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Solingen: Anschlag löst Debatte über Abschiebungen aus

Elizabeth Schumacher | Andrea Grunau
28. August 2024

Der tödliche Messerangriff hat die Frage aufgeworfen, warum der verdächtige Syrer noch in Deutschland ist, obwohl er 2023 abgeschoben werden sollte.

Ein Mann mit dunklen Haaren, Ohrenschützern und Augenabdeckung in geduckter Haltung Deutschland zwischen zwei Uniformierten, die man nur bis zur Taille sieht
Polizisten führen den Tatverdächtigen der Solinger Messerattacke ab. Drei Menschen wurden getötet, acht weitere verletzt und viele sicher durch die brutalen Morde traumatisiertBild: Heiko Becker/REUTERS

Was wurde versäumt im Fall des Tatverdächtigen des Messeranschlags in Solingen, des 26-jährigen Syrers Issa Al H., der sich zur Terrorgruppe "Islamischer Staat (IS)" bekannt hat? Was sollte sich bei Abschiebungen ändern? Bei dem Angriff auf Besucher des Stadtfests waren drei Menschen getötet und acht verletzt worden, vier davon schwer. Details dieses Falls werden von den zuständigen Behörden immer noch geklärt, aber die Debatte ist schon in vollem Gang.

Bekannt wurde, dass der Asylbewerber Issa Al H. aus Syrien im Jahr 2023 aus Deutschland abgeschoben werden sollte und zwar auf Grundlage der sogenannten Dublin-Verordnung. Diese sieht vor, dass Asylbewerber ihren Antrag in dem Land der Europäischen Union (EU) stellen müssen, in dem sie zuerst in der EU registriert wurden. Bei dem mutmaßlichen Attentäter war das Bulgarien.

Wandern sie aber weiter, etwa nach Deutschland, muss innerhalb von sechs Monaten die Rückführung in das Land der ersten Registrierung erfolgen, sonst können sie den Asylantrag im neuen Aufenthaltsland stellen. In Deutschland sind die Bundesländer für die Rückführung zuständig. Bei Personen, die nicht auffindbar sind, verlängert sich die Frist auf 18 Monate, aber nur wenn die Behörden am letzten Aufenthaltsort nach der Person suchen oder fahnden.

Wie hätte sich der tödliche Anschlag vermeiden lassen? Das fragen sich nicht nur die trauernden Menschen in SolingenBild: Thomas Banneyer/dpa/picture alliance

Im Fall von Issa Al H. hätte ihn das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) nach Bulgarien schicken müssen, wo er zuvor registriert worden war. Bulgarien hatte der Rückführung zugestimmt. Die NRW-Behörden hatten offenbar einmal im Juni 2023 versucht, den Syrer aus seiner Unterkunft in Paderborn abzuschieben, trafen ihn aber nicht an.

Einige Monate später wurde er in einem Flüchtlingsheim in Solingen untergebracht. Nachdem die Sechs-Monats-Frist abgelaufen war, konnte er rechtmäßig in Deutschland einen Asylantrag stellen und bekam "subsidiären Schutz". Diesen Schutz können in Deutschland Menschen beantragen, die nicht als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention gelten, wenn sie bei einer Rückkehr in ihr Heimatland ernsthaft gefährdet wären.

"Abschiebung scheiterte nicht an rechtlichen Hürden"

Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte in der Bundespressekonferenz: "Klar ist, dass es nicht an rechtlichen Hürden gescheitert ist, dass der mutmaßliche Täter nicht abgeschoben worden ist, sondern an der Praxis gescheitert ist. So etwas darf nicht passieren, aber so etwas passiert."

Dass die Rückführung in andere EU-Länder nicht gelingt, ist kein Einzelfall. Die Sprecherin des Bundesinnenministeriums nannte Zahlen. Demnach gab es im ersten Halbjahr 2024 insgesamt 36.795 Zustimmungen aus anderen EU-Staaten zu Dublin-Übernahmen, aber nur 3043 Menschen wurden überstellt. Im Jahr 2023 waren es 5053 Überstellungen bei 55.728 Zustimmungen. Auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) fordert, das bestehende Recht konsequenter durchzusetzen.

Verschärfung der Regeln für Abschiebungen

Bei der Debatte nach dem Anschlag in Solingen geht es auch darum, wie trotz vier großer Reformen des Abschieberechts seit 2015 abgelehnte Asylbewerber immer noch durch die Maschen fallen können.

