiel. Er verließ dann mit hängenden Schultern den Saal durch einen Seitenausgang, niemand drehte sich mehr zu ihm um. Mitleid und Dankbarkeit sind keine Kategorien des politischen Alltags in der AfD, noch weniger als bei anderen Parteien.

Zum Wesen der AfD gehört ein auto-aggressiver Charakterzug. Das gibt selbst die Parteiführung zu. Er müsse den Laden zusammenhalten, sagte der Co-Vorsitzende Jörg Meuthen im DW-Interview am Rande des letzten Parteitages im Dezember. Alexander Gauland, der andere Co-Vorsitzende, hat sich sogar aus diesem Grund überhaupt an die Parteispitze wählen lassen. Eigentlich wollte sich der 76-Jährige nämlich auf die Bundestagsfraktion konzentrieren, die er zusammen mit Alice Weidel anführt. Auf dem Parteitag entschied er sich dann aber kurzfristig um, weil er als "Konsenskandidat" eine Spaltung abwenden wollte, die sich durch eine erbittert geführte Kampfkandidatur abzeichnete.

Vier Milieus - viele Meinungen

Die Frontlinien in der AfD sind unübersichtlich. Grob gesagt lassen sich aktuell vier Milieus zusammenfassen: Der Kern wird gebildet von einem kulturkonservativen Bürgertum. Daran angedockt sind Verfechter des Neoliberalismus und christlich-fundamentaler Strömungen. Am einflussreichsten aber ist der "sozial-patriotische Flügel", wie der umstrittene Thüringer AfD-Chef Björn Höcke "seine" AfD nennt. Er steht für eine nationalistische, teils völkische Politik. Der "Flügel" ist im Bundestag nur durch "Stellvertreter" präsent. Höcke und die beiden anderen wichtigen Landesfürsten André Poggenburg aus Sachsen-Anhalt und Andreas Kalbitz aus Brandenburg haben kein Mandat. Höcke verzichtete bewusst auf eine Kandidatur bei der Bundestagswahl.

Die Milieus offenbaren auch Konfliktlinien - wie die bei der Frage der Zukunft des deutschen Sozialstaatsmodells. Spitzenkandidatin Alice Weidel, die im Wahlprogramm am liebsten ein libertäres Modell durchgesetzt hätte, steht der Truppe um den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke gegenüber, der das Attribut "sozial" betont und explizit auch eine Partei für die "kleinen Leute" möchte. Weidel dagegen sagt in bester Manager-Sprache: Deutschland könne von China viel lernen. Dort würden alle "arbeiten und nach vorne" wollen.

Noch wenig Struktur

Die AfD ist intern noch wenig strukturiert. Einzig anerkannt ist die "Junge Alternative". Wie bei anderen Parteien auch fallen sie bei Parteitagen und auch sonst durch Anträge und Äußerungen auf, die radikaler sind als in der Mutterpartei. Daneben gibt es aber Interessengruppen: die nationalistische "Patriotische Plattform", die ultra-konservativen "Christen in der AfD", die gemäßigte  "Alternative Mitte", den rechtsnationalen "Flügel", aber auch "Homosexuelle in der AfD". Zuletzt ist der "Flügel" um Höcke erneut stärker geworden. Das zeigt sich besonders bei Parteitagsabstimmungen. Bald könnte der "Flügel" die Mehrheit in der AfD ausmachen. Der Einfluss von Höcke, noch ohne Sitz im Bundesvorstand der Partei, ist trotzdem schon immens.

Der Verfassungsschutz beobachtet die AfD als Partei insgesamt nicht. Dennoch würden "Teile im Auge" behalten, wie Bundesinnenminister Thomas de Maiziere sagt. Denn es gibt viele Grauzonen - hin zu den teils rechtsextremen Reichsbürgern, den Identitären, Pegida oder zum Thinktank des ultrarechten Verlegers Götz Kubitschek, dem "Institut für Staatspolitik". Ihr gemeinsames Credo lautet: "Deutschen Kulturraum" bewahren, "kulturfremde Einwanderer" ablehnen, den Islam bekämpfen. Vor allem durch verbale Anker versuchen AfD-Politiker immer wieder, Anschluss an diese Gruppen außerhalb der eigenen Partei zu finden. Deshalb fallen Begriffe wie "Halbneger" oder wird eine Neubewertung der "Leistung der Wehrmacht" gefordert.

