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Politik

Brasilien: So viele Trans-Kandidaturen wie nie

14. November 2020

Am Sonntag wählt Brasilien neue Bürgermeister, Stadt- und Gemeinderäte. Es haben sich dreimal so viele Trans-Menschen als Kandidaten aufgestellt wie noch 2016. Es gibt auch mehr nicht-weiße Kandidaten.

Symbolbild I LGBT I Pride I Regenbogenflagge
Bild: Soe Zeya Tun/REUTERS

Brasilien ist eines der tödlichsten Länder für LGBTQI-Menschen. Obwohl Homophobie und Transphobie als Verbrechen gelten, es die Ehe für Alle gibt, schwule und lesbische Paare Kinder adoptieren dürfen und Trans-Personen ihr Geschlecht im Pass ändern können, ist die Toleranz für alternative Rollen- und Geschlechterbilder gering - vor allem abseits der Großstädte.

Jedes Jahr werden im Land der Macho-Kultur und der ultrakonservativen evangelikalen Freikirchen Hunderte LGBTQI-Menschen (Lesben Schwule, Bisexuelle, Transgender, queere Menschen, Intersexuelle) umgebracht. Damit ist Brasilien verschiedenen Menschenrechtsorganisationen zufolge der traurige Spitzenreiter zumindest der Länder, von denen Daten verfügbar sind.

Umso mehr freuen sich jetzt Aktivisten und Verfechter der Gleichberechtigung, dass sich die Zahl der Transgender-Kandidaturen - also von Menschen, die sich nicht oder nicht nur mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren - im Vergleich zu den Kommunalwahlen von vor vier Jahren mehr als verdreifacht hat.

Trans-Sexarbeiterinnen in Niteroi - In Brasilien leben Trans-Menschen oft am Rande der GesellschaftBild: Silvia Izquierdo/AP/picture alliance

Laut Zahlen der "Associação Nacional de Travestis e Transexuais" (ANTRA) bewerben sich 281 Trans-Menschen auf kommunale Posten, davon zwei als Bürgermeister und eine Person als Vizebürgermeister. 2016 hatten sich der Nichtregierungsorganisation zufolge nur 89 Trans-Menschen aufstellen lassen.

Etwas mehr Frauen, etwas mehr Nicht-Weiße

Brasiliens Oberstes Wahlgericht differenziert selbst in seinen Angaben über die Kandidaten nur zwischen weiblich und männlich. Demnach sind gut ein Drittel der gut 557.000 Bewerber (biologisch) weiblich, bei knapp zwei Dritteln handelt es sich um (biologische) Männer. Damit ist der Frauenanteil im Vergleich zu den Kommunalwahlen 2016 um 1,7 Prozentpunkte höher. 

Eine weitere Veränderung ergibt sich beim Blick auf die Hautfarbe beziehungsweise Ethnie. Laut dem Wahlgericht definieren sich 51,3 Prozent der Kandidatinnen und Kandidaten als "pardo" (braun), "preto" (schwarz), "indígena" (indigen) oder "amarelo" (asiatisch). Das ist etwas mehr als noch in den vergangenen Jahren - und Medien zufolge das erste Mal, dass nicht-weiße Kandidaten in der Mehrheit sind. In einem Land, in dem 51 Prozent der Menschen afrikanische Wurzeln haben und Rassismus immer noch weit verbreitet ist, nicht unerheblich. 

Trans-Kandidaten von links und von rechts

Eine der beiden landesweiten Trans-Kandidaturen für das Bürgermeisteramt ist die von Letícia Lanz. Die Trans-Frau will künftig Brasiliens achtgrößter Stadt Curitiba im Süden des Landes vorstehen. Auf Facebook erklärt die 68-jährige, mit einer Frau verheiratete Soziologin: "Ich will nicht nur eure Stimme, sondern vielmehr auch eure Köpfe erobern, eure Herzen und eure Hände."

