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ReiseItalien

Venedig kämpft weiter mit Besuchermassen

Teresa O'Connell
25. Oktober 2021

Seit Jahren schrumpft Venedigs Einwohnerzahl. Schuld daran ist eine einseitige Ausrichtung auf den Tourismus. Viele Einheimische wollen nicht länger tatenlos zusehen.

Venedig - Markusplatz
Besuchermassen auf Venedigs Markusplatz Bild: picture-alliance/dpa/S. Stache

Ende September lebten 50.582 Menschen in Venedig. So war es an einer Digitalanzeige im Schaufenster einer altehrwürdigen Apotheke am Platz Campo San Bartolomeo zu lesen. Venedigs Einwohnerzahl sinkt seit Jahren kontinuierlich, die Politik in der Lagunenstadt scheint mehr auf Touristen denn auf Einheimische ausgerichtet zu sein.

Im August 2021 strömten täglich rund 85.000 Touristen in die StadtBild: picture alliance / Zoonar

Vor einem Monat gab Venedig bekannt, Drehkreuze an Hauptzugangspunkten zur Stadt zu installieren, um den Besucherzustrom zu regulieren. Dieser Plan ist umstritten, doch die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Vor Ausbruch der Corona-Pandemie kamen jährlich etwa 30 Millionen Gäste in die Stadt an Italiens Adriaküste, das sind rund 590 Besucher auf je einen Einheimischen. Dieses krasse Missverhältnis untergräbt seit Jahren das wirtschaftliche und soziale Gefüge der Stadt - Einheimische verlassen Venedig in Scharen.

Ausverkauf an den Höchstbietenden

Die Touristenmassen belasten die städtische Infrastruktur ungemein. Ferienunterkünfte treiben den Preis regulärer Wohnungen in die Höhe. Geschäfte, die nicht auf Touristen ausgerichtet sind, sondern auf den täglichen Bedarf der Einheimischen, tun sich schwer. All dies macht die Stadt zunehmend unattraktiv für Venezianer. Im Schnitt ziehen täglich drei Einheimische fort.

Fischhändler kämpfen ums ÜberlebenBild: Teresa O`Connell/DW

"Jedes Jahr verliert die Stadt ungefähr 1000 Einwohner", sagt Giacomo Sebastiano. Der 38-jährige gebürtige Venezianer wohnt im historischen Zentrum. Ihn stört die Kommerzialisierung seiner Heimatstadt und er moniert, Venedig werde an die Höchstbietenden verhökert.

Im Jahr 2018 unternahm Venedig einen Pilotversuch, Touristenströme zu begrenzen. Der Zugang zur Stadt war nur noch mit vorab reservierten Eintrittskarten möglich, Drehkreuze wurden an Zugängen installiert. Ab Sommer 2022 sollen diese Regelungen verbindlich für alle Besucher gelten. Laut Bürgermeister Luigi Brugnaro sind diese durchaus umstrittenen Maßnahmen die "einzige Lösung", um des Ansturms Herr zu werden.

Eine Frage der Prioritäten

Aber Giacomo hält wenig von Drehkreuzen. Für ihn sind sie ein weiterer Beweis für den fortwährenden Ausverkauf seiner Heimatstadt. "Venedig gleicht zunehmend einem Themenpark", findet er. Etliche Einheimische teilen diese Sicht. Viele von ihnen sind überzeugt, der Stadtverwaltung gehe es einzig darum, möglichst viel Profit aus Venedigs Altstadtkern zu pressen. Sie werfen den politischen Entscheidern vor, mit publikumswirksamen Aktionen und kurzfristigen Lösungen von den eigentlichen Problemen abzulenken, anstatt das Leben der Einheimischen zu verbessern.

Blick auf Venedigs Hauptwasserstraße, den Canal GrandeBild: Teresa O`Connell/DW

Dabei gab es während der Lockdown-Phasen der Stadt ausreichend  Gelegenheit, über die einseitige Ausrichtung der Stadt auf den Tourismus nachzudenken und Alternativen auszuloten. Doch nichts dergleichen sei geschehen, meint die Fraktionsführerin der Demokratische Partei (PD) im Stadtparlament, Monica Sambo. "Wir hatten ausreichend Zeit und Ressourcen, um diese Situation zu überdenken", sagte sie im Gespräch mit Italiens Tageszeitung "La Repubblica".

Gute Aussichten?

Immerhin ist es Kreuzfahrtschiffen seit diesem Sommer untersagt, in den Giudecca- und den Markuskanal und das sogenannte Markusbecken fahren, um etwa am berühmten Markusplatz anzulegen. Zuvor war der Anblick dieser überdimensionierten Schiffe traurige Normalität. Allerdings verhängte Italiens Regierung das Einfahrverbot erst, nachdem die UNESCO gedroht hatte, die Stadt von der Liste der Weltkulturgüter zu streichen.

Tommaso Cacciari begrüßt das Verbot. Der Aktivist und Pressesprecher von "No Grandi Navi", einem Bürgerbündnis gegen Kreuzfahrtschiffe, bezeichnet es als "Schritt in die richtige Richtung". Dennoch findet er, dass weiterhin vieles im Argen liegt. 

Kreuzfahrtschiffe wurden aus der Lagunenstadt verbanntBild: Eric Vandeville/abaca/picture alliance

Der Regierungsbeschluss sieht Ausgleichszahlungen an Kreuzfahrtunternehmen vor. Cacciari kann nicht fassen, warum multinationale Konzerne, die "jahrzehntelang am Ausverkauf der Stadt verdient haben, finanziell kompensierten werden sollten". Vielmehr müssten eben jene Unternehmen für die Beschädigung und die Verschmutzung der Stadt aufkommen. 

Fortschritt statt Phrasen

Bürgermeister Brugnaro begrüßte die Verbannung der Kreuzfahrtschiffe und wertete sie als wichtigen Schritt in der Umstellung auf einen nachhaltigeren Tourismus. Auf viele Venezianer wirken solche Bekenntnisse zu Nachhaltigkeit allerdings wie leere Phrasen, die wenig an den eigentlichen Problemen ändern. 

Gelebte Nachhaltigkeit: Einheimische bringen Papiermüll zum Recyclingkahn Bild: Teresa O`Connell/DW

Seit den verheerenden Fluten von 2019 arbeiten Einheimische verstärkt am Hochwasserschutz bedeutender Altstadtgebäude. "Wir müssen die Identität der Stadt bewahren", betont Giacomo. "Aber diese Identität erwächst nicht nur aus Venedigs Architektur, sondern lebt auch von den Menschen, die dort wohnen".