So verschärft sich Deutschlands Asylpolitik an den Grenzen
12. Mai 2025
1. Was genau hat Innenminister Dobrindt angeordnet?
Der neue Bundesinnenminister Alexander Dobrindt von der konservativen CSU lässt die deutschen Außengrenzen schärfer kontrollieren. Dabei sollen auch Asylsuchende an der Grenze zurückgewiesen werden, wenn sie keine gültige Einreisepapiere vorweisen können oder bereits in einem anderen Staat der Europäischen Union einen Antrag gestellt haben. Dobrindt sagte, die Bundespolizei habe nun die Möglichkeit der Zurückweisung, sei aber nicht dazu verpflichtet. Sie kann also von Fall zu Fall entscheiden.
2. Welche Ausnahmen gibt es bei den Zurückweisungen?
Von den möglichen Zurückweisungen sollen Schwangere, Kranke, unbegleitete Minderjährige und anderen Angehörigen vulnerabler Gruppen ausgenommen sein.
3. Wie begründet Dobrindt die Maßnahmen?
Es geht um ein zentrales Wahlkampfversprechen von Bundeskanzler Friedrich Merz, dass es vom ersten Tag seiner Regierung an Zurückweisungen an den deutschen Grenzen geben werde. Kanzleramtsminister Thorsten Frei sagte in der ARD, man müsse die Migration auf "ein erträgliches Maß" reduzieren. Viele Städte und Gemeinden klagen seit Jahren über überforderte Schulen, explodierende Kosten auf dem Wohnungsmarkt und ein überlastetes Gesundheitswesen.
Von der Maßnahme erhofft sich der Innenminister offenbar, dass Migranten erst gar nicht versuchen, nach Deutschland zu gelangen. Auch sollen die EU-Nachbarn motiviert werden, ihre Durchreise Richtung Deutschland zu stoppen. Frei zufolge sind die Maßnahmen notwendig, weil es bislang nicht gelinge, die EU-Außengrenzen wirksam zu schützen.
4. Wie ist die rechtliche Grundlage?
Die Zurückweisungen sind rechtlich umstritten. Artikel 18 des deutschen Asylgesetzes lautet: "Dem Ausländer ist die Einreise zu verweigern, wenn er aus einem sicheren Drittstaat einreist." Dies ist an deutschen Grenzen überall der Fall, weil alle Nachbarstaaten als sicher gelten.
Europäische Regeln sehen aber vor, dass zunächst geklärt werden muss, welcher Staat für das Asylgesuch des Migranten zuständig ist. Das ist normalerweise der Staat, den ein Migrant oder eine Migrantin erstmals in der EU betreten hat. Faktisch kamen aber bisher viele von ihnen doch nach Deutschland und bleiben aufgrund komplizierter Verfahren häufig auch.
Eine Alternative wäre die Anwendung des sogenannten "Notlagen"-Artikels 72 im EU-Vertrag. Danach kann vorübergehend zur "Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit" von EU-Recht abgewichen werden. Die Hürden sind allerdings hoch. Bundeskanzler Friedrich Merz sagte in Brüssel: "Es hat niemand in der Bundesregierung, auch ich persönlich nicht, eine Notlage ausgerufen."
Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hält unterdessen Zurückweisungen von Asylbewerbern für rechtens. Der "Neuen Osnabrücker Zeitung" sagte er: "Es gehört aus meiner Sicht zum unverzichtbaren Souveränitätsrecht eines Staates, nicht jede Person einreisen zu lassen, die das Wort 'Asyl' sagt. Es ist nach deutschem Recht möglich und richtig - wie auch nach europäischem Recht."
5. Welche Reaktionen gibt es aus der Politik?
Erwartungsgemäß gehen den einen Grenzkontrollen und Zurückweisungen zu weit, anderen nicht weit genug.
Die Grünen-Ko-Fraktionschefin Katharina Dröge etwa nannte in der "Rheinischen Post" Zurückweisungen "offensichtlich europarechtswidrig". "Menschen, die auf deutschem Boden Asyl ersuchen, haben einen Anspruch darauf, dass es geprüft wird."
