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KonfliktePakistan

Sorge vor Eskalation zwischen Afghanistan und Pakistan

13. Oktober 2025

Nach den heftigen Kämpfen am Wochenende haben sich die Spannungen zwischen Afghanistan und Pakistan verschärft. Experten warnen, dass tiefes Misstrauen und mangelndes Krisenmanagement zu weiterer Gewalt führen könnten.

Afghanistan Torkham 2024 | Taliban-Soldat patrouilliert an der Grenze zu Pakistan
Archivfoto: Taliban-Soldat patrouilliert an der Grenze zu PakistanBild: Shafiullah Kakar/AP Photo/dpa/picture alliance

Heftige Kämpfe zwischen dem pakistanischen Militär und Taliban-Kräften in Afghanistan haben am Wochenende den tödlichsten Konflikt zwischen den Nachbarländern seit der Machtübernahme der Taliban in Kabul im Jahr 2021 ausgelöst.

Pakistanische Regierungsvertreter wie auch das Taliban-Regime in Afghanistan behaupten, der jeweils anderen Seite schwere Verluste zugefügt zu haben.

Die Taliban erklärten am Sonntag, sie hätten bei nächtlichen Operationen an der Grenze 58 pakistanische Soldaten getötet. Die pakistanische Armee hingegen sprach von 23 getöteten Soldaten. Zudem behaupteten die Taliban, 25 pakistanische Armeeposten eingenommen zu haben.

Das pakistanische Militär wiederum erklärte, es habe über 200 afghanische Kämpfer getötet. Die Taliban gaben an, auf ihrer Seite seien lediglich neun Soldaten ums Leben gekommen.

Die Angaben beider Seiten konnten nicht unabhängig überprüft werden, da der Zugang zur Grenzregion stark eingeschränkt ist.

Hintergrund der Kämpfe

Die Spannungen zwischen den einstigen Verbündeten eskalierten, nachdem Islamabad von Kabul gefordert hatte, gegen die Tehreek-e-Taliban Pakistan (TTP) vorzugehen, eine eigenständige, aber eng mit den afghanischen Taliban verbundene Gruppe.

Die TTP strebt eine strenge Auslegung des Islam an, insbesondere in der pakistanischen Provinz Khyber Pakhtunkhwa an der Grenze zu Afghanistan. Islamabad wirft der Gruppe vor, ungehindert von afghanischem Boden aus zu operieren. Die Taliban weisen den Vorwurf zurück.

Kämpfer der pakistanischen Taliban (TTP) operieren in den Stammesgebieten entlang der afghanischen GrenzeBild: Anjum Naveed/AP/picture alliance


In den vergangenen Jahren haben TTP-Kämpfer ihre Angriffe auf pakistanische Sicherheitskräfte verstärkt. Ein UN-Bericht aus diesem Jahr stellte fest, dass die TTP "erhebliche logistische und operative Unterstützung durch die De-facto-Behörden", also die Taliban-Regierung in Kabul erhält.

Laut einem Sprecher des pakistanischen Militärs wurden zwischen Januar und dem 15. September über 500 Menschen getötet, darunter 311 Soldaten und 73 Polizisten, wie die Nachrichtenagentur AFP berichtete.

Pakistan beschuldigt zudem seinen Erzfeind Indien, die pakistanischen Taliban und andere Aufständische zu unterstützen, um Pakistan zu destabilisieren. Indien weist diese Vorwürfe zurück und beschuldigt seinerseits Pakistan, separatistische Gruppen in Kaschmir zu unterstützen.

Fragile Lage bei tiefem Misstrauen

In der vergangenen Woche warfen die Taliban Pakistan Luftangriffe auf Kabul und einen Markt im Osten Afghanistans vor. Islamabad bestätigte oder dementierte den Angriff nicht, betonte jedoch mehrfach das Recht auf Selbstverteidigung gegen zunehmenden grenzüberschreitenden Terrorismus.

Die Taliban erklärten, sie hätten am späten Samstag als "Vergeltung für die Luftangriffe der pakistanischen Armee auf Kabul" Angriffe auf pakistanische Truppen gestartet.

Michael Kugelman, Südasien-Experte am Woodrow Wilson International Center for Scholars in Washington, sagte gegenüber der DW, die jüngsten Gefechte seien "eine Folge des Scheiterns Islamabads, den von Afghanistan ausgehenden Anti-Pakistan-Terrorismus einzudämmen".

