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Ist Sotschi sicher?

Michail Bushuev30. Dezember 2013

Die Anschläge in Wolgograd werfen die Frage nach den Tätern auf. Die Sicherheitsexpertin Jekaterina Sokirjanskaja von der "International Crisis Group" in Moskau vermutet dahinter die Terrorgruppe "Emirat Kaukasus".

Russland Wolgograd Explosion Anschlag Bus 30. Dez. 2013
Bild: Reuters

DW: Frau Sokirjanskaja, wer ist in Russland in der Lage, solche Terrorakte wie die Anschläge in der russischen Stadt Wolgograd zu organisieren?

Jekaterina Sokirjanskaja: Es gibt in Russland zahlreiche terroristische Vereinigungen. Aber im Falle Wolgograd bin ich mir völlig sicher, dass dahinter die Gruppierung "Emirat Kaukasus" - oder wie sie selbst sich nennt - "Imarat Kawkaz" steht. Ihr Anführer Doku Umarow hat bereits Ende Juli eine Videoansprache veröffentlicht, in der er drohte, die Olympischen Spiele in Sotchi zu sabotieren. Der mutmaßliche Selbstmordattentäter war ethnischer Russe, aber auch er gehörte dem "Emirat Kaukasus" an. Obwohl Doku Umarow die Verantwortung für den ersten Terrorakt im Oktober - wie auch für die letzten beiden - nicht übernommen hat, bin ich mir absolut sicher, dass der Terrorakt die Verwirklichung seiner Drohungen ist.

Was ist über diese Gruppierung bekannt?

"Emirat Kaukasus" entstand 2007 im Zuge des Wandels der separatistischen Bewegung in Tschetschenien. Die Gruppierung wird von der UN, von Russland, den USA und anderen Ländern als terroristische eingestuft. Erst operierte sie im Nordkaukasus. Jetzt gibt es Meldungen, dass eine Zelle auch in Tatarstan tätig ist. An der Spitze des "Emirat Kaukasus" stehen traditionell Tschetschenen, aber seit 2009 wurde die Republik Dagestan zum Zentrum der Aktivitäten.

Die Gruppierung hat eine komplizierte Struktur. In einzelnen Verwaltungsbezirken, den Wilajets, hat sie ihren eigenen Amir, das heißt, Anführer, und einen Kadi, also einen Richter. Die Wilajets funktionieren weitgehend selbständig, obwohl sie gemeinsame Ziele verfolgen. Dort gibt es auch Sympathisanten. Manche lehnen den bewaffneten Kampf ab, aber erkennen die russischen Behörden nicht an. Für sie sind die Kadis und die Scharia die höchste Autorität.

Zu annähernd 90 Prozent finanziert sich die Gruppierung selbst. Sie erpresst die regionalen Behörden und Unternehmer. Und alle zahlen, weil die Polizei sie nicht beschützen kann. Viele melden die Erpressung oder die "Dschihad-Steuer" nicht einmal, da es sich um Schwarzgeld handelt. Das "Emirat Kaukasus" stützt sich nicht nur auf Ideologie, sondern auch auf kriminelle Wirtschaft.

Gibt es andere terroristische Gruppierungen, die vergleichbar stark sind?

Nein. Es gibt andere Terrorgruppen, aber keine hat so viel Macht wie "Emirat Kaukasus". Dabei muss man zugeben, dass die Sicherheitsbehörden recht erfolgreich sind. Jedes Jahr wird ein Teil der Leitung eliminiert. So, zum Beispiel, in der Republik Kabardino-Balkarien. Aber die Struktur ist so gestaltet, dass sie sich immer wieder regeneriert.

Wenn wir über die terroristische Bedrohung reden, möchte ich ein für Russland neues Phänomen erwähnen. Das sind die radikalisierten Einzeltäter. So wie die Brüder Zarnajew in den USA. Es sind Menschen, die den totalen Dschihad führen, aber keiner Organisation angehören. Schauen Sie, heute kann man eine Bombe nach einer Anleitung aus dem Internet bauen. Es braucht keinen größeren Aufwand an Geld und Organisation, um einen terroristischen Akt auszuführen. Es braucht nur einen Selbstmörder, der in einen Bus steigt.

Jekaterina Sokirjanskaja, Chefin des russischen Büros der International Crisis GroupBild: Privat

Wie viele potenzielle Terroristen werden in Russland vermutet?

Genau weiß das niemand. Im gesamten Nordkaukasus gehen Schätzungen von 1000 bis 1500 Personen aus. Aber heutzutage brauchen die Terroristen keine großen Armeen. Die müsste man illegal unterbringen, durchfüttern - das wären zusätzliche Kosten. Die Gruppierungen haben regen Zulauf an Rekruten, doch nicht jeder wird genommen. Aber auch eine geringe Zahl stellt eine gewaltige Bedrohung dar. Wenn man die Helfershelfer dazurechnet sind es zwei- bis dreitausend Mann, nicht mehr.

Welche Rolle spielt dabei der radikale Islam?

Zweifelsohne spielt die radikale Interpretation des Islam eine Schlüsselrolle. Vor allem der Salafismus. Diese Menschen verstehen sich als Teil des globalen Dschihad. Es gibt ja auch Kämpfer aus Russland in Syrien. Man spricht da von 1500 bis 2000 Dschihadisten aus dem Nordkaukasus.

Aber nicht alle Muslime sind radikalisiert. In Dagestan gibt es sehr viele Salafisten. Aber die meisten lehnen terroristische Methoden ab. In den Jahren 2011 bis 2012 wurde ein Versuch unternommen, diese Menschen zu integrieren. Aber seit dem 1. Januar 2013 hat die Republik eine neue Führung, die erbarmungslos durchgreift. Die Salafisten werden in die Illegalität gedrängt. In den letzten Monaten werden täglich 30 bis 40 Leute verhaftet. Man greift sich wahllos bärtige Männer, Frauen mit Kopftuch. Salafistische Kindergärten und Koranschulen werden geschlossen. Gemäßigte Anführer gehen ins Ausland, ihren Platz nehmen radikale ein. Ich war unlängst in Dagestan und habe erlebt, wie die Jugend durch die Gewalt seitens der Behörden radikalisiert wird.

Es drängt sich der Gedanke auf, dass diese Terrorakte auf die Olympischen Spiele in Sotschi zielen. Dort werden ja enorme Sicherheitsmaßnahmen ergriffen. Wie schätzen Sie das ein?

Die terroristische Gefahr ist real. Auch der riesige Aufwand, der in Sotschi und anderen russischen Städten betrieben wird, kann keine Garantie dafür sein, dass nicht etwas während der Spiele passiert. Sie sehen doch, wie wenig es braucht um einen Terrorakt zu begehen. Ich hoffe, dass es trotzdem gelingt, die Sicherheit während der Spiele zu gewährleisten.

Jekaterina Sokirjanskaja leitet die Vertretung der "International Crisis Group" in Russland.

Das Interview führte Michail Bushuev.

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