Scharfe Kritik übte auf dem Parteitag der Linken deren Bundestags-Fraktionschef Sören Pellmann. "Wer aus Angst vor den Rechten rechte Politik macht, der kann nur verlieren", sagte er. Dagegen werde die Linke Widerstand leisten.
Die mitregierende SPD fordert vor allem eine enge Abstimmung mit den Nachbarländern, die alles andere als begeistert sind.
Die in Teilen rechtsextreme AfD wünscht sich dagegen mehr Abschottung. Merz habe eine Wende bei der Migrationspolitik mit "klaren Maßnahmen gegen die illegale Masseneinwanderung" versprochen, erklärte Parteichefin Alice Weidel. Doch jetzt enttäusche er die Wähler und knicke vor der SPD ein.
6. Wie reagiert das Ausland?
Verschiedene Nachbarstaaten wie etwa Polen und die Schweiz hatten sich besorgt über das Vorgehen Deutschlands geäußert. Sie befürchten, jetzt abgewiesene Migranten in großer Zahl zurücknehmen zu müssen. Bundeskanzler Friedrich Merz hat aber betont, das Ausland sei eingebunden: "Es gibt hier keinen deutschen Alleingang. Wir sind abgestimmt mit unseren europäischen Nachbarn", sagte Merz am Freitag in Brüssel.
Allerdings versteht die Bundesregierung die Kontrollen offenbar auch als Anreiz für die EU, nachzuziehen: Kanzleramtsminister Thorsten Frei sagte in der ARD, die Bundesregierung wolle damit schnell Ergebnisse erzielen, damit man dann in der Migrationspolitik auf andere, "möglichst europäische" Maßnahmen zurückgreifen könne.
7. Wie geht es weiter?
Die EU, lange eher migrationsfreundlich, bewegt sich inzwischen deutlich in Richtung Abschottung. Dies geschieht offenbar auch vor dem Hintergrund, dass in mehr und mehr Mitgliedsstaaten asylkritische Parteien und Regierungen auf dem Vormarsch sind.
Die Europäische Union hat bereits ein neues, verschärftes Asylgesetz beschlossen, die Regeln aber noch nicht umgesetzt. Die geplante EU-Asylreform sieht unter anderem vor, dass über Asylanträge von Menschen mit geringer Bleibeperspektive künftig bereits an der EU-Außengrenze entschieden wird.
Kanzleramtschef Thorsten Frei kritisierte, die vereinbarte europäische Asylrechtsreform komme nicht nur zu spät, sondern reiche auch nicht aus. Deshalb hätten 16 EU-Regierungen die EU-Kommission aufgefordert, die Regeln zu überarbeiten.
8. Wie war die Situation 2015?
Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Innenminister Thomas de Maizière (beide CDU, wie auch der neue Bundeskanzler Friedrich Merz) hatten 2015 auf dem Höhepunkt der Fluchtbewegung aus dem Bürgerkriegsland Syrien entschieden, keine Asylsuchenden an der Grenze abzuweisen. Dobrindt hat nun diese Weisung aus dem Jahr 2015 an die Bundespolizei zurückgenommen.
9. Wie ist die bisherige Bilanz?
Nach dem neuen Grenzerlass gibt es eine erste Bilanz vom vergangenen Donnerstag und Freitag, also unmittelbar nach Dobrindts Anordnung, aus der die "Bild am Sonntag" zitiert. Danach registrierte die Bundespolizei an diesen beiden Tagen an allen Grenzen 365 unerlaubte Einreisen. 286 Migranten wurden zurückgewiesen – darunter 19, die ein Asylgesuch gestellt hätten. Hauptgründe für die Zurückweisungen: kein gültiges Visum, gefälschte Dokumente oder Einreisesperren. Vier Personen seien als "vulnerabel" eingestuft worden und durften einreisen.
Zudem wurden laut der Zeitung 14 Schleuser in den zwei Tagen vorläufig festgenommen, 48 offene Haftbefehle vollstreckt sowie neun Personen aus dem extremistischen oder islamistischen Spektrum bei der Einreise aufgegriffen.