An der Basis der Partei wird es entsprechend noch unübersichtlicher. Es gibt nicht das proto-typische AfD-Mitglied oder den einen Wählertypus. Einmal ist Stiernacken-Alarm bei jungen Männern, die noch vor Jahren klar als Neo-Nazis zu erkennen waren. Ein anderes Mal sitzen gut verdienende Akademiker mittleren Alters bei einem Klassentreffen und geben sich zu verstehen, dass sie alle AfD-nah sind. Solche Beobachtungen aus dem Osten der Republik, wo die AfD besonders stark ist, lassen sich in Teilen auf West-Deutschland übertragen. Auch dort sitzen inzwischen viele AfD-Politiker in kommunalen Parlamenten. Wenn dann der Stadt bekannte Kinderarzt darunter ist, dann verwirre das viele, berichtete eine CDU-Politikerin aus Rheinland-Pfalz.

Rückblick: AfD bei der Bundestagswahl

Den bislang größten sozio-demografischen Überblick über AfD-Wähler ergibt die Auswertung der Bundestagswahlergebnisse vom September 2017. Andere Studien sind zwar repräsentativ, begründen sich aber auf ein relativ kleines Umfrage-Panel. Die eine große AfD-Studie gibt es noch nicht.

Die Daten aus der Bundestagswahl zeigen vor allem, dass die AfD rund doppelt so viel Zustimmung im Osten Deutschlands, auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, hat. Diese Werte haben sich in den Monaten seither nicht wesentlich geändert; sie geben also noch immer einen guten Überblick. 

AfD-Kenner Holger Lengfeld: Soziologie-Professor an der Universität LeipzigBild: Swen Reichhold/Universität Leipzig

Auch der Leipziger Soziologe Holger Lengfeld bestätigt das: "AfD-Wähler sind häufiger Männer als Frauen, sie sind aber eher etwas jünger als der Bevölkerungsdurchschnitt, und sie kommen aus allen Schichten der Gesellschaft, nicht nur aus den unteren." Lengfeld beschäftigt sich vor allem mit Prozessen des sozialen Wandels und hat in diesem Zusammenhang zuletzt viel zur AfD geforscht. 

Rechtsextreme Ansichten

Die AfD hat in Deutschland zu einer Polarisierung der öffentlichen Debatten geführt. Die lautesten Gegner der AfD sind das linksliberale Milieu und Teile der Oberschicht. Ihr Image ist aber auch in anderen Schichten schlecht. Die Polarisierung ist nicht so stark wie die in den USA zwischen Befürwortern und Gegnern von Donald Trump. Vielmehr drehen sich viele Debatten um die Gefahr eines neu aufkommenden Rechtsextremismus in Deutschland. Fast 80 Prozent der Deutschen sagten in einer Umfrage im Wahlmonat September (Quelle: Forschungsgruppe Wahlen), dass rechtsextreme Ansichten in der AfD verbreitet sind. Der Wert (79 Prozent) ergab sich auch bei einer anderen Umfrage (Quelle: Infratest dimap), die danach fragte, ob sich die AfD nicht genug von rechtsextremen Positionen distanziere. Andere Umfragen ergeben ähnliche Werte. So dass zum Beispiel das Allensbach-Institut vor der Wahl von einer isolierten Minderheit sprach. Für die große Mehrheit der Deutschen ist, das ist vielen Umfragen gemein, die AfD eben "keine normale" Partei. Die Sensibilität gegenüber dem rechten Rand ist in Deutschland wegen seiner Vergangenheit noch immer sehr hoch.

Trotzdem glauben viele Deutsche, dass die AfD bleiben wird. So auch der Soziologe Lengfeld: "Man kann sagen, dass es rechts der etablierten Parteien eine erhebliche Zahl von Wählern gibt, die sich als wertkonservativ, aber nicht als rechtsradikal verstehen und die von der Politik der letzten Jahre enttäuscht sind."

Typisch rechtspopulistisch

In den Sozialwissenschaften etabliert sich eine Abkehr von der Betrachtung des klassischen Rechts-Links-Schemas bei Parteien. Vielmehr wird von einem neuen politischen Grundkonflikt gesprochen, dem zwischen Nationalismus und Globalisierung. "Ein Großteil der AfD-Wähler ist mit der zunehmenden Öffnung der deutschen Gesellschaft nach außen nicht einverstanden", erklärt Lengfeld dazu im DW-Interview. "Diese Menschen wollen keine offenen Grenzen für Flüchtlinge, sie sehen Multikulti skeptisch, und sie lehnen den Einfluss der Europäischen Union auf das politische und wirtschaftliche Leben Deutschland ab."

Doch die AfD ist keine singuläre Erscheinung. Solche "Typen", nicht nur aber eben auch äußerlich, finden sich auch bei Ukip in Großbritannien, der FPÖ in Österreich oder den "Fünf Sternen" in Italien. Sie alle gehören zur Gruppe der neuen rechtspopulistischen Parteien in Europa. Die Politikwissenschaft widmet sich erst seit ein paar Jahren diesem Phänomen.

