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Sonne, Strand und Impfspritze

Kristie Pladson
22. März 2021

Deutschland kommt bei den Impfungen nur langsam voran. Reisebüros wittern inmitten der Beschränkungen ein neues Geschäft: Vergnügen und eine Impfung inklusive. Das Modell wirft praktische und ethische Fragen auf.

Griechenland Halkidiki Aretes Beach
Bild: Nicolas Economou/NurPhoto/picture alliance

Es gab eine Zeit, da reisten die Menschen nach Amsterdam, nur um in einem "Coffee Shop" der niederländischen Stadt ganz legal Marihuana zu rauchen. In der Pandemie-Welt von heute sind Reisende auf der Suche nach etwas Härterem: dem Stoff für die Rückkehr zu Normalität, dem Impfstoff. 

Reiseunternehmen wollen frustrierten Deutschen die Möglichkeit bieten, Sonne und Surfen mit der begehrten COVID-19-Impfung zu verbinden. Denn Deutschland - zuerst gefeiert als effektiver Corona-Bekämpfer und jetzt belächelt als Corona-Dauerbaustelle - kommt mit den Impfungen nicht hinterher.

Frühere Infektionsherde wie die USA, Großbritannien und Israel haben inzwischen große Teile ihrer Bevölkerung geimpft. In Deutschland dagegen sind noch nicht einmal zehn Prozent der Menschen immunisiert.

Lösung für eine angeschlagene Branche

Reiseveranstalter sind daher auf die Idee gekommen Impfreisen anzubieten. So wie der deutsche Anbieter Fit Reisen. "Wir haben vermehrt Kundenanfragen erhalten, ob es nicht möglich wäre, einen Gesundheitsurlaub mit einer COVID-19-Impfung zu verbinden", so ein Fit Reisen-Sprecher gegenüber der DW. Das Unternehmen ist eigentlich auf Gesundheits- und Wellnessreisen mit Schwerpunkten wie Yoga und Ayurveda spezialisiert.

Deutsche zur Impfung ins Ausland zu befördern, hätte einen doppelten Nutzen, argumentiert ein Sprecher von Fit Reisen in einem Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Zum einen würde das deutsche Gesundheitssystem entlastet. Zum anderen würden die Ökonomien der Zielländer angekurbelt.

Ursprünglich wollte das Unternehmen Impfreisen in Länder anbieten, die schon im Angebot waren und in denen die lokale Bevölkerung bereits weitestgehend geimpft ist, beispielsweise nach Israel und in die Vereinigten Arabischen Emirate. Nun seien die Pläne aber erstmal auf Eis gelegt worden, so das Unternehmen. Vor allem weil es im April auch in Deutschland mehr Impfungen geben soll.  

Andere Reiseveranstalter bieten Impfreisen an -  trotz der Hürden durch Reisebeschränkungen und der Tatsache, dass die meisten Impfdosen für Einheimische reserviert sind.

So auch das norwegische Reisebüro World Visitor. Seit Kurzem gibt es auf der Website des Unternehmens eine Rubrik mit dem Titel "Impfreisen", die nur in deutscher Sprache aufgeführt ist und Russland-Reisen in Kombination mit Coronavirus-Impfung anbietet. Die Kunden können aus mehreren Reisepaketen wählen, die alle eine Impfung mit dem in Russland hergestellten Impfstoff Sputnik V vorsehen.

Die Spritze beim Zwischenstopp

Beispielsweise werden für rund 2000 Euro zwei Kurzreisen innerhalb eines Monats angeboten. Bei jedem Trip könnte dann eine der zwei notwendigen Impfdosen gespritzt werden. Für knapp 3000 Euro gibt es einen rund drei-wöchigen Aufenthalt in einem russischen Kurort, mit einer Impfung am Anfang und am Ende der Reise. Eine dritte Option besteht aus einer Reise in ein Kurhotel in der Türkei mit Zwischenstopps an einem Flughafen, der über ein Impfzentrum im Terminal verfügt.

"Im Transitbereich des Moskauer Flughafens soll in Kürze ein Impfzentrum eröffnet werden", schreibt das Unternehmen auf seiner Website. Dadurch entfalle die aufwendige Visabeschaffung, so die Betreiber.  Tatsächlich wurde im Terminal E des Moskauer Flughafens Scheremetjewo ein Impflabor eröffnet, so der Flughafen gegenüber der DW. Allerdings nur für russische Staatsbürger.

Ein genauer Blick in die Angebotsbedingungen zeigt aber, dass das Reisebüro keine Garantie für die Impfung seiner Kunden übernimmt. Die Leistungen des Reiseveranstalters beschränkten sich lediglich auf den Transferservice und die Vermittlung des Arzttermins, heißt es in einem Text auf der Website.

World Visitor-Mitgesellschafter Albert Sigl sagte gegenüber der DW, dass er davon ausgehe, dass das Impfzentrum in Scheremetjewo in naher Zukunft für Ausländer geöffnet werde. Das Unternehmen nehme vorerst nur unverbindliche Voranmeldungen entgegen.

Bei längeren Aufenthalten, so World Visitor, könne man aber bereits konkrete Termine anbieten. Dabei beruft sich das Unternehmen auf spezialisierte russische Reisebüros und mehrere private russische Krankenhäuser, denen eine Erlaubnis des russischen Gesundheitsministeriums zur Impfung von nicht-russischen Staatsbürgern vorliege.

Das Impfzentrum am Moskauer Flughafen hat schon einmal für Aufregung und Verwirrung gesorgt. So wurde im Februar von Plänen der Lufthansa berichtet, Urlaubern Impfungen in der Mitglieder-Lounge am Flughafen Scheremetjewo anzubieten und so die  Beantragung eines russisches Visums zu umgehen. Lufthansa dementierte den Bericht auf Twitter.

Impfreisen nur für Besserverdiener

Während der Impftourismus natürlich dazu beiträgt, viele Menschen zu impfen, stellt sich aber auch die Moralfrage: Ist es fair, dass die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland auf eine Impfung warten muss, während sich einige gut Betuchte das Vakzin einfach per Urlaubsreise kaufen können? Und: Sollten Reiseunternehmen mit der Impfnotwendigkeit Geld verdienen dürfen?

Für den österreichischen Medienmogul Christian W. Mucha federn die Reiseangebote die Fehler der Politik ab. Es sei höchst bedauerlich, dass es die Europäische Union versäumt habe, hinreichend Impfstoff für alle Europäer zu besorgen, heißt es auf der Homepage.

Dabei gibt sich der Veranstalter ganz sozial: Viele, die gerne bei Impfreisen.at buchen würden, können es sich einfach nicht leisten", steht in einem von Mucha unterzeichneten Vermerk auf der Website. Deshalb stellt der Betreiber jedem zehnten Kunden eines günstigen Impfpakets eine kostenlose Reise in Aussicht. Allerdings nur, wenn der Impfreisende seine finanzielle Notlage nachweisen könne. Schon in wenigen Wochen will Mucha Impfreisen anbieten.

Aus der viel gescholtenen Politik kommt ebenfalls Kritik an Impfreisen: Der Gesundheitsexperte und SPD-Politiker Karl Lauternbach sieht in solchen Angeboten ein unethisches Geschäftsmodell. Vor allem mit Blick auf die globale Verteilung des Impfstoffes wäre es deutlich gerechter, wenn Länder überflüssige Impfdosen bedürftigen Ländern zur Verfügung stellen würden

Adaption aus dem Englischen von Nicolas Martin

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