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Politik

Sorge um Menschenrechte in Russland

Zhanna Nemzowa | Markian Ostaptschuk
16. Juni 2017

Anlässlich der Verleihung des Boris-Nemzow-Preises hielt sich die russische Menschenrechtlerin Soja Swetowa in Bonn auf. Die DW sprach mit ihr über politische Gefangene und die jüngsten Proteste in Russland.

Russland Proteste in Moskau
Festnahmen bei den Protesten in Moskau am 12. Juni 2017Bild: picture-alliance/AA/S. Karacan

In all den Jahren, in denen sie sich für Menschenrechte eingesetzt hat, hat sich die Lage in Russland nur verschlechtert. Das betonte die russische Journalistin und Menschenrechtlerin Soja Swetowa im Interview mit Zhanna Nemzowa. Swetowa gehörte von 2008 bis 2016 der Aufsichtskommission für die Einhaltung der Menschenrechte der Stadt Moskau an, einer von insgesamt 85 regionalen Kommissionen in Russland.

Doch nach acht Jahren durfte Swetowa von Gesetzes wegen nicht wieder derselben Kommission angehören. Sie wollte deshalb für die Aufsichtskommission in der Teilrepublik Mordwinien kandidieren. "Man ließ mich aus formalen Gründen nicht zur Wahl zu. Später erfuhr ich über Bekannte, dass der russische Sicherheitsdienst FSB gegen meine Kandidatur war", so Swetowa.

Jahrelang habe sie das Moskauer Lefortowo-Gefängnis besucht. Offiziell würde es dem Justizministerium unterstehen, doch der FSB bestimme dort die Ordnung. Swetowa zufolge sitzen dort Menschen, denen Verbrechen gegen den Staat, Korruption, Terrorismus und Hochverrat zur Last gelegt werden. Bei ihren Besuchen habe sie viele Verstöße festgestellt. "Oft haben diese Menschen keine Anwälte oder deren Anwälte werden nicht zu ihnen gelassen. Für einige war ich die einzige Person von außen, die ihnen helfen und Informationen über sie weitergeben konnte", so die Menschenrechtlerin. Das sei den Behörden ein Dorn im Auge gewesen.

Soja Swetowa kritisiert den Umgang mit Gefangenen in russischen HaftanstaltenBild: DW

Der Fall Senzow

Ein Fall, an den sich Swetowa gut erinnert, ist der des ukrainischen Filmregisseurs Oleg Senzow. Er wurde in Russland wegen Terrorismus verurteilt. Er habe ein Lenin-Denkmal auf der Krim sprengen wollen, so der Vorwurf. "Dafür gab es keine Beweise. Er kam ins Gefängnis, weil er gegen die Annexion der Krim war", betonte Swetowa. Senzow sei auf der Krim sehr aktiv gewesen. Er habe ukrainischen Militärs geholfen, die Halbinsel zu verlassen. "Der Mann hat mich beeindruckt. Er hat sich trotz brutaler Folter nicht schuldig bekannt", sagte Swetowa.

Senzow verbüßt seine Haftstrafe inzwischen im sibirischen Jakutsk. Sein Fall sorgte in der Öffentlichkeit für großes Aufsehen, vergleichbar mit den Fällen Nadija Sawtschenko und Ildar Dadin. Sie kamen schließlich unter dem Druck der internationalen Gemeinschaft frei. Auf die Frage, ob es auch Senzow so ergehen könnte, sagte Swetowa: "Soweit ich gehört habe, steht Senzow in Putins Augen für die Krim, und die Krim ist für Putin so etwas wie ein Anliegen der letzten Lebensjahre. Ich weiß nicht, für was Putin ihn gehen lassen könnte."

Oleg Senzow wurde in Russland zu 20 Jahren Haft verurteiltBild: Anton Naumliuk

Strafe für Aufarbeitung der Stalin-Zeit?

Swetowa kritisiert auch viele Gerichtsverfahren, darunter das gegen den russischen Forscher Jurij Dmitrijew aus Karelien. In ihren Augen hat er eigentlich eine staatliche Auszeichnung verdient. Denn im Laufe von 30 Jahren habe er viele Massengräber von Menschen entdeckt, die in der Stalin-Zeit erschossen wurden. Die Gräber seien inzwischen zu Gedenkstätten für Opfer der stalinistischen Repressionen geworden.

"Aber Dmitrijew hat auch die Namen der Henker veröffentlicht. Die Henker haben Kinder und Enkel, die wahrscheinlich heute in den gleichen Strukturen tätig sind. Wenn ihre Vorfahren Mitarbeiter des sowjetischen Geheimdienstes NKWD waren, dann kann man davon ausgehen, dass ihre Kinder und Enkel später Mitarbeiter des FSB geworden sind. Sie wollen nicht, dass die Namen ihrer Vorfahren genannt werden", erläuterte Swetowa.

Zahlreiche unbekannte Fälle

Ferner betonte Swetowa, dass viele Fälle es gar nicht bis in die Medien schaffen würden. Darunter sind viele, die trotz schwerer Krankheiten ins Gefängnis kämen.

Ein Beispiel sei Julija Rotanowa. Sie war Buchhalterin einer Organisation, die mit dem von Präsident Wladimir Putin entlassenen Verteidigungsminister Anatolij Serdjukow in Verbindung gebracht wird. Swetowa zufolge hatte Rotanowa aber mit irgendwelchen Machenschaften nichts zu tun. "Doch die krebskranke Frau bekam sechs Jahre Haft. Man verlangte von ihr, gegen Serdjukow auszusagen, was sie ablehnte. Wir haben es geschafft, sie aus dem Lefortowo-Gefangnis herauszubekommen. Wir konnten beweisen, dass sie krank ist und dringend operiert werden muss. Nach der Operation kam sie wieder in Haft", so Swetowa.

"Es kann nicht immer so weitergehen"

Obwohl im Februar die Wohnung der Menschenrechtlerin im Zusammenhang mit dem Yukos-Fall stundenlang durchsucht worden war, bemüht sie sich, ihren Optimismus nicht zu verlieren.

"Ich glaube an den Sieg des Guten über das Böse. Putin ist nicht ewig. Und diese Kräfte des Bösen sind nicht ewig. Es muss doch etwas geschehen. Russland kann nicht irgendein Ort sein, wo alles so schrecklich ist, wo Menschen ins Gefängnis geworfen werden. In Moskau und in ganz Russland haben Kundgebungen stattgefunden. Menschen werden brutal festgenommen", sagte Swetowa. Doch sie ist fest davon überzeugt, dass es in Russland nicht immer so weitergehen kann.

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