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"Trotz verschiedener Strategien, von Gesprächen bis hin zu begrenzten Militäroperationen innerhalb Pakistans, blieb der Erfolg aus", so Kugelman. "Die jüngsten verstärkten Anti-Terror-Operationen gegen Ziele in Afghanistan haben eine Reaktion der Taliban ausgelöst und die aktuelle Konfrontation verschärft."

Die Kämpfe sind derzeit zwar weitgehend abgeklungen sind, die Lage bleibt aber angespannt und fragil.

Unterdessen kam der Grenzhandel zum Erliegen, da Pakistan die Übergänge entlang der 2.600 Kilometer langen Grenze geschlossen hat. Laut einem Vertreter der pakistanischen Wirtschaft strandeten zahlreiche beladene Lastwagen auf beiden Seiten.

Wird die Gewalt zunehmen?

Der Afghanistan-Experte Omar Samad, ehemaliger Botschafter Afghanistans in Kanada und Senior Fellow beim Atlantic Council, warnte, dass die Feindseligkeiten „in weitreichende Gewalt und militärische Aktionen ausarten könnten, die über das bisher Erlebte hinausgehen" und die Beziehungen zwischen Islamabad und Kabul irreparabel schädigen könnten.

"Die Spannungen zwischen dem pakistanischen Militär und der De-facto-Regierung Afghanistans nehmen seit zwei Jahren zu – teils durch Fehlentscheidungen, Missverständnisse und Missmanagement", sagte er der DW.

Kugelman glaubt, dass die jüngsten Gefechte zu verstärkten Angriffen der TTP in Pakistan führen könnten, mit weiteren Opfern und Zerstörung. "Ich denke, eine Folge der Krise könnten verstärkte Vergeltungsangriffe der TTP sein, die trotz ihres Hauptstützpunkts in Afghanistan eine starke Präsenz in Pakistan hat", sagte er.

Er betonte, dass die afghanischen Taliban zwar Operationen an Grenzposten durchführen könnten, dem pakistanischen Militär jedoch nicht gewachsen seien. "Daher bleiben TTP-Vergeltungsschläge, möglicherweise mit Unterstützung der Taliban, eine große Sorge für Pakistans Zukunft."

Auch Imtiaz Gul, Sicherheitsexperte und Direktor des Center for Research and Security Studies in Islamabad, äußerte sich ähnlich: "Nach den Gefechten mit Afghanistan steht Pakistan nun mehr denn je vor der wachsenden Bedrohung durch die TTP. Es braucht verstärkte Anti-Terror-Maßnahmen und bessere Geheimdienstfähigkeiten, um diese Bedrohungen zu bekämpfen und den Terrorismus zu beseitigen", sagte er der DW.

Zeit für Deeskalation?

Trotz der angespannten Beziehungen haben beide Seiten im vergangenen Jahr versucht, ihre Beziehungen zu verbessern.

Im Mai kündigte Pakistan an, seine diplomatischen Beziehungen zu den Taliban auszubauen und einen Botschafter nach Kabul zu entsenden – obwohl Islamabad die Taliban-Regierung bislang nicht offiziell anerkannt hat.

Die Nachbarn teilen enge historische, kulturelle und zwischenmenschliche Verbindungen. Millionen Afghanen, die in den vergangenen 40 Jahren vor Krieg und Gewalt geflohen sind, haben in Pakistan Zuflucht gefunden.

Doch angesichts der angespannten Beziehungen begann Pakistan 2023 mit einer groß angelegten Rückführungsaktion für rund vier Millionen in Pakistan lebende Afghanen. Über 800.000 von ihnen wurden seither abgeschoben, ein weiterer Streitpunkt mit Kabul.

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Samad betonte, beide Seiten sollten konstruktive Gespräche führen, anstatt auf Konfrontation zu setzen. "Trotz aller Großspurigkeit und Selbstüberschätzung haben beide Länder Schwächen und Stärken, die sich gegenseitig aufheben. Die Afghanen stehen zwar einer militärischer Übermacht gegenüber, aber Pakistan ist auf der anderen Seite im Inneren fragil", sagte er.

"Jetzt ist die Zeit für staatsmännisches Handeln, Vorsicht und ehrlichen Dialog", so Samad. "Es ist keine Zeit für Täuschung, Schönfärberei oder leere Rhetorik."

Aus dem Englischen adaptiert von Shabnam von Hein

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