Soforthilfe für Flutopfer
13. Juni 2013Hannelore Kaiser sieht müde aus, doch das liegt weniger an der Schlange, in der sie seit gut 20 Minuten steht. Die 56-Jährige wartet auf ihre Soforthilfe. Die ältere Dame wohnt in Gera direkt am Fluss "Weiße Elster". Seit knapp zwei Wochen kämpfen sie und ihr Mann mit den Folgen der Flut. So langsam verlasse sie die Kraft, meint sie und zählt die Schäden auf. "In unserem Keller ist alles abgesoffen: die Kühltruhe, der Computer und mehrere Festplatten und eine schöne, alte Kiste, das war ein Erbstück." Alles weg, kaputt, von braunem Schlamm überzogen und wertlos.
Vor den Häusern in den betroffenen Stadtteilen türmen sich riesige Müllberge. Nasse Sofas, unbrauchbare Teppiche, kaputte Kühlschränke und Waschmaschinen stapeln sich hier tonnenweise. Doch fast noch mehr ärgert sich die ältere Dame über den Versorgungsstand in ihrem heftig vom Hochwasser betroffenen Stadtteil am Fluss. "Es geht nichts vorwärts, seit fast zwei Wochen sind wir ohne Strom und aus dem Hahn kommt nur noch kaltes Wasser."
Endlich ist Hannelore Kaiser an der Reihe, ihr Antrag wird geprüft, detailliert muss sie der Mitarbeiterin am Schreibtisch ihre Schäden aufzählen und schätzen, wie hoch der Schaden ist. Gera ist die erste Stadt im Freistaat Thüringen, die Gelder auszahlt, seit Tagen bilden sich lange Schlangen vor dem zuständigen Servicebüro H35.
"Es waren bereits gut 3500 Betroffene bei uns, über eine Million Euro haben wir bis jetzt ausgegeben", so Iris Herrling, die Leiterin von H35. Und die Anträge werden nicht weniger, gerade wurden für Gera weitere zwei Millionen Euro Soforthilfe vom Freistaat Thüringen bewilligt.
Maximal 2000 Euro pro Haushalt
400 Euro bekommt jeder Erwachsene, 250 Euro gibt es für jedes Kind. Maximal 2000 Euro werden pro Familie ausgezahlt, bar oder auf das Konto. Man sehe den Leuten die Traurigkeit an, viele seien deprimiert, meint Herrling. "Trotzdem sind alle ruhig, sehr diszipliniert, trotz der langen Schlangen an der Tür." Dankbar seien die meisten, dass sich ihr Team -jeweils 20 zusätzliche Mitarbeiter in zwei Schichten - um die Betroffenen kümmert.
Auch Christiane Wolf wartet auf Geld. Knapp 200 Meter wohnt die 22-Jährige vom Fluss entfernt. Ihren Antrag hat sie bereits abgegeben, gleich wird sie 650 Euro in bar ausgezahlt bekommen, für sich und ihre kleine Tochter. "Meine Wohnung ist klein, alle größeren Sachen hatte ich im Keller. Der war komplett geflutet: Snowboard, Gefriertruhe, Waschmaschine, alles dahin." Besonders ärgerlich: Erst kurz vor der Flut hatte sie ihre Haftpflicht gekündigt. Nun gibt es kein Geld von der Versicherung. Die Soforthilfe sei zwar nicht üppig, reiche aber wenigstens für die nötigsten Dinge. Gerechnet habe sie damit nicht. "Das ist ein gutes Zeichen von Stadt und Land, das hilft auf jeden Fall ein wenig", so Wolf.
Betrug wäre die nächste Katastrophe
H35-Leiterin Iris Herrling ist derweil weiter im Dauereinsatz. Ihre eigene Wohnung hat die Flut unter Wasser gesetzt, doch jetzt muss sie erst einmal die Arbeit ihrer Mitarbeiter koordinieren. "Wir haben hier nebenbei auch noch einen normalen Service zu leisten." Autozulassungen, Führerscheine, Anmeldungen. Das alles muss ebenfalls weiter laufen. "Eine absolute Herausforderung für uns, das logistisch hinzubekommen in diesem Durcheinander."
Hat sie Angst, dass einige das Chaos ausnutzen und sich zu Unrecht Geld abholen? "Wir prüfen ja anhand der Ausweise, ob jemand im betroffenen Gebiet wohnt oder nicht, und gehen davon aus, dass die Bürger ehrlich sind." Ganz ausschließen könne sie allerdings nicht, dass Anträge doppelt ausgefüllt werden. Falls das später festgestellt werden sollte, wird das Geld eben zurückgeholt. Herrling glaubt aber nicht, dass das passiert. "Dann hätten wir hier gleich die nächste Katastrophe."
Hannelore Kaiser ist mittlerweile fast fertig. Gerade beantwortet sie die letzten Fragen zu ihrem Antrag. "Wie sieht es denn bei ihnen mit einer Versicherung aus?", fragt die Mitarbeiterin. "Schlecht", sagt Kaiser. Da habe sie bereits angerufen, keinen Cent wolle die zahlen. "Bei Feuer würden sie uns helfen, aber bei dieser Katastrophe nicht." Ungläubig schüttelt sie ihren Kopf. Nach nur 20 Minuten ist ihr Antrag genehmigt: 800 Euro bekommt sie für sich und ihren Mann ausbezahlt.
"Sobald das Geld auf dem Konto ist, fahren wir los und kaufen eine neue Kühltruhe", freut sich die 56-Jährige. Und schiebt gleich nüchtern hinterher, dass nun nur noch der Strom in ihre Wohnung zurückkehren müsse. "Ohne Strom keine kalte Kühltruhe, oder!?", bemerkt sie mit einem gequälten Lächeln auf den Lippen. Sie scheinen ihren Humor noch nicht ganz verloren zu haben, die Menschen an der Weißen Elster in Gera.