1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Soldaten fordern neues Afghanistan-Mandat

15. Dezember 2009

Die Diskussion um die Kundus-Affäre reißt nicht ab. Jetzt macht sich der Bundeswehrverband dafür stark, dass die Soldaten mit einem Mandat ausgestattet werden, mit dem sie in den Kämpfen "auch bestehen können".

Ulrich Kirsch (Foto: AP)
Ulrich Kirsch kritisiert die Regeln, wie die Bundeswehr in Afghanistan agieren sollBild: AP

Wer in einen Krieg zieht, der sollte sich auch verteidigen können. Ob sich die deutschen Soldaten in Afghanistan vor Angriffen der Taliban ausreichend schützen dürfen, ist für Ulrich Kirsch, den Chef des Bundeswehrverbandes, aber überhaupt nicht klar.

Kirsch räumte am Dienstag (15.12.2009) in mehreren Fernsehinterviews ein, dass "der Tanklaster-Beschuss nach den derzeitigen Regeln mit einem Fragezeichen versehen werden muss". Doch er kritisierte die Regeln, also das Mandat des Parlamentes, wie die Bundeswehr in Afghanistan agieren darf. Dieses Mandat sei aus seiner Sicht zwar gelockert worden, sei aber immer noch nicht ausreichend, um im Umgang mit den aufständischen Taliban-Kämpfern zurechtzukommen.

Soldaten sauer über angebliche Schönfärberei

Das Bombardement in Kundus sorgt weiter für DiskussionenBild: AP

"Das Skandalöse ist, dass wir nicht mit den Regeln ausgestattet worden sind, die wir dort brauchen, um zu bestehen", sagte Kirsch. "Täglich Raketen, täglich Angriffe auf Patrouillen. Das ist die Realität, die wir im Einsatzland haben." Aus Sicht des Bundeswehrverbands befinden sich die deutschen Soldaten in der Umgebung von Kundus "in einem regionalen Krieg". Die Situation dort ist nach Meinung von Kirsch vom Parlament "in der Vergangenheit schöngefärbt worden".

Der Unmut der Soldaten ist für ihn greifbar. "Die Frauen und Männer in Afghanistan fragen sich: Worüber diskutieren die eigentlich? Diskutieren die nicht am Thema vorbei? Wir sind hier jeden Tag im Kampf, im Gefecht. Wir erleben, dass es in der Tat hier ein nicht-international bewaffneter Konflikt ist, wie die Völkerrechtler es sagen. Sie erwarten, dass der Deutsche Bundestag das zur Kenntnis nimmt und dementsprechend auch feststellt, dass hier nun das Völkerstrafrecht gilt und nicht nationales Recht."

Indirekt legitimierte Kirsch sogar das Bombardement. Nach Meinung des Verbandschefs ist die Frage nach der Rechtmäßigkeit des verheerenden Bombardements Anfang September nämlich relativ einfach zu beantworten: "Wenn wir einen nicht-international bewaffneten Konflikt haben, wie wir ihn in der Realität sehen, dann ist es auch erlaubt, präventiv zu wirken."

Streit um die Auslegung des Afghanistan-Mandats

Das Mandat des Bundestags für den Einsatz der bis zu 4500 Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan war erst vor einigen Wochen bis Dezember 2010 verlängert worden. In dem Bundestagsbeschluss heißt es mit Bezug auf die Afghanistan-Resolution des UN-Sicherheitsrats: "Die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) ist autorisiert, alle erforderlichen Maßnahmen einschließlich der Anwendung militärischer Gewalt zu ergreifen, um das Mandat gemäß Resolution 1833 (aus dem Jahre 2008) durchzusetzen." Und weiter: "Die Wahrnehmung des Rechts zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung bleibt davon unberührt. Die im Rahmen dieser Operation eingesetzten Kräfte sind befugt, das Recht auf bewaffnete Nothilfe zugunsten von jedermann wahrzunehmen."

Die Opposition spricht deshalb davon, dass der verheerende Luftangriff von Anfang September gegen den "Geist des Mandats" - also den Auftrag der Bundeswehr – verstoße, weil bei dem Bombardement in Kundus ihrer Auffassung nach präventiv vom Einsatz der Waffen Gebrauch gemacht wurde.

Kirsch fordert klares Bekenntnis von Merkel

Die Kanzlerin und die deutschen Soldaten: Nun fordert der Bundeswehrverband klare Worte von ihrBild: AP

Die Soldaten sehen aus Kirschs Sicht in der Kundus-Affäre nun die Politik am Zug. Für Kirsch ist klar: "Die Politik muss sich zeitnah mit der Frage befassen, was wir dort haben: Einen nicht-international bewaffneten Konflikt oder einen reinen Stabilisierungseinsatz." Kirsch drückt aus, was die Soldaten von der Politik verlangen: "Von diesem Parlament erwarte ich, dass diese Dinge geklärt werden." Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel nimmt er dabei ausdrücklich in die Pflicht.

Doch aus dem Umfeld Merkels werden die Forderungen nach einer Stellungsnahme der Kanzlerin zu dem Bombardement zurückgewiesen. Die Regierungschefin habe sich bereits im September im Bundestag zu dem von der Bundeswehr angeordneten Luftangriff im Norden Afghanistan positioniert, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Peter Altmaier. Davon habe sie nichts zurückzunehmen. Man müsse nun "den Dingen ihren Gang lassen". Auch CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich hält eine Stellungnahme Merkels für unnötig: "Ich wüsste nicht, was die Bundeskanzlerin sagen sollte."

Auch die Opposition wartet auf eine Aussage Merkels

Claudia Roth will eine Perspektive für den weiteren Afghanistan-Einsatz sehenBild: picture-alliance/ dpa

Das sehen einige Oppositionspolitiker anders. Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth verlangt von der Bundesregierung über die Kundus-Affäre hinaus Aufklärung über die weitere Perspektive für die Soldaten in Afghanistan. "Die Regierung muss nun beantworten, wie es nach dem Debakel eigentlich weiter gehen soll", sagte Roth. "Aufbauprojekte finden dort nicht mehr statt, die zivilen Helfer sind weitgehend abgezogen."

Claudia Roth stellt grundsätzliche Fragen zu dem Einsatz. "Was ist jetzt die Aufgabe der Bundeswehr und was ist die Perspektive für den Einsatz der deutschen Soldaten? Mit welchen Zielen und mit welchem Konzept für Afghanistan geht die Bundesregierung in die Londoner Konferenz im Januar?" Für Roth ist klar: Von der deutschen Delegation wird in London erwartet, dass das Land mehr Soldaten nach Afghanistan schicken soll. "Das würde nach Lage der Dinge nur eine weitere Eskalation der Gewalt bedeuten, die ich nicht mittragen kann und werde."

Ausschuss bildet sich am Mittwoch

Am Mittwoch konstituiert sich der Verteidigungsausschuss des Bundestags als Untersuchungsausschuss zu der Kundus-Affäre. Die SPD hat bereits fast 50 Zeugen benannt, die sie befragen möchte - bis hin zu Kanzlerin Merkel. Auch Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg soll vor dem Ausschuss aussagen. Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold sagte, der Minister müsse sich fragen lassen, wie er angesichts des NATO-Berichts zu der Bewertung kommen konnte, der Luftangriff mit bis zu 142 Toten und Verletzten sei angemessen gewesen. "Das kann man aus dem Bericht nun wirklich nicht herauslesen."

Autor: Marcus Bölz (dpa, Afp, AP)
Redaktion: Martin Muno

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen