Wer kann den Amazonas-Wald noch retten?
Veröffentlicht 12. September 2021Zuletzt aktualisiert 13. September 2021Zum zweiten Mal in Folge sind im brasilianischen Amazonas-Gebiet binnen eines Jahres mehr als 10.000 Quadratkilometer Wald vernichtet worden. Damit hat sich die Zerstörungsrate seit 2014 verdoppelt und ist auf ein Niveau geklettert, das zuletzt 2008 erreicht wurde. Die Entwicklung bekümmert Umwelt- und Klimaforscher ebenso wie Menschenrechtler und Verteidiger des Rechtsstaats.
Indigene schützen Regenwald am effektivsten
Die Beschleunigung der Urwaldrodung hat weniger mit den brasilianischen Gesetzen zu tun, als mit der Regierung. Die private Initiative MapBiomas kam zu dem Schluss, dass 99 Prozent der Entwaldung im Jahr 2019 illegal waren. Zum Teil fehlten nötige Lizenzen, zum Teil fand sie in Naturschutzgebieten statt.
Auch Indigenen-Gebiete sind immer häufiger von illegalen Rodungen betroffen. Die sind zwar nicht grundsätzlich verboten, sie dürfen aber nicht ohne die Zustimmung der dort ansässigen Völker stattfinden. Und die liege in den seltensten Fällen vor, sagt der deutsche Journalist Thomas Fischermann, der mehrere Bücher über das Amazonas-Gebiet und seine Ureinwohner geschrieben hat. "Es findet sich immer mal wieder ein Häuptling, der ein Stück Wald verkauft, um sich einen Kühlschrank leisten zu können", sagt Fischermann. "Aber unterm Strich gibt es keinen stärkeren Faktor für die Bewahrung des Regenwaldes, als starke Indigenen-Völker in ihren Schutzgebieten." Die Indigenen pflegen ihre traditionelle Lebensweise mit nachhaltiger Nutzung der Ressourcen.
Die Regierung boykottiert den Waldschutz
Doch die brasilianische Regierung unterstützt bisher lieber die wachsende Kriminalität im Amazonas-Gebiet. Zwar haben bisher entweder der Kongress oder Senat die dafür vorgesehenen Gesetze blockiert - auch, weil dort Zweifel an der langfristigen Wirtschaftlichkeit des Raubbaus bestehen. Dafür aber schöpft die Regierung andere Mittel aus: Dem Umweltministerium und der Waldschutzbehörde Ibama hat sie Geldmittel, Personal und Kompetenzen entzogen: "Früher durfte das Ibama mitten im Wald beschlagnahmte Maschinen zerstören, um sie unschädlich zu machen. Bolsonaro hat das verboten", sagt Forstingenieur Paulo Barreto vom gemeinnützigen "Amazonas-Institut für Mensch und Umwelt" (Imazon).
Präsident Bolsonaro fordert die Viehzüchter geradezu auf, sich illegal Land anzueignen, meint Barreto: "Bei ihnen setzt sich das Bewusstsein durch: Bolsonaro wird das schon regeln." Und genauso ist es: Im Dezember unterzeichnete der Präsident ein Dekret, das illegal angeeignetes Land zu offiziellem Eigentum der Besetzer macht. Im Februar hat die Regierung sogar eine App lanciert, die diesen Prozess vereinfachen soll. Öffentliches Land, das zur Nutzung eigentlich ausgeschrieben und versteigert werden müsste, werde dann weit unter dem Marktpreis verkauft,* erklärt Barreto.*
Globaler Markt schafft Nachfrage
Doch die Abholzungsrate wird nicht nur von der Regierung vorangetrieben. Weltweit ist vor allem Soja aus Brasilien gefragt. In China ist es ein wichtiger Teil des Speiseplans der Menschen. Auch in den USA und Europa wächst diese Bedeutung, wird bisher aber vor allem als Futtermittel verwendet.
Obwohl der Wald zunächst meist zur Schaffung von Weideland gerodet wird, gehört der Getreideanbau indirekt zu den Haupttreibern der Abholzung,** sagt Forstingenieur Barreto: "Der produktivere Sojaanbau treibt die extensive Viehzucht auf immer neue Weiden, die vornehmlich dem Regenwald abgerungen werden."
