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PolitikBelarus

Belarus: Sorge um Oppositionsaktivistin Maria Kolesnikowa

Roman Goncharenko
30. November 2022

Sie lächelte, auch als sie zu elf Jahren Haft verurteilt wurde und formte mit ihren Händen ein Herz. Seit Dienstag liegt die belarussische Oppositionspolitikerin Maria Kolesnikowa auf der Intensivstation. Ein Porträt.

Die belarussische Oppositionspolitikerin Maria Kolesnikowa im September 2021 vor Gericht in einem Käfig
Die belarussische Oppositionspolitikerin Maria Kolesnikowa im September 2021 vor Gericht in einem KäfigBild: Ramil Nasibulin/BelTA pool photo/ AP/picture alliance

Nach Angaben des Pressedienstes des ebenfalls inhaftierten Oppositionellen Viktor Babaryko befindet sich die 40-jährige Regierungskritikerin Maria Kolesnikowa aus unbekannten Gründen in einem Krankenhaus in der belarussischen Stadt Gomel. Der Mitteilung zufolge war Kolesnikowa am Montag zunächst in die Chirurgie gebracht worden, bevor sie auf die Intensivstation verlegt wurde. 

Die Sorge um den Gesundheitszustand der Politikerin, die sich nach den Massenprotesten gegen den belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko gegen die Flucht ins Exil entschied, nimmt zu. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat am Mittwoch die sofortige Freilassung Kolesnikowas gefordert. "Die Berichte über den Gesundheitszustand von Maria Kolesnikowa gehen mir sehr nahe", erklärte die Ministerin auf Twitter. "Das Regime in Belarus muss für ihre Gesundheit garantieren und sie sofort freilassen. Ihr Einsatz für Demokratie ist kein Verbrechen."

Auch hinter Gittern ist Maria Kolesnikowa eine Führungsfigur der Opposition in Belarus geblieben. Nach fast einem Jahr Untersuchungshaft hatte ein Gericht in Minsk die Oppositionspolitikerin am 6. September 2021 unter anderem wegen "Extremismus" zu elf Jahren Strafkolonie verurteilt. Trotz des harten Urteils ließ sich Kolesnikowa nichts anmerken. Sie lächelte in die Kameras und formte mit ihren Händen ein Herz, ihr Markenzeichen.

Rund drei Wochen nach ihrer Verhaftung wurde die Oppositionspolitikerin am 27. September mit dem Václav-Havel-Preis für Menschenrechte ausgezeichnet. Ihre Schwester Tatjana Chomitsch nahm den mit 60.000 Euro dotierten Preis in ihrem Namen im Europaparlament in Straßburg an.

Frontfrau ohne Führungsanspruch

Kolesnikowa war im Sommer 2020 zur Frontfrau der oppositionellen Bewegung aufgestiegen, die Präsident Alexander Lukaschenko die Fälschung der Wahl vom 9. August 2020 vorwarf. Sie war bei Protesten in der Hauptstadt Minsk immer vorne mit dabei, wirkte stets gut gelaunt, lachte und strahlte in die Menge, als würde sie den seit 1994 regierenden autoritären Machthaber der früheren Sowjetrepublik weglächeln wollen.

Maria Kolesnikowa und Maksim Snak wurden Anfang September zu 11 und 10 Jahren wegen "Extremismus" verurteiltBild: Viktor Tolochko/Sputnik/dpa/picture alliance

Obwohl klar war, dass Kolesnikowa jederzeit festgenommen werden konnte, hatte sie noch vor der Wahl in einem DW-Gespräch erklärt: "Mich stoppt das nicht, und es macht mir keine Angst. Denn ich weiß, dass Prozesse, die in der belarussischen Gesellschaft begonnen haben, unumgänglich sind."

Eine der größten Herausforderungen für Kolesnikowa war ihr Wunsch, die Bürger gegen Lukaschenko zu mobilisieren, ohne formell eine Führungsposition zu übernehmen. So wollte sie einer Verhaftung vorbeugen.

Im Gegensatz zu ihren Mitstreiterinnen, darunter die ehemalige Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja, ging Kolesnikowa nicht ins Exil, obwohl auch sie zur Ausreise gedrängt worden war.

Sie wurde im September 2020 von belarussischen Sicherheitskräften entführt und an die Grenze zur Ukraine gebracht. Doch Kolesnikowa habe ihren Pass zerrissen und sei aus dem Auto gestiegen, berichteten ihre Begleiter später. Sie wollte in ihrem Heimatland bleiben.

Kulturmanagerin mit Interesse für Politik

Vor Beginn der Proteste gegen die mutmaßlich gefälschte Wahl kannten nur wenige den Namen der früheren Flötistin im nationalen Sinfonieorchester. Die Musikerin und Kulturmanagerin hat in Minsk und Stuttgart studiert. Sie engagierte sich für Musik-Projekte, förderte den Künstleraustausch zwischen Belarus, Russland, der Ukraine und Deutschland.

Martin Schüttler, Professor an der Staatlichen Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Stuttgart, beschrieb Kolesnikowa im Gespräch mit der DW als "wahnsinnig starke Persönlichkeit". "Sie ist unglaublich optimistisch, zupackend, aktiv und voller Energie. Eigentlich ist sie fast nicht zu bremsen, egal, was sie anpackt", so Schüttler, den sie zu einem Workshop mit Konzerten nach Minsk eingeladen hatte.

Kolesnikowa trat auch gerne selbst vor Publikum auf, rief die Vortragsreihe "Musikunterricht für Erwachsene" ins Leben und referierte 2017 über Beethoven und Pussy Riot in einer Veranstaltung, die sie "Musik und Politik" nannte.

Innerlich sei Kolesnikowa schon immer eine Politikerin gewesen, sagte ihre deutsche Kollegin Christine Fischer, Leiterin des Stuttagarter Festivals ECLAT für Neue Musik. Besonders die Rolle der Frauen sei ihr wichtig gewesen, erinnerte sich Fischer im Gespräch mit der DW: "Sie hat Frauenauftritte in Minsk veranstaltet, die als Vorbilder für die Gesellschaft dienten." Kolesnikowa habe genau gewusst, was sie wollte.

Mit einem Ex-Banker gegen Lukaschenko

In die aktive Politik war Kolesnikowa dem Ruf von Viktor Babariko gefolgt, dem früheren Top-Manager der "Belgazprombank" und Kunstmäzen, den sie nach eigenen Angaben über ihre Projekte kennengelernt hatte. Babariko hatte im Mai 2020 überraschend seine Präsidentenkandidatur angekündigt.

Der Quereinsteiger gewann schnell an Unterstützung, wurde jedoch wegen angeblicher Wirtschaftsverbrechen verhaftet, zusammen mit seinem Sohn, der seinen Wahlkampf geleitet hatte. Im Juli 2021 wurde Babariko zu 14 Jahren Haft verurteilt.

Kolesnikowa hatte sich zusammen mit anderen Regierungskritikern im siebenköpfigen Koordinationsrat der Opposition engagiert, dem auch die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch angehörte. Die meisten Mitglieder wurden festgenommen oder ins Ausland gedrängt. Das Gremium wurde zerschlagen - wie die Oppositionsbewegung insgesamt: Organisierte Proteste im Land gibt es kaum mehr.

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