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Sommer, Sex und saure Gurken

Marcus Bösch8. August 2003

Hurra, das Sommerloch ist da! Alle sind im Urlaub. Schlagzeilenschwund macht sich breit. Aber zum Glück gibt´s ja noch wildgewordene Tiere, elektronische Alkoholwegfahrsperren und das Sommertheater der Hinterbänkler...

Irgendwo am BadeseeBild: AP

Keiner da. Gähnende Leere herrscht auf deutschen Fluren. Regierungssprecher, Kreisvorsitzende und die ganze Semi-Prominenz sind im Urlaub, fläzen am Strand oder scheren die heimischen Hecken. Und dann diese Hitze. Liegt über der Stadt, kriecht durch Redaktionsstuben, lähmt und macht müde. Schlagzeilenschwund und Themenmangel machen sich breit. Saisonale Nachrichtenarmut regiert.

Schwere Themen ade

Und dann kommt er: Ein niedlicher, kleiner Finnwal, knappe 15 Meter lang. Eben noch behäbig im weiten Ozean paddelnd hat sich der Riesensäuger Anfang August 2003 nach Kiel verirrt. Orientierungslos schwimmt er im Hafenbecken, findet den Weg nicht zurück und schaut dabei recht putzig aus. Die Kinder am Ufer jubeln, die herbeigeeilten Reporter am Ufer jubeln und die bestellten Kameramänner jubeln auch. Ein Thema ist da, ein Bild und ein Filmchen zum frischen Versenden zur Primetime im Ersten.

Willkommen im Sommerloch. Die Saison, die Ende Juni beginnt und sich Anfang September wieder verabschiedet. Saure-Gurken-Zeit sagen die einen, weil jetzt die Gurken reifen und eingelegt werden. "Silly Season" sagen die Engländer und meinen doch das Gleiche. "Die handelnden Politiker, ein großer Teil des Publikums und viele Journalisten sind im Urlaub," sagt Jo Gröbel, Leiter des Europäischen Medieninstituts in Düsseldorf. "Und bei großer Hitze nimmt die Bereitschaft ab, sich mit schweren Themen zu befassen", fügt der Experte hinzu.

Sonnenbaden im ParkBild: AP

Loch Ness ist leer

Egal ob Gummibärchensteuer, Krokodile im Rhein oder elektronische Alkoholwegfahrsperren, keine Idee scheint zu abstrus, um nicht flugs seitenlange Artikel zu füllen. Munter aufgebauscht wird jede Belanglosigkeit irgendwann zum Ereignis. Besonderer Beliebtheit erfreut sich das politisches Sommertheater. Auf dessen Bühne wähnen sich Parlaments-Hinterbänkler auf den Spuren Andy Warhols. Eiskalt fordern sie ihre 15 Minuten Ruhm. Unvergessen bleibt der Vorschlag des CSU-Abgeordneten Dionys Jobst aus dem Jahr 1994: Eingliederung Mallorcas in die Bundesrepublik.

Natürlich kennt man auch auf anderen Kontinenten abwegige und abstruse Berichterstattungen. Das klassische Sommerlochthema scheint nach einem Blick in die internationale Presse aber ein recht europäisches Phänomen zu sein. Nirgendwo wird so flächendeckend gleichzeitig gemeinsam gestritten: über subventionierte Viagra-Pillen für EU-Beamte oder die 2003 wissenschaftlich nachgewiesene Abwesenheit eines Seeungeheuers im schottischen Loch Ness.

Seeungeheuer Nessie 1934Bild: AP

Sexbomben und Cyberwar

Wer auch mal hautnah ein Sommerloch erleben will, dem empfiehlt sich ein sommerlicher Ausflug nach Rheinland-Pfalz. Denn nicht weit von Mainz schlummert das 450-Seelen-Dorf Sommerloch. Wesentlich ungefährlicher als ein wildgewordener Bildungssenator ("Sexbomben an unseren Schulen"), ein Kaiman im Badesee oder ein drohender Cyberwar lädt Sommerloch zum Winzerfest.

Sommerloch Ortseingangsschild Grafik