Das wäre allerdings gar nicht nötig. In einer Studie kommt er sogar zu dem Schluss, dass es für die Wirtschaft kostengünstiger wäre, bereits gerodete Fläche wieder aufzubereiten. Die ebeneren Areale könnten für den Soja-Anbau genutzt werden, die übrigen böten genug Platz, um den Bedarf an Rindfleisch zu decken. Nur sei es für den einzelnen Viehzüchter einfacher sei, Wald niederzubrennen als Brachland zu reaktivieren. Nicht zuletzt wegen der Regierungspolitik.
Amazonien ist mehr als die "grüne Lunge der Welt"
Die Vernichtung von 10.000 Quadratkilometern Wald klingt zunächst einmal nicht viel, wenn man bedenkt, dass das brasilianische Amazonas-Gebiet etwa fünf Millionen Quadratkilometer umfasst. Doch seit 1970 die Abholzung in großem Stil begann, wurden rund 20 Prozent des Regenwaldes dort zerstört. In den Nachbarländern, in die sich weitere 2,5 Millionen Quadratkilometer des Regenwalds erstrecken, sieht es nicht viel anders aus.
Der Amazonas-Regenwald ist das artenreichste Gebiet der Erde, ein riesiger CO2-Speicher und gilt als grüne Lunge der Erde. Einmal abgeholzt, ist der Wald fast unwiederbringlich zerstört. Noch entscheidender aber könnte ein weiterer Aspekt sein, sagt Fischermann: "Grüne Lunge ist eigentlich keine korrekte Bezeichnung. Die wichtigste Funktion des Amazonas-Waldes ist klimatechnisch, dass es ein großer Wasserspeicher ist."
Der Wald muss sich selbst bewässern können
Denn an vielen Stellen wächst schon nach wenigen Jahren Weidewirtschaft oder Ackerbau gar nichts mehr, weil die dünne Humusschicht dann abgetragen ist. An anderen Stellen wachsen Biotope nach, die mit dem ursprünglichen Regenwald nur wenig gemein haben.
Die riesigen Wassermengen, die im Einzugsgebiet des größten Stroms der Erde fließen, verdunsten und wieder niederregnen, können diese Vegetationsformen jedenfalls nicht aufnehmen. Der brasilianische Klimaforscher Carlos Nobre geht sogar davon aus, dass sich der Amazonas-Regenwald einem kritischen Punkt nähert, ab dem er sich nicht mehr mit Wasser versorgen kann.
Wenn das Wasser fehlt, stirbt nicht nur der Wald
Nobres Untersuchungen nach stammt mindestens die Hälfte des Niederschlags im Regenwald aus Wasser, das zuvor ebendort verdunstet ist. Jeder Wassertropfen fällt mehrmals auf die Erde nieder, bevor er die Amazonas-Mündung erreicht. Tut es das nicht, strömt mehr Wasser in den Atlantik, als die Passatwinde von dort in die Anden tragen, aus denen es wieder in die Amazonas-Ebene fließt. Der negative Saldo führe dann unweigerlich zu dauerhaftem Wassermangel und letztlich zur Austrocknung des gesamten Gebiets und anderer Regionen, die durch Wolken vom Amazonas mit Niederschlag versorgt werden.
Dies werde zusehends zu einem Problem für die Landwirtschaft, sagt Fischermann, deshalb seien sogar Teile der Agrarlobby inzwischen gegen die Abholzung. Allerdings treffe dies nicht auf die Unterstützer von Präsident Bolsonaro zu: "Die machen da Landspekulationen, die wollen das Holz haben, die denken sehr kurzfristig, sehr traditionell, weil Landbesitz in Brasilien auch immer für Wohlstand und politische Macht gestanden hat."
Doch der Wassermangel zieht noch weitere Kreise. 2021 ist das sechste Jahr in den letzten zwei Jahrzehnten, in dem Brasilien eine Dürre trifft. Im Mai war es Energieminister Bento Albuquerque, der vor der "schlimmsten Wasserkrise seit 91 Jahren" warnte. Das Land gewinnt rund Dreiviertel seines Stroms aus Wasserkraft. Deshalb belastet der Wassermangel in Brasilien nicht nur die Regionen mit Wasserknappheit, sondern alle Wirtschaftszweige. Letztlich schlägt das auch in Form von teurerem Strom auf die Privathaushalte durch, und das bedeutet Inflation.