Im Januar stimmte die Bundesregierung einer Reihe neuer Maßnahmen zu, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vorgeschlagen hatte. Dazu gehören die auf 28 Tage verlängerte Haft für Personen, die abgeschoben werden sollen. Außerdem erweiterte Durchsuchungs- und Beschlagnahmerechte für die Polizei, wenn der Verdacht besteht, dass sich ein abgelehnter Asylbewerber in einer Gemeinschaftsunterkunft versteckt oder sich nicht ausweisen kann. Sowie die Nichtbenachrichtigung abgelehnter Asylbewerber über ihren Abschiebungstermin, um eine Flucht zu verhindern (für Minderjährige oder Familien mit Kindern gibt es eine Ausnahme).

Das Thema Abschiebungen führt in Deutschland immer wieder zu politischen DebattenBild: Daniel Kubirski/picture alliance

In Abschiebehaft werden abgelehnte Asylbewerber in der Regel nur dann genommen, wenn sie eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen oder wenn der dringende Verdacht besteht, dass sie fliehen könnten. Nach deutschen Medienberichten war Issa Al H. weder als gefährlich noch als fluchtgefährdet eingestuft worden.

Das Abschiebungsverbesserungsgesetz enthält eine neue Regelung, wonach die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ein Grund für eine Abschiebung ist, auch dann, wenn man nicht wegen einer Straftat verurteilt wurde. Im Fall des Verdächtigen von Solingen war er den Behörden aber offenbar nicht als Terrorverdächtiger oder auch nur Sympathisant des IS bekannt.

Zahl der Abschiebungen ist 2024 gestiegen

Von Januar bis Juli 2024 gab es laut Bundesinnenministerium in Deutschland 11.102 Abschiebungen, im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es 9.185 Abschiebungen. Das entspricht einer Zunahme von gut 20 Prozent.

Die Neue Osnabrücker Zeitung hatte im Mai berichtet, dass im ersten Quartal 2023 mehr als 7000 geplante Abschiebungen nicht stattgefunden hätten. In einigen Fällen liege dies daran, dass Piloten sich aus technischen Gründen weigern können, Abschiebeflüge zu fliegen, oder weil die für die Abschiebung vorgesehenen Personen ernsthafte gesundheitliche Probleme haben können. In der überwiegenden Mehrheit der Fälle liege es jedoch entweder daran, dass der abgelehnte Asylbewerber untergetaucht ist oder dass sein Herkunftsland nicht bereit ist, ihn aufzunehmen.

Abschiebung nach Syrien oder Afghanistan?

Syrien wurde 2020 von der deutschen Liste der Länder gestrichen, in die niemand abgeschoben werden kann. Im Juli 2024 stellte ein Gerichtsurteil über die Abschiebung eines verurteilten Menschenschmugglers fest, dass einige Teile Syriens sicher sind, um dorthin zurückzukehren. Den meisten syrischen Flüchtlingen in Deutschland wird jedoch weiterhin subsidiärer Schutz gewährt.

Nach dem Anschlag in Solingen wird wieder darüber debattiert, ob Menschen nach Syrien, aber auch nach Afghanistan abgeschoben werden können. Derzeit gibt es zu beiden Staaten keine offiziellen diplomatischen Beziehungen. Politiker der konservativen Opposition, der Union aus CDU und CSU, haben gefordert, auch in diese Staaten abzuschieben.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte dem Radiosender rbb zur Abschiebung von Straftätern und Terroristen: "In Einzelfällen ist das dort möglich, aber es ist offensichtlich nicht trivial." Sie verwies auf die in Afghanistan herrschenden radikalislamischen Taliban und die Assad-Diktatur in Syrien. Baerbock warnte zugleich vor pauschalen Forderungen nach Abschiebungen. Falsch sei es, jetzt den Schutzstatus von Geflüchteten generell in Fragen zu stellen, "von Kindern, die hier zur Schule gehen", weil man "an die Mörder nicht herankomme".

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) warnt vor pauschalen Forderungen nach AbschiebungenBild: dts-Agentur/picture alliance

Der Sprecher ihres Ministeriums hatte in der Bundespressekonferenz gesagt: "Nach unseren Erkenntnissen kommt es in allen Landesteilen Syriens weiterhin zu Kampfhandlungen unterschiedlicher Intensität. Es gibt glaubwürdige Berichte über teils schwerste willkürliche Menschenrechtsverletzungen, Folterpraktiken und Hinrichtungen." Daher kämen auch die Vereinten Nationen zu der Einschätzung, "dass die Bedingungen für eine sichere Rückkehr von Geflüchteten derzeit nicht gegeben sind".

Bei der Abschiebung von Gewalttätern bemüht sich die Bundesregierung offenbar um Vereinbarungen mit Nachbarstaaten. Die Sprecherin des Bundesinnenministeriums sagte: "Wir wollen insbesondere islamistische Gewalttäter konsequent abschieben. Wir verhandeln in diesem Zusammenhang vertraulich mit verschiedenen Staaten, um Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien wieder möglich zu machen."

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