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Kriegsangst in Deutschland wächst

21. März 2022

Der Krieg ist in Europa zurückgekehrt - und mit ihm die Angst. Was der russische Überfall auf die Ukraine mit den Deutschen macht und wie sich einige schon auf einen Notstand vorbereiten.

Deutschlandweite Proteste gegen den Krieg in der Ukraine
Bonner Innenstadt: Proteste gegen den Krieg in der UkraineBild: Marc John/IMAGO

Klimawandel, Corona-Pandemie und jetzt der alles überlagernde russische Angriff auf die Ukraine - die Hiobsbotschaften häufen sich. Krisenstimmung breitet sich in Deutschland aus. Offensichtlicher Gradmesser einer zum Teil verunsicherten Nation: die leergekauften Regale in Supermärkten, die Begrenzungen bei Nudeln und Hefe. Wegen des Krieges wird wieder "gehamstert". Wie zu Beginn der Corona-Pandemie. Statt Toilettenpapier ist diesmal besonders Sonnenblumenöl gefragt.

Sorge vor Mangel an Grundnahrungsmitteln

Denn in den kommenden Wochen und Monaten sei "mit Einschränkungen der Warenströme von Sonnenblume, Lein und Soja aus der Konfliktregion" zu rechnen, warnt der Verband der ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland OVID. Die Ukraine und Russland gehören zu den weltweit wichtigsten Exportländern für Sonnenblumenöl. Deutschland deckt seinen Bedarf zu 94 Prozent über Importe. Aus Sorge, dass es bald an weiteren Grundnahrungsmitteln mangelt, werden Mehl und Nudeln offenbar gleich 'mitgehamstert'. Obwohl die Ernährungsindustrie für deren Lieferketten Entwarnung gibt.

Hamsterkäufe wegen Ukraine-Krieg: Begehrt ist besonders Sonnenblumenöl Bild: MiS/IMAGO

Nach einer  Forsa-Umfrage vom 28. Februar, vier Tage nach Beginn des russischen Überfalls, befürchten 69 Prozent der rund eintausend Befragten, die NATO und damit die Bunderwehr könnte in den Krieg hineingezogen werden. Laut dem letzten Deutschlandtrend (3. März) geben sich zahlreiche Befragte überzeugt, dass der Konflikt in der Bundesrepublik Spuren hinterlassen wird. 64 Prozent erwarten eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation. Bisher reagieren die meisten Bundesbürger besonnen. Dennoch: Der Krieg, der in den sozialen Netzwerken fast live zu verfolgen ist, und der geographisch so nahe ist wie lange keine militärische Auseinandersetzung zuvor, wühlt immer mehr Deutsche emotional auf.

Ein Ort, um über Ängste zu sprechen

Hilfe suchen sie oftmals bei der Telefonseelsorge. "Die Anfragen sind sehr intensiv geworden", sagt Christina Zajackowski von der Telefonseelsorge Köln im DW-Gespräch. Jeder fünfte Anruf dreht sich um den Krieg. Die Menschen hätten Angst, dass er in Deutschland ankommt. "Dass Familienangehörige oder Freunde getötet werden, dass die eigene Wohnung zerbombt wird, dass ganz schlimme Dinge passieren, wie man sie in den Medien sieht." Den Anrufenden tue es gut, "über ihre Ängste zu reden oder ihre schlimmsten Fantasien einfach mal auszusprechen" erklärt Telefonseelsorgerin Zajackowski.

Mitarbeiter der Telefonseelsorge müssen gut zuhören können, um die Sorgen und Nöte zu verstehenBild: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa/picture alliance

Es melden sich jüngere Menschen mit Zukunftsängsten, die in einem friedlichen Europa aufgewachsen sind. Aber auch Angehörige der Weltkriegsgeneration, bei denen die Bilder der Zerstörung in der Ukraine tiefsitzende Ängste wecken.  

Diese Generation habe "in der Friedenszeit alles verdrängt. Jetzt ist das alles wieder aufgeploppt", erzählt Thomas de Vachroi der DW. Der Armutsbeauftragte des Evangelischen Kirchenkreises Neukölln in Berlin leitet das Haus Britz, eine Einrichtung für barrierefreies Wohnen, in der viele Seniorinnen und Senioren leben. "Sie haben fürchterliche Angst, dass irgendwann die rote Linie überschritten wird, dass die NATO eingreift und dann sehen alle schwarz. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass ich das mittlerweile auch so sehe."

"Was passiert in dieser Welt?"

Die älteren Mieter des Hauses Britz sorgten sich allerdings nicht um sich, sondern um ihre Kinder und Enkel, berichtet de Vachroi weiter. Angesichts ihrer Erfahrungen aus der Nachkriegszeit zwischen 1945 und 1955 sagten sie: "Meine Enkel könnten das gar nicht, was wir erlebt haben nach dem Krieg. Den Hunger überstehen, Essen von den Feldern suchen, keine Kleidung haben." Den älteren Leuten mache das schwer zu schaffen. "Diese sitzen dann vor einem und denken: Mein Gott, was passiert denn jetzt in dieser Welt?"