Während Lanz für die linke Partei "Partido Socialismo e Liberdade" (PSOL) antritt, gibt es auch aus anderen politischen Lagern Trans-Kandidaten. Die zweite Trans-Person, die sich in Brasilien auf das Bürgermeisteramt bewirbt, ist Bianca Biancardi vom "Partido da Mulher Brasileira" (PMB), also der "Partei der brasilianischen Frau". Hinter dem Namen verbirgt sich nicht, wie man denken könnte, eine feministische Partei, sondern eine rechtsgerichtete. Biancari, die in der südöstlichen Stadt Cariacica mit knapp 400.000 Einwohnern einen Schönheitssalon leitet, erklärte kürzlich in einem Interview, sie sei Christin und vertrete konservative Meinungen.

"Bolsonaro hat schwule Freunde"

Auf die Vorurteile vieler Konservativer und speziell des rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro gegenüber Trans-Menschen angesprochen, sagte die Trans-Frau: "Wenn, dann ist es schon Jahre her, dass Bolsonaro sich kritisch geäußert hat. Wenn er wirklich Probleme mit Trans-Menschen hätte, hätte er Familienministerin Damares Alves nicht ein nationales Projekt durchführen lassen, das die Chancen von LGBTQI auf dem Arbeitsmarkt verbessert."

Das Projekt gibt es tatsächlich - und sticht doch als einziger Einsatz der umstrittenen Ministerin für die LGBTQI-Community heraus. Zuvor machte die evangelikale Pastorin eher mit Aussagen wie, dass Mädchen rosa und Jungs blau tragen sollen, von sich Reden.

Familienministerin Damares Alves: "Bolsonaro hat auch schwule Freunde."Bild: Salvatore Di Nolfi/KEYSTONE/picture alliance

Alves, in deren Zuständigkeit der Schutz von Minderheiten fällt, verteidigte bereits ebenfalls Bolsonaro gegen Vorwürfe von Homophobie und Transphobie. "Sie nennen ihn homophob, aber er hat schwule Freunde. Und er schätzt dieses Ministerium, das eine LGBT-Abteilung hat", sagte sie vergangenes Jahr. Ob sie mit dieser Argumentation überzeugen konnte, sei dahingestellt.

Auch mehr evangelikale Kandidaten

Die Kommunalwahlen finden in Brasilien immer zwei Jahre nach den Präsidentschaftswahlen statt - und werden auch als Stimmungsbarometer für die nationale Politik wahrgenommen. Zur Wahrheit über die diesjährige Abstimmung gehört auch, dass am Sonntag nach Medienberechnungen 34 Prozent mehr evangelikale Kandidaten auf den Stimmzetteln stehen werden als vor vier Jahren. 

Allerdings wird für das christlich-fundamentalistische Lager derzeit eher von einer Schlappe an den Urnen ausgegangen. Wichtigen Kandidaten der "Republicanos" etwa - dem politischen Arm der evangelikalen "Universalkirche" - wie Celso Russomanno in São Paulo drohen am Sonntag Rückschläge. Auch Rio de Janeiros ultrakonservativer Bürgermeister und evangelikaler Bischof Marcelo Crivella dürfte nach einer Reihe von Korruptionsskandalen und Missständen in der Verwaltung aus dem Amt gejagt werden.

Gewalt führt zu Politisierung

Erstmals bei diesen Kommunalwahlen dürfen sich Trans-Kandidaten übrigens auch mit ihrem "sozialen Namen" aufstellen lassen - also so, wie sie ihrer Genderidentität entsprechend genannt werden wollen. Diese Option haben 171 Kandidatinnen und Kandidaten genutzt.

Vergangenes Jahr bei der LGBT Pride Parade in Sao Paulo: "LGBTI+gegen Bolsonaro"Bild: imago images / ZUMA Press

Dass insgesamt 2020 so viel mehr Transmenschen als zuvor zur Wahl angetreten sind, führt Keila Simpson, Präsidentin der NGO ANTRA, auch auf die Gewalt zurück, die sie erfahren. Allein im Mai seien 38 Transmenschen in Brasilien ermordet worden, so Simpson in der spanischen Zeitung "El País". "Deshalb gibt es in der Community ein politisches Erwachen. Trans-Körper sind schon an sich politisch, aber zu kandidieren, das ist ein Statement gegen alle, die sie an den Rand der Gesellschaft verbannen wollen."

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