Was heißt das für die AfD? Weil die AfD "die Stimme des Volkes" sein will und das Establishment ablehnt (im AfD-Sprachgebrauch heißt es "Altparteien" und "Lügenpresse"), wird sie von Politologen als klar "populistisch" eingeordnet. Da Migration, Gender, Rechtsstaat und Familie zu ihren Kernthemen gehören, gilt die AfD als "rechts-populistisch".

Wie finanziert sich die AfD?

Zum gewollten Image der AfD gehört der Abstand zum Establishment. Doch wenn man in 14 von 16 Landesparlamenten, dem Bundestag und dutzenden Kommunalparlamenten vertreten ist, dann gehört man eigentlich schon dazu. Auch der Wunsch, sich von den öffentlichen "Futtertrögen" fernhalten zu wollen, wie Meuthen im DW-Interview beispielhaft sagte, ist eigentlich schon überholt.

Vor allem die neue Bundestagsfraktion hat nun eine zweistellige Millionensumme im Jahr zur Verfügung. Und die wird nicht nur für Gehälter verbraucht, sondern kann auch für die Außendarstellung oder aber für die "Zusammenarbeit mit Fraktionen anderer Parlamente und parlamentarischen Einrichtungen national und international" verwendet werden, wie die Geschäftsordnung des Bundestags besagt.

Beim Blick auf die Finanzen der AfD insgesamt liegen bislang öffentlich nur die Zahlen von 2015 vor. Sichtbar wird, dass die AfD weitere Millionenbeiträge aus Steuergeldern über die staatliche Parteienfinanzierung bekommt. Der Betrag wird sich auch nach dem Einzug in den Bundestag nicht wesentlich ändern, weil in Deutschland die Parteienfinanzierung doppelt gedeckelt ist: Für alle Parteien standen zuletzt 160 Millionen zur Verfügung; außerdem dürfen die Mittel nicht höher als die Eigen-Einnahmen der Partei sein.

Bleiben die Spenden. Großspenden, die höher sind als 50.000 Euro, müssen in Deutschland zügig öffentlich ausgewiesen werden. Solch eine Spende hat die AfD bislang nur einmal (100.000 Euro) bekommen. Spenden zwischen 10.000 und 50.000 werden mit 18-monatiger Verzögerung publik. Bis 2015 gab es 31 solcher Spenden.

Verdeckte Spendengelder?

Laut Recherchen des Rechercheverbands Correctiv.org ist die AfD Meister im Einholen verdeckter Spendengelder. Spendengelder fließen demnach an Vereine, die offiziell nichts mit der Partei zu tun haben, die aber für diese oder einzelne Kandidaten Wahlkampfhilfe geben. In den USA ist solch ein Vorgehen unter dem Begriff PAC (Political Action Comittee) oder Super-PAC bekannt. Auch aus der Schweiz soll die AfD so Geld für aufwändige Wahlplakate bekommen haben. Unklar ist auch die Finanzierung von Flugschriften - Werbeblättern, die kostenlos an Haushalte verteilt werden. Doch wirklich nachgewiesen werden konnte der AfD dieses Vorgehen bislang nicht.

Eine weitere Finanzquelle wäre eine parteinahe Stiftung, wie sie die anderen Parteien im Bundestag auch haben. Hierfür gibt der Staat rund eine halbe Milliarde Euro pro Jahr. Die AfD könnte Schätzungen zur Folge 70 Millionen davon bekommen. Doch noch gibt es in der Partei keine Einigung darüber, wie diese Stiftung heißen soll. Es gibt allerdings mehrere Kandidaten, also schon gegründete Vereine. Allerdings würde das Geld erst fließen, wenn der AfD eine Wiederwahl in den Bundestag gelingen würde - also voraussichtlich 2021. Doch mit diesem Geld könnte die AfD Stipendien und eigene Forschungsaufträge vergeben sowie eigene Büros im Ausland eröffnen.

Spaltpilz in den eigenen Reihen

Aktuell aber sind die AfD-Abgeordneten hauptsächlich mit anderen Problemen beschäftigt. 400 Büro-Mitarbeiter müssen gefunden werden. Die meisten Abgeordneten haben keine oder wenig parlamentarische Erfahrung. Außerdem werden bald inhaltliche Lücken aus dem bisherigen Grund- und Wahlprogramm sichtbar werden.

Bild: Reuters/F.Bensch

Und dann ist da noch die Ex-Vorsitzende Frauke Petry. Diese hatte ihren Auszug aus der Fraktion erklärt und will weitere AfDler davon überzeugen. Bislang allerdings hat sie erst einen neuen Mitstreiter für ihre "Blaue Wende" gefunden. Beide sitzen nun als Fraktionslose im Parlament. Weiterer Stoff für Dramen wird sich finden, so tickt die AfD nun einmal. 

 

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