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So weit die Kräfte reichen

Sabrina Pabst7. Juni 2015

Hitze, Berge, Polizei - gleich drei Hindernisse haben die G7-Gegner auf ihrem Sternmarsch von Mittenwald zum Sicherheitszaun rund um Schloss Elmau zu bewältigen. Eine Reportage von Sabrina Pabst.

G7-Gegner auf einem schmalen Wanderweh (Foto: DW/S. Pabst)
Bild: DW/S. Pabst

Sonntagmorgen, acht Uhr. Auf dem Mittenwalder Bahnhofsvorplatz steht ein Großaufgebot an Polizeiwagen. Von dort soll der Sternmarsch des Aktionsbündnisses "Stop G7 Elmau" in Richtung Schlosshotel starten. Die Journalisten stehen bereit. Nur die Demonstranten fehlen. Erst nach und nach trudeln die ersten ein.

Angela Müller von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft ist sauer. "Die Demonstranten haben keine Chance, durch die Polizeikontrollen zu kommen", wettert sie. Kein Zug oder Bus fährt, Autos werden an Kontrollstellen der Polizei gestoppt. Um in den Ort zu kommen, muss eine lange Umleitung gefahren werden. Eine Gruppe von 23 Demonstranten hat sich gebildet. Vom Organisationsteam fehlt jede Spur.

"Sowas kennen wir hier nicht"

"Wir dachten, dass vielleicht ein Bus nach Garmisch fahren würde, damit wir uns dort der Demonstration anschließen können", sagt Frank Duden. Der nächste Bus fährt aber erst in zwei Stunden. Doch statt Ratlosigkeit herrscht Aktionismus: "Wir laufen einfach nach Elmau", einigen sich die Globalisierungsgegner schließlich auch ohne Organisationskomitee. Die Transparente werden ausgerollt, die Schilder ausgepackt und dann setzen sie sich in Bewegung. "Wir gehen, so weit die Kräfte reichen. Solange wir können und dürfen, werden wir Richtung Elmau wandern", sagt Frank Duden. So viel Optimismus wird belohnt: Er wird zum Versammlungsleiter gekürt.

Probleme mit der Anreise hatte niemand. Alle haben sie in Mittenwald übernachtet und kommen aus der gesamten Republik: Berlin, Hamburg, Stuttgart, München. Nur vier sind Mittenwalder. Einer von ihnen ist Matthias. Für ihn ist es die erste Demonstration überhaupt. "Wenn sowas in Mittenwald stattfindet, dann müssen wir hingehen. Das kennen wir hier nicht", sagt er und winkt einer Frau auf ihrem Balkon: "Grüß dich, Marianne!"

Frank Duden ist zum Versammlungsleiter des Sternmarschs erklärt wordenBild: DW/S. Pabst

Alle haben sich schnell organisiert. Angeführt von mehreren Polizeibeamten und einem Bergführer - den die Polizei gestellt hat, weil keiner den genehmigten Weg kannte - ziehen sie durch das Dorf und skandieren: "Say it loud, say it clear, refugees ale welcome here." Nach einigen Kurven durch die schmalen Gassen des Ortes geht es auch schon den ersten Anstieg hinauf. Mittenwald liegt auf knapp 940 Höhenmeter. Das Ziel ist eine Stelle oberhalb des Ferchensees, die liegt bei knapp 1400 Metern. Die Stimmung ist gelöst. Die asphaltierte Straße wird zur Schotterpiste. Polizisten verlassen ihre Autos und sichern den Demonstrationszug.

"Man übt hier Demokratie"

Die Sonne brennt auf den Südhang. Rolf Stube aus Ludwigsburg kommt bei dem Tempo, das die Polizisten vorlegen, etwas außer Atem. Trotz der Strapazen liegen solche Demonstrationen dem 75-Jährigen am Herzen. Er war schon in Heiligendamm dabei, "aber da war nicht so viel Polizei wie hier". Die vielen Sicherheitsmaßnahmen kann er nicht nachvollziehen. "Alle zehn Meter auf der Bundesstraße stehen Polizeiautos, obwohl Absperrgitter die Straße säumen. Verrückt." Er schüttelt den Kopf: "In Heiligendamm hat es auch schon viele Polizisten gegeben, aber das hier ist noch mal bedeutend heftiger. Auf einen Demonstranten kommen hier vier Polizisten. Das ist ein schlechtes Verhältnis", meint er.

