Sorge vor Krieg: Frankreich bildet mehr Reservisten aus
23. August 2025
Seit bald zwei Jahren studiert Constance an der Sorbonne in Paris Jura. Was ganz sicher nicht zu ihrem Studium gehört: Im Gleichschritt marschieren, Funkrufzeichen entschlüsseln und bäuchlings auf warmem Beton liegend eine Schusswaffe auf einen imaginären Feind richten. Während der Sommerferien hat sie jedoch in einer militärischen Grundausbildung bei einem Regiment in der Nähe von Paris genau das gelernt.
"Ich finde es sehr wichtig, unser Land zu schützen. Gerade in diesen komplizierten Zeiten", erklärt Constance ihre Teilnahme an der Einführung für Reservisten. Ihr Nachname und die Namen anderer Personen in dieser Geschichte sollen hier auf Wunsch der französischen Armee ungenannt bleiben. "Bei der Armee kann man meiner Meinung nach am besten lernen, wie man zusammenarbeitet", fügt Constance hinzu.
Mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Ende der Wehrpflicht in Frankreich bewerben sich zehntausende Franzosen und Französinnen bei den Reservisten, in der Hoffnung, ihrem Land wenigstens in Teilzeit dienen zu können. Während der vergangenen zehn Jahre ist die Zahl einsatzbereiter Reservisten in die Höhe geschossen, von etwa 28.000 im Jahr 2014 auf mehr als 46.000 heute. Mehr als die Hälfte von ihnen dient in der Armee, der Rest verteilt sich etwa zu gleichen Teilen auf Marine und Luftwaffe.
Mehr Geld für die Streitkräfte
Bis 2035 möchte die Regierung diese Zahl noch einmal mehr verdoppeln, auf 105.000 Reservisten - auf zwei aktive Soldaten käme damit ein Reservist - und jungen Menschen neue Möglichkeiten bieten, sich freiwillig zu engagieren. Dieses Ziel steht ganz im Einklang mit den Plänen von Präsident Emmanuel Macron, die Ausgaben für die Streitkräfte deutlich zu erhöhen. Im Jahr 2027 sollen sie 64 Milliarden Euro betragen, doppelt so viel wie bei seiner Amtseinführung im Jahr 2017.
Nicht nur beim französischen Militär, auch in anderen europäischen Ländern wird aufgestockt. Dahinter stecken die wachsende Sorge angesichts eines immer aggressiver agierenden Russlands und die Zweifel daran, ob die Vereinigten Staaten unter Präsident Donald Trump Europa im Ernstfall beistehen würden.
"Unsere Freiheit war noch nie so stark bedroht", sagte Macron vergangenen Monat in einer Fernsehansprache. "Wir müssen unsere Anstrengungen in Bezug auf unsere Reserve verstärken. Wir müssen unserer Jugend neue Möglichkeiten geben, zu dienen."
Patrick Chevallereau, Vizeadmiral a.D., befürwortet den Vorstoß Macrons, doch er weist auch darauf hin, dass die Verabschiedung des Gesamthaushalts der Regierung durch das französische Parlament noch aussteht.
"Wir benötigen nicht nur mehr Leute", fügt Chevallereau, der mittlerweile als Analyst für das Londoner Royal United Services Institute, einer Denkfabrik für Verteidigung und Sicherheit, arbeitet, hinzu. "Wir benötigen mehr Spezialisten in bestimmten Schlüsselbereichen", darunter Drohnen- und Informationstechnologie.
Anspruchsvolle Grundausbildung
Die Ausbildung der neuen Reservisten übernimmt zum Beispiel das 24. Infanterieregiment in Versailles, das sich in einem ausgedehnten Militärbezirk etwa vier Kilometer von dem berühmten Palast entfernt befindet.
"Einige von ihnen wollen die Welt der Streitkräfte kennenlernen und herausfinden, ob sie als Berufssoldat dienen möchten", sagt Leutnant Amelie am Ende der letzten Trainingseinheit. "Einige kommen wegen der Herausforderung, sich in eine neuen Welt einzufinden oder weil es zu spät ist, noch in den aktiven Militärdienst einzutreten."
Amelie ist wie die meisten Mitglieder der 24. Infanterie selbst Reservistin; in ihrem zivilen Leben arbeitet sie als Zollbeamtin. Diesen Sommer verbringt sie mit der Leitung einer intensiven zweiwöchigen militärischen Grundausbildung.
Zwischen 17 und 57 Jahre alt sind die 51 Rekruten unter ihrer Aufsicht. Die Ausbildungstage sind lang. Um sechs Uhr früh geht es los und oft geht es erst um Mitternacht wieder ins Bett.
"Sie lernen den sicheren Umgang mit den Waffen und ihren Einsatz, marschieren zusammen, lernen, wie man einen Kompass verwendet und die Geräte für die Kommunikation", erläutert Amelie und zählt dabei nur einige der Anforderungen dieses ersten Ausbildungscamps auf. "Dabei arbeiten wir an allen Kampftechniken, die vom Regiment eingesetzt werden."
In den vergangenen Tagen marschierte die Gruppe morgens singend im Gleichschritt, übte den Umgang mit ihren Gewehren und absolvierte später ein Live-Feuertraining in einem bunkerähnlichen Gebäude.
