Indien: Kohle versus Solarstrom
25. August 2020In den vergangenen Jahren wurde Indien häufig gelobt, für sein Engagement im Bereich der erneuerbaren Energien. Seit 2015, als das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet wurde, hat die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt ihre Solarkapazität fast verneunfacht und die Emissionen stark reduziert.
Doch das Land setzt noch immer auf höchst umweltschädliche, fossile Energieträger.
"Auch wenn Indien seine Kapazitäten für erneuerbare Energien erhöht hat, so hat das Land immer noch keine politische Strategie für den Kohleausstieg entwickelt", sagt Tarun Gopalakrishna. Er arbeitet für das Think Tank Centre for Science and Environment in Neu-Delhi.
Stattdessen plant die indische Regierung in den nächsten zehn Jahren, zusätzliche 64 Gigawatt aus Kohlestrom in das Netz einzuspeisen.
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Indien privatisiert seine Kohleindustrie
Im Juni kündigte Premierminister Narendra Modi an, dass Indien 41 - inzwischen ist von 40 die Rede - staatliche Kohlebergwerke künftig von Privatunternehmen betreiben lassen will. Das war das letzte Mal in den 1970er-Jahren der Fall.
Diese Entscheidung ist Teil des Bestrebens nach "Atmanirbhar Bharat" – einem "eigenständigen Indien." Modi hob hervor, dass Indien zwar der zweitgrößte Kohleproduzent der Welt ist, gleichzeitig aber auch der zweitgrößte Kohleimporteur.
"Für ein junges, aufstrebendes Land und einen Global Player wie Indien ist es nicht gut, wenn es bei so etwas Grundlegendem wie der Energieversorgung von Einfuhren abhängig ist", sagt Bharath Jairaj, Direktor des Energieprogramms des World Resources Institute.
Klimaexperten sind besorgt: Die Kohleförderung steht im Gegensatz zu dem Ziel des Landes, seine Emissionen zu senken. Außerdem liegen einige Kohlereserven unter zuvor geschützten Urwäldern.
"Die Öffnung von Kohlebergwerken für Privatunternehmen passt nicht zu der Verpflichtung Indiens, die Waldfläche zu vergrößern", sagt Gopalakrishnan gegenüber der DW.
Indiens wachsender Energiebedarf
Indien gehört weltweit zu den Ländern mit den niedrigsten Pro-Kopf-Emissionen. Hunderte Millionen Inder haben noch immer keinen verlässlichen Stromanschluss.
Laut Global Carbon Project verbraucht ein Durchschnittsamerikaner zehnmal so viel Energie wie ein indischer Durchschnittsbürger.
Aber mit 1,4 Milliarden Einwohnern steht Indien an dritter Stelle, nach China und den USA, was den globalen Ausstoß von Treibhausgasen angeht.
Und Bevölkerung und Wirtschaft wachsen weiter. Immer mehr Einwohner werden einen Zugang zum Stromnetz bekommen. Deshalb erwartet die Internationale Energieagentur (IEA), dass sich die Nachfrage nach Strom bis 2020 verdreifacht. Und dass die Emissionen im Energiesektor im selben Zeitraum um fast 80 Prozent steigen.
Die Verfechter von Kohlestrom sagen, dass Indien - ein Entwicklungsland mit schnell steigendem Energiebedarf – nicht bereit ist, Kohle durch nicht ständig verfügbare, erneuerbare Energien zu ersetzen.
"Da Indiens Energiebedarf ständig steigt, wird Kohle immer ein wichtiger Bestandteil des Energie-Mixes des Landes sein", sagt ein Sprecher von Coal India Limited, dem staatlichen Bergbauunternehmen gegenüber der DW.
"Kohle ist preisgünstig, hat sich bewährt und ist der Grund dafür, dass Indien den Bergbau ausweiten will", fügt er hinzu.
Solarenergie - Indiens Hoffnung?
Dabei hat die indische Regierung den Sektor der erneuerbaren Energien stark ausgebaut.
Laut der IEA ist Strom aus Solarenergie inzwischen 75 Prozent billiger als Energie aus Kohle.
2,5 Milliarden Euro wurden 2019 in den Sektor investiert – und Indien hat weltweit vier der fünf größten Geschäfte im Bereich der erneuerbaren Energien abgeschlossen. Das geht aus einem Bericht des Frankfurt School - UNEP Collaborating Centre hervor, einer Denkfabrik, die sich auf Lösungen beim Klimaschutz konzentriert und den privaten Finanzsektor miteinbezieht.
Als Indien das Pariser Klimaschutzabkommen unterzeichnete, wurde es zu seinen ehrgeizigen Zielen beglückwünscht. Laut Climate Action Tracker war es die einzige Zusage einer großen Volkswirtschaft, die im Einklang mit der Verpflichtung stand, die globale Erderwärmung auf 2 Grad Celsius zu begrenzen.
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Aber Bill Hare von Climate Analytics - eine der Organisationen, die hinter Climate Tracker stehen - sagt, dass die Bewertung dieser Ziele die indische Innenpolitik nicht berücksichtigt und dass die Ziele nach und nach "immer weniger Bezug zur Realität haben."
"Der kontinuierliche Ausbau der Kohleförderung steht nicht im Einklang mit dem Pariser
Abkommen, und die Kohle muss in Indien relativ schnell - bis 2040 - auslaufen", sagt Hare.
Mehr Investitionen in Infrastruktur nötig
Indien hat sich in Paris verpflichtet, 40 Prozent der Elektrizität aus erneuerbaren Energien zu erzeugen, bis zum Jahr 2030. Schon jetzt, also zehn Jahre vorher, beträgt dieser Anteil 36 Prozent.
Doch nur ein Bruchteil davon kann derzeit genutzt werden. Denn Indien verfügt nicht über die nötige Netz- und Speicherinfrastruktur, um die schwankende Energiemenge aus Wind- und Sonnenenergie zu fassen.
Karthik Ganesan sagt, dass die Preise für Solarenergie nicht so niedrig sind, wie sie scheinen. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Council on Energy, Environment, and Water in Neu-Delhi.
"Wenn man die Speicherkosten für Solarenergie einrechnet, wird der Preis pro Einheit dem von Kohlestrom ähnlich sein oder er wird sogar höher sein", sagt Ganesan. Er fügt hinzu, dass Solarenergie Kohle erst dann ersetzen wird, wenn man diese kostengünstig speichern kann.
"Solar und Kohle befinden sich derzeit nicht auf Kollisionskurs", sagt Ganesan der DW.