Die schwüle Hitze macht den Demonstranten zu schaffen. Die Route führt sie steile Hänge mit schmalen Wegen hoch. Hintereinander müssen sie über Stock und Stein klettern. Die Rufe und Parolen werden leiser. Zynismus macht sich breit. "G7 in die Suppe spucken, autonome Wandergruppen" schallt es durch den Wald. Der Weg führt nur in eine Richtung: bergauf, entlang der Polizeiabsperrung. Selbst Wegweiser wurden entfernt.

Polizeibeamte beratschlagen vor einer Informationstafel über die Route des SternmarschsBild: DW/S. Pabst

"Man übt hier Demokratie", meint eine Münchnerin, die ihren Namen nicht nennen möchte. "In Bayern gibt es kein Demonstrationsrecht. Den Leuten zu sagen, wo sie langzulaufen haben oder Wege zu sperren, wo gibt es denn sowas?" Ihr demokratisches Verständnis sei ein anderes, erklärt sie. Demonstrationen müssten einfach nur angemeldet und nicht durch Behörden genehmigt werden, meint sie. Monatelang stand nicht fest, ob die Sternmärsche rund um das Tagungshotel, in dem sich die Staatsoberhäupter der sieben führenden Industriestaaten treffen, stattfinden dürfen. Ein bestehendes Verbot wurde erst am Abend vorher gerichtlich aufgehoben.

Kooperation zwischen Polizei und Demonstranten

Zwischendurch gibt es Erfrischungspausen. Mitarbeiter der Bergwacht stehen bereit und reichen den Demonstranten, Polizisten und Journalisten Wasser. Immer wieder gibt die Polizei Hinweise zum weiteren Verlauf der Strecke. "Denken Sie daran: Was sie hinlaufen, müssen sie auch wieder zurück. Sie müssen selber einschätzen, wie ihre Verfassung ist", wird den G7-Gegnern gesagt. Phillipp aus Mittenwald gibt auf. "Ich muss umdrehen, leider", stöhnt er. Ihm war es trotzdem wichtig, dabei zu sein. "Es ist zwar abgeschieden, aber wir müssen Gesicht zeigen. Ich kann jetzt nicht mehr reden, weil ich …" Völlig außer Atem dreht er sich um und geht.

Nach der nächsten Kurve ist plötzlich Schluss. Drei Polizeiwagen versperren den Weg. Rechts ist der Berg, links der Abhang. Ein Durchkommen ist nicht möglich. "Das ist hier nicht die Stelle, wir müssen bis zur Gabelung", sagt Angela Müller, die eine Wanderkarte in der Hand hält. Die Gruppe steht mitten im Wald. Die Gabelung ist 50 Meter weiter. Thorsten Deppner schaltet sich ein. Er ist vom "Legal Team", einem anwaltlichen Notdienst, der den Demonstranten rechtlich zur Seite steht. "Wir werden in unseren Grundrechten beschnitten, ohne jeglichen Grund", meint er. Nach userem Demokratieverständnis dürfen Demonstrationen nicht so eingeschränkt werden wie hier." Auch seine Kollegin mischt sich ein. Gemeinsam mit dem Versammlungsführer verhandeln sie über ihr Recht. "Dass von uns keine Gefahr ausgeht, ist offensichtlich", meint Frank Duden. Die Demonstranten setzen sich durch, die Polizei fährt die Wagen weg.

Durch enge Gassen in MittenwaldBild: DW/S. Pabst

Eine Eskalation ist nicht in Sicht. "Gegen wen sollen wir eskalieren?", fragt Duden. "Wir könnten einen Sturmlauf auf Elmau beginnen, aber daran hat niemand Interesse. Wir wollen auch nicht den Gipfel verhindern, sondern ihm eine andere Richtung geben", sagt er. Der Sicherheitszaun ist ihr Ziel, zäh verhandeln sie mit der Polizei, stellen Anträge, warten auf den Bescheid von der Gesamteinsatzleitung. Die Atmosphäre ist entspannt. Einige dösen in der Sonne, andere diskutieren über das (Nicht-)Geschehen. Die Demonstranten scheitern kurz vor ihrem Ziel. Die Versammlung wird aufgelöst. Durch eine spontane Kundgebung versuchen sie der bayerischen Justiz ein Schnippchen zu schlagen. Doch die bleibt eisern und besteht darauf, dass die Versammlung aufgelöst wird. Nur so können die Demonstranten den schnellen Weg ins Tal nehmen. Sie entscheiden sich dagegen. Vor ihnen liegt jetzt der Rückweg. Den kennen sie schon.

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