"Die Ausbildung ist wirklich anspruchsvoll", sagt Jurastudentin Constance. Sie kennt andere Studenten und Studentinnen von der Sorbonne, die das Training schon durchlaufen haben. "Wir sind nicht im gleichen Alter, arbeiten in unterschiedlichen Berufen oder studieren andere Fächer, aber wir lernen, wie wir zusammenarbeiten."
Gabriel, ein 23-jähriger Ingenieur, hat sich wie Constance aus Sorge um die Zukunft seines Landes bei den Reservisten gemeldet. "Als Soldat werde ich mich nicht zu politischen oder ideologischen Aspekten äußern", sagt er. "Aber an der Grenze Europas herrscht Krieg und für uns ist es ein Signal, uns einzubringen." Offen über die Bedrohung durch Russland sprechen, wollen weder er noch andere Reservisten.
Auch der Terroranschlag von 2015 im Bataclan in Paris veränderte viel für den jungen Ingenieur. "Damals machte etwas in mir Klick", erzählt er. "Mir wurde klar, dass die friedlichen Zeiten, die mir vertraut waren, in denen ich aufgewachsen war, zu Ende waren. Ich dachte: 'Ich werde mich engagieren und meinen Teil beitragen'."
Auch in anderen Ländern Europas laufen angesichts der wachsenden Sicherheitsbedenken Bemühungen, die Streitkräfte aufzustocken. Einem Bericht des Thinktanks Bruegel und des Kiel Instituts für Weltwirtschaft zufolge benötigt Europa kurzfristig geschätzt 300.000 zusätzliche Soldaten, um eine russische Aggression ohne Unterstützung der USA abwehren zu können.
Mehr Männer und Frauen für die Streitkräfte
Einige Länder haben ihre Truppen bereits verstärkt. Über die letzten zehn Jahre haben Litauen, Schweden und Lettland die Wehrpflicht wiedereingeführt. Polen plant, jährlich bis zu 100.000 Zivilisten eine militärische Ausbildung anzubieten. Auch Deutschland bemüht sich verstärkt um neue Rekrutinnen und Rekruten - mit bislang enttäuschenden Ergebnissen. Verteidigungsminister Boris Pistorius hat bereits gewarnt, dass die Wehrpflicht wiedereingeführt werden könnte, sollten sich zu wenig Freiwillige melden.
In Frankreich hingegen zeigen Umfragen eine große Zustimmung für den Ausbau des Militärs. 86 Prozent der Franzosen und Französinnen unterstützen laut einer IPSOS-CESI-Umfrage von Beginn des Jahres den Dienst an der Waffe, mehr als die Hälfte befürwortet eine Wehrpflicht. Einer weiteren Umfrage zufolge wäre etwa die Hälfte der jungen Befragten bereit, im Falle eines Krieges Wehrdienst zu leisten.
"Ich glaube, die Menschen verstehen, dass sie möglicherweise die Dinge, die ihnen wichtig sind, verteidigen müssen", sagt Verteidigungsanalyst Chevallereau. "Das Anwachsen der Reserve könnte dazu beitragen, die Verbindung zwischen der jüngeren Generation und den Streitkräften zu stärken."
Das 24. Infanterieregiment von Versailles besteht seit dem 17. Jahrhundert und muss heute eine Flut von Bewerbungen für seine Ausbildungsprogramme bewältigen. Von 100 Bewerbern werden nur 40 ausgewählt. Wer die Ausbildung abschließt, verbringt künftig bis zu 60 Tage oder auch mehr mit dem aktiven Dienst in der Reserve - bei mäßiger Bezahlung: Je nach Rang gibt es zwischen 40 und 200 Euro netto täglich.
Und nicht jeder schafft es durch die Grundausbildung. Von den ursprünglich 61 Teilnehmenden ihrer jüngsten Ausbildungsrunde sind 10 nicht mehr dabei. "Einige sind direkt zu Beginn abgesprungen, weil sie keine Zeit hatten, sagt Ausbilderin Amelie. "Anderen wurde klar, dass es nichts für sie ist, sobald sie Waffen in den Händen hielten."
Nach dem erfolgreichen Abschluss der Grundausbildung wird die Gruppe mehrere Monate lang weitere Ausbildungseinheiten absolvieren. Sobald sie als einsatzbereit eingestuft werden, werden viele von ihnen voraussichtlich an landesweiten Patrouillen der Operation Sentinelle teilnehmen. Dabei handelt es sich um eine Sicherheitsoperation, die nach den Terroranschlägen von 2015 in Frankreich ins Leben gerufen wurde und im vergangenen Jahr für die Sicherheit der Olympischen Spiele sorgte. Wer besondere Qualifikationen mitbringt, wird möglicherweise auch im Ausland eingesetzt.
Ein weiterer Teilnehmer, Betrand, wird nach der Grundausbildung bei der Reserve bleiben. Er hat sich für fünf Jahre verpflichtet. Der Vater von zwei Kindern ist in seinen Dreißigern und erinnert sich noch gut an den Anschlag auf das World Trade Center im Jahr 2001.
"Auch in Frankreich gab es furchtbare Anschläge", erzählt er. "Als Vater halte ich es für meine Pflicht, mein Land zu verteidigen." Er arbeitet als kommunaler Angestellter in einer Stadt in der Nähe von Paris und hat das Gefühl, schon in seinem zivilen Leben seinem Land zu dienen. "Jetzt möchte ich ihm auch als Kombattant dienen", betont er.
Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.