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Politik

Somalia zwischen Staatsaufbau und Anti-Terror-Kampf

27. September 2017

Die USA haben ihr militärisches Engagement in Somalia erhöht. Neben Drohnen sind auch Spezialkräfte am Boden im Einsatz, um die Extremisten der Al-Shabaab zu bekämpfen. Die Strategie birgt Gefahren für den Staatsaufbau.

Somalia Mogadischu Anschlag
Bild: Reuters/F. Omar

Die Flüchtlinge aus Bariire reden über fremde Soldaten, Schüsse, Explosionen, einen Angriff aus der Luft. Ihre Zeitangaben sind ungefähr, Tage und Ereignisse verschwimmen in der Emotionalität. Sie haben Angst - vor beiden Seiten, wie sie sagen. Marian, die in Wirklichkeit anders heißt, ist jetzt Witwe. Ihre sieben Kinder haben den Vater verloren. Als die Kämpfe in Bariire aufhörten, fand Marian ihren Mann tot auf einem Feld. Sein Körper sei blutig und durchlöchert gewesen, berichtet sie. Wer wann geschossen hat, kann sie nicht sagen.

Jetzt sitzen Marian und die anderen geflohenen Menschen im Staub eines Lagers in der Hauptstadt Mogadischu. Sie sind Bauern. Ihre Heimat Bariire liegt in der umkämpften Region Lower Shabelle im Süden Somalias, weniger als 60 Kilometer von Mogadischu entfernt. Bariire galt bis vor kurzem als Hochburg der islamistischen Al-Shabaab-Miliz, die sich zu Al Kaida bekennt und für einen Gottesstaat kämpft. Doch am 20. August gelang es Truppen der Afrikanischen Union (AU) gemeinsam mit somalischen Soldaten, das Zentrum von Bariire einzunehmen. Die AU hat im Kampf gegen Al-Shabaab rund 22.000 Soldaten in Somalia stationiert. Auch US-Soldaten sollen nach unbestätigten Augenzeugenberichten an der Einnahme von Bariire beteiligt gewesen sein.

Was geschah in Bariire?

Nur wenige Tage später, am 25. August, gab es dort einen weiteren Militäreinsatz - eine Razzia auf einem Bauernhof in den frühen Morgenstunden. Zehn Zivilisten verloren dabei ihr Leben, darunter drei Jungen im Alter zwischen acht und zehn Jahren. Die somalische Regierung bestritt zunächst, dass es zivile Opfer gegeben habe, musste sich aber später korrigieren. Angehörige brachten die Leichen der Opfer aus Protest nach Mogadischu. Man habe die getöteten Bauern in der Dunkelheit irrtümlich für Al-Shabaab-Kämpfer gehalten, sagte Somalias Armeechef General Ahmed Jimale Irfid in einem Interview mit der "Voice of America".

Marian hat ihren Mann bei den Kämpfen um Bariire verloren.Bild: DW/S. Petersmann

Auch das US-Zentralkommando für Afrika, das seinen Sitz im süddeutschen Stuttgart hat, veröffentlichte noch am 25. August eine Stellungnahme. "Wir sind uns der Anschuldigung bewusst, dass es in der Nähe von Bariire in Somalia zivile Opfer gegeben haben soll." Eine Untersuchung sei eingeleitet worden. Die somalische Armee habe dort eine Operation "mit der Unterstützung von US-Kräften" durchgeführt. Seitdem sind keine weiteren Einzelheiten mehr an die Öffentlichkeit gelangt. Nach somalischen Medienberichten soll es Entschädigungszahlungen an den betroffenen Clan gegeben haben.  

Staatsaufbau in Somalia

In Somalia herrscht seit 1991 Bürgerkrieg. Der Staat ist zerfallen. Die mächtigsten Clans des Landes füllen das Vakuum. Doch jetzt will das Land am Horn von Afrika mit internationaler Hilfe neue, föderale Strukturen aufbauen. Seit Dezember gibt es ein neues Parlament, seit Februar einen neuen Präsidenten. In beiden Wahlgängen buhlten auch die großen somalischen Clans um die Macht, es floss viel Geld. Trotzdem spricht Michael Keating, der UN-Sondergesandte für Somalia, gegenüber der Deutschen Welle von einer bedeutenden Verbesserung.  "Es war ein Wahlprozess, der auch durch korruptes Handeln und Einschüchterungen gekennzeichnet war. Aber das Erstaunliche ist doch, dass der Wahlausgang sowohl von der Bevölkerung als auch von der internationalen Gemeinschaft als legitim angesehen wird."