Humanitäre Katastrophe in Mariupol

02:41

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Reaktionen, die der deutsche Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, sehr ernst nimmt. Er rief dazu auf, sich um die Angst vor einem Krieg in der Bevölkerung zu kümmern. "Wichtig ist, dass man Menschen mit Kriegsangst ernst nimmt und ihre Gefühle nicht kleinredet“, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Die Angst vor einem Atomkrieg sei keine völlig irreale Angst. Es bringe deswegen auch nichts, "nur mit rationalen Gegenargumenten zu kommen.“

Prepper rechnen mit dem Ernstfall

Rationale Gegenargumente würden sicher nicht diejenigen überzeugen, die sich seit Jahren akribisch auf Krisen und Katastrophen vorbereiten: die Prepper. Sie gehen vom Schlimmsten aus - nun erst recht. Im Internet präsentieren sie Überlebensrucksäcke, Jodtabletten gegen Radioaktivität bei Atomunfällen oder Notstromaggregate, geben "Prepping-Tipps für Anfänger".

Auf YouTube postet ein Nutzer mit dem Pseudonym "Prepper Norddeutschland" das Video "Russland - Ukraine Krieg. Was ist jetzt zu tun?" Im Zusammenhang mit Kämpfen um ukrainische Atomreaktoren betitelt "BugOutSurvival NRS" seinen Beitrag mit "Super-GAU Ukraine? Kann man die Strahlenkrankheit überleben?" Und "stromausfall-info" fragt "Zu spät für Krisenvorsorge? Jetzt wird die Zeit wirklich knapp."

Vom Pop Up-Panik-Raum zum Atombunker

Angst ist aber auch ein gutes Geschäft. Die Sicherheitsbranche boomt wie lange nicht mehr. Bei "Bunker Schutzraum Systeme Deutschland BSSD" mit Sitz in Berlin hagelt es Anfragen. "Bisher lagen die täglichen Zugriffszahlen auf unserer Internetseite zwischen 100 und 300. Mit Beginn des Krieges sind sie auf über 10.000 geschnellt", sagt BSSD- Kommunikationsleiter Mark Schmiechen im DW-Gespräch. Die Anfragen gingen von kleinen Stahlräumen, firmenintern Pop Up-Panik-Räume genannt, über zum Schutzraum ausgebauten Kellern oder Garagen bis hin zu atombombensicheren Bunkern.

Schutz- und Panikräume sind seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine gefragt wie zuvorBild: BSSD

Die Sicherheitsfirma schaltete zwei Wochen lang eine Hotline mit sechs Telefonen ein, von acht bis zweiundzwanzig Uhr. "Pro Telefon hatten wir stündlich zehn Anrufe", berichtet Schmiechen. Viele Anrufer hätten aber auch wissen wollen, was man im Notfall tun müsse. "Wir hatten beispielsweise eine junge Dame, die gesagt hat: 'Ich weiß gar nicht, an wen ich mich wenden kann. Ich habe bei der Polizei angerufen und ich habe bei den Behörden angerufen, die konnten mit keine Tipps geben, sind sie jetzt die Richtigen?'"

Cyberschutz-Behörde fürchtet IT-Angriffe

Ein Alptraum vieler Deutscher wäre der Zusammenbruch der Energie- und Wasserversorgung - durch einen Cyberangriff von Putins Hackern auf die Kritische Infrastruktur. Bundesinnenministerin Nancy Faeser appellierte, die Bedrohung ernst zu nehmen. Auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik BSI zeigt sich ungewöhnlich alarmiert.

Im Zusammenhang mit seiner Warnung vor der Virenschutzsoftware des russischen Herstellers Kaspersky schreckte eine Erklärung der Cyberschutz-Behörde auf: Das Vorgehen russischer militärischer und/oder nachrichtendienstlicher Kräfte sei "mit einem erheblichen Risiko eines erfolgreichen IT-Angriffs verbunden."

Russische Cyberangriffe könnten die Kritische Infrastruktur lahmlegen Bild: Jochen Tack/dpa/picture alliance

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe BBK hält Stromausfälle aufgrund eines Hackerangriffes ebenfalls für "grundsätzlich möglich", teilte das Amt auf Nachfrage der DW mit. Noch vor zwei Jahren wurde die Behörde belächelt, weil sie dazu aufgerufen hatte, eine Notfallreserve für zehn Tage anzulegen. Jetzt dürfte sich das dem Bundesinnenministerium zugeordnete BBK rehabilitiert fühlen. Es wird von Anfragen förmlich überrollt und erstellte auf seiner Homepage eine Sonderrubrik zum Ukraine-Krieg.

Katastrophenschutz bereitet sich intensiv vor

Die derzeitige Bedrohungssituation hätten viele für unwahrscheinlich gehalten, "die Bundeswehr aber nicht und wir - bedingt durch die Aufgabe unseres Amtes - auch nicht", erklärt das BBK. Insofern ändere sich nichts an den Szenarien, "sondern eher an der Intensität der Vorbereitungen". Das Bundesamt, das offenbar unter Hochdruck steht, beantwortete die Fragen der DW schriftlich. In einer Mail ihrer Pressestelle heißt es: Ein Interview sei "aufgrund der derzeitigen Lage terminlich leider nicht möglich."

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