Brasilianische Wirtschaft befürchtet Image-Schaden
Das ist für keine Regierung von Vorteil. Aber einen Populisten wie Bolsonaro, der auf kurzfristige Erfolge angewiesen ist, um eine Wahl zu gewinnen, treibt eine solche Entwicklung in die Ecke. Zumal ihm nach den Corona-Hilfen kaum noch finanzieller Spielraum bleibt, um höhere Verbraucherpreise weg zu subventionieren. Umso weniger kann er sich aber leisten, nun auch noch seine Unterstützer in Landwirtschaft und Bergbau zu vergraulen.
Obwohl Brasilien selbst also mehrere Anreize hat, den Amazonas-Regenwald zu schützen, könnte der Druck von außen entscheidend werden. Einige Vertreter der brasilianischen Wirtschaft befürchten, das Land und seine Produkte könnten international einen Image-Schaden erleiden. Im vergangenen Jahr trafen sich Vertreter der drei größten privaten Banken des Landes - Bradesco, Itaú und Santander - mit Vize-Präsident Hamilton Mourão, der auch Vorsitzender des Nationalen Amazonas-Rats ist, um über die Rettung des Regenwaldes zu sprechen.
Auch die großen brasilianischen Schlacht-Konzerne JBS und Marfrig haben angekündigt, ab 2025 kein Fleisch mehr von neu gerodeten Flächen zu verarbeiten. Dazu wollen sie von allen Zulieferern, auch indirekten, einen Herkunftsnachweis verlangen. Das sei immerhin etwas, meint Imazon-Forscher Barreto, aber das sei auch sehr spät, wenn man bedenke, dass das all dies schon heute möglich wäre.***
Druck von außen muss weiter wachsen
"Auch wenn 75 bis 80 Prozent des Fleischs in Brasilien konsumiert wird", sagt Barreto: "Der effektivste Druck ist derzeit der aus dem Ausland." Denn die größten Abnehmer mit marktbeherrschenden Anteilen sind in Brasilien Supermarktketten, die von den französischen Konzernen Carrefour und Casino Guichard-Perrachon sowie Advent International aus den USA kontrolliert werden. Auch zum Handelsabkommen zwischen Europäischer Union und Mercosur hat Barreto eine Studieveröffentlicht, wie mit relativ einfachen Mitteln verhindert werden kann, dass neue Flächen gerodet werden, um die steigende Nachfrage aus Europa zu bedienen.
Für Journalist Fischermann, der zeitweise in Brasilien lebt, ist die EU eher ein Nebenschauplatz. Für ein echtes Umdenken in der brasilianischen Politik müssten die größten Handelspartner, China und USA, ihren Einfluss geltend machen. Wenn sie ihre Kaufkraft an bestimmte Regeln bänden, wäre das ein starker Hebel. Und hier legt er eine gewisse Hoffnung in die Chinesen: "Ich glaube ihnen, dass sie nicht das Klima ruinieren wollen", erklärt er. "Für die Chinesen könnte es eine relativ günstige Art sein, das Klima zu beeinflussen, in dem sie einfach die Brasilianer zwingen, auf eigene Kosten das Klima mehr zu schützen."
Dies ist eine aktualisierte Version dieses Artikels, zuvor enthielt er folgende Ungenauigkeiten:
* Das Land wird nicht wie zuvor behauptet "unter der Hand" verkauft, der zunächst illegale Besitz wird im Nachhinein offiziell legalisiert.
** In der Vorgängerversion wurde auch die Holzwirtschaft als Haupttreiber der Flächenrodung genannt. Laut dem Experten ist dies aber verglichen mit der Brandrodung zur Rinderzucht, auf deren Konto 90 Prozent der Entwaldung gingen, ein Nebenschauplatz.
*** Die Schlachtkonzerne werden anders zunächst als beschrieben weiterhin Fleisch aus der Region kaufen, aber nicht von neu gerodeten Flächen.