Vor allem Präsident Mohamed Abdullahi Mohamed genießt Vertrauen. Er ist ein zurückgekehrter Flüchtling. Der Präsident hat neben der somalischen auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Er wirbt um weitere militärische Unterstützung, um Investitionen und direkte Finanzhilfen an seine Regierung. Vor der Küste locken Ölreserven. "Unsere Sicherheit ist die Sicherheit der ganzen Welt. Somalia kann der Beweis dafür sein, dass man den Terror besiegen kann", bekräftigt Informationsminister Abdirahman Omar Osman im Gespräch mit der Deutschen Welle. Er ist aus London nach Mogadischu zurückgekehrt. Viele Angehörige der somalischen Diaspora wagen in diesen Tagen die Rückkehr.

Im neuen Friedenspark von Mogadischu genießen Kinder eine Fahrt mit dem Kettenkarussell.Bild: DW/S. Petersmann

In der Hauptstadt lässt sich die Aufbruch-Stimmung an unzähligen Baustellen und an neuen Straßen, Cafés und Geschäften ablesen. Ausländische Diplomaten, Berater und Helfer strömen ins Land. Botschaften werden gebaut. Doch die meisten Ausländer verschanzen sich hinter hohen Sprengschutzmauern auf dem geschützten Flughafengelände. Autobomben, Selbstmordattentäter und Entführungen gehören noch immer zum somalischen Alltag. Die Truppen der Afrikanischen Union wollen 2020 abziehen. Die Angst vor einem neuen Machtvakuum ist groß. "Die Herausforderung für uns alle ist, so zusammenzuarbeiten, dass die Somalis ihre Probleme selber lösen können, ohne dass wir ihnen unsere eigenen Lösungen aufzwingen, weil wir es eilig haben oder weil wir hier selber bestimmte Dinge erreichen wollen", warnt der UN-Sondergesandte Michael Keating und vergleicht den Staatsaufbau mit einem jahrzehntelangen Marathon.

Bariire - ein Warnsignal

Wie kompliziert der Prozess des Staatsaufbaus ist, zeigt auch der ungeklärte Fall der zehn getöteten Zivilisten in Bariire. Das Gebiet Lower Shabelle, in dem Bariire liegt, ist nicht nur eine Hochburg von Al-Shabaab, sondern auch die Heimat rivalisierender Clans, die ebenfalls bewaffnet sind. Die Dürre am Horn von Afrika hat ihre Konflikte um Wasser und Land verschärft. Es ist schwer, zwischen Zivilisten und Extremisten zu unterscheiden.

Von wem stammten die Informationen, die zu der Militäroperation in den frühen Morgenstunden des 25. August führten? Wer prüfte sie? Die USA haben nach eigenen Angaben nur "ein paar dutzend Soldaten" im Land. Für die "Feindaufklärung" sind sie auf somalische Quellen angewiesen. Sicherheitskreise in Mogadischu halten es für wahrscheinlich, dass ein Clan den anderen beschuldigte, für Al-Shabaab zu kämpfen. Vermutlich haben sich US-Kräfte an der Seite somalischer Soldaten in Bariire in einen lokalen Konflikt hineinziehen lassen.

Archivbild aus dem Jahr 2011: Al-Shabaab-Kämpfer in Somalia Bild: picture alliance/AP Photo/F. A. Warsameh

Trump und der Anti-Terror-Kampf

Im März gab US-Präsident Donald Trump seinem Militär größere Vollmachten für Anti-Terroroperationen in Somalia. Seitdem hat es mindestens 13 Einsätze mit US-Beteiligung gegeben - drei Bodenoperationen und zehn Luftangriffe. Man müsse militärischen Druck erzeugen, sagt auch UN-Mann Michael Keating.  "Doch die globale Erfahrung lehrt uns, dass man eine Aufstandsbewegung nicht allein mit militärischen Mitteln besiegen kann." Es müsse auch um Gerechtigkeit und um die Schaffung neuer Perspektiven gehen. Somalia sei voll von ungelösten Konflikten.

Ein ausgestiegenes Al-Shabaab Mitglied aus Lower Shabelle berichtet der Deutschen Welle, dass die Extremisten lokale Konflikte ausnutzen, um den Staat anzugreifen. "Die Leute, die unter Al-Shabaab leben, glauben, dass die Regierung der Feind ist und dass die Soldaten Verbrechen begehen. Wenn die Regierung ein Shabaab-Gebiet erobert, dann rauben und töten die Soldaten." Militärische Operationen wie in Bariire können den Islamisten neue Rekruten in die Arme treiben.

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