Souleymane Chérif war 1972 Afrikas Fußballer des Jahres und ist in seiner Heimat Guinea ein Held. Begonnen hat er seine Karriere in der DDR-Provinz. Der Dokumentarfilm "Pelé aus Neubrandenburg" erzählt seine Geschichte.
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Dieser Pelé hat nichts zu tun mit dem brasilianischen Fußballstar. Im Film "Pelé aus Neubrandenburg" geht es um Souleymane Chérif, einen Sportler aus Guinea und seine steile Fußball-Karriere, die im ostdeutschen Neubrandenburg startete, als er in den 1960er-Jahren zwei Jahre als Student im sozialistischen Bruderland DDR verbrachte. Der Film von Benjamin Unger und Matthias Hufmann ist eine Ode an den Fußball - und seine Macht, unterschiedliche Kulturen und Hintergründe zu überbrücken.
Beim SC Neubrandenburg schoss Ausnahme-Stürmer Souleymane Chérif das Kleinstadt-Team in die höchste Spielklasse - um dann dort zu erfahren, dass ein DDR-Statut Ausländer vom Spielen in der Oberliga ausschließt.
1962 kehrte Chérif nach Guinea zurück, wo seine Fußball-Karriere erst richtig aufblühte. 1968 nahm er im National-Team an den olympischen Spielen in Mexiko teil. Vier Jahre später wurde er Afrikas Fußballer des Jahres.
Und bis heute ist er Guineas Fußball-Superstar. Wenn er durch die Straßen seiner Heimat läuft, hängen ihm Scharen junger Bewunderer an den Fersen.
Der Dokumentarfilm "Pelé aus Neubrandenburg" nimmt vor allem das enge Verhältnis von Chérif und seinen damaligen Team-Kollegen in den Blick. Und wie das war, akzeptiert zu werden in einer Gemeinschaft, in der es alles andere als normal war, je einen Afrikaner getroffen zu haben.
"Die Kinder haben mich angefasst, um zu sehen, ob ich Kohle auf der Haut hätte", erinnert sich Souleymane Chérif im Film, "und alle wollten wissen, was mich in die DDR geführt hat."
Doch da waren auch viel unangenehmere Erlebnisse. Etwa, als die Eltern seiner Freundin den Heiratsantrag abschmetterten. Oder die rassistischen Anwürfe gegnerischer Mannschaften. Insgesamt aber ist Chérifs Geschichte eine der Akzeptanz.
Die DW sprach mit Autor Benjamin Unger über die Aktualität seines Films.
Deutsche Welle: Wie kam es zu einem Film über Souleymane Chérif? Ist er bekannt in Deutschland?
Benjamin Unger: In Deutschland kennt ihn fast niemand. In Neubrandenburg ist er bei Sportfans sehr bekannt, weil es eine so besondere Zeit war, als er damals in der DDR spielte. Es ist einfach faszinierend, dass er hier in Deutschland nicht in der ersten Liga spielen konnte, weil er ein Ausländer war. Und dabei so ein unglaubliches Talent hatte.
Warum durften Ausländer damals nicht in der höchsten Klasse spielen?
Der DDR-Fußball wollte, dass seine eigenen Leute spielen, die Besten sind und so die Stärke der DDR bewiesen.
Chérif kam über ein Austauschprogramm der DDR mit Guinea nach Deutschland. Außerhalb Deutschlands ist es vermutlich wenig bekannt, dass die DDR Studenten- und Arbeiter-Austauschprogramme mit afrikanischen Ländern hatte. Was hatte es damit auf sich?
Es gab einen großen Austausch mit Angola und Mosambik. Damals war unklar, was für ein Staat Guinea werden würde, ob ein sozialistischer oder demokratischer. Die Regierung arbeitete ein wenig mit dem ostdeutschen Staat, aber auch mit Westdeutschland zusammen.
Und Die DDR versuchte, mit vielen afrikanischen Ländern zusammenzuarbeiten, um Anerkennung zu erlangen. Damit wollte sie international Präsenz zeigen.
Es ging also um Diplomatie?
Die DDR wollte international anerkannt werden. Und mit vielen internationalen Verbindungen konnte sie auf Verbündete in der ganzen Welt verweisen. Beim Austausch von Studenten und Arbeitern ging es auch darum, dass die dann zurück in ihre Länder gingen und berichten konnten, wie großartig die DDR sei.
Sozialistische Brüderschaft: Die DDR und Afrika
Angola, Äthiopien, Mosambik oder Tansania: Die Deutsche Demokratische Republik unterhielt bis zu ihrem Ende mit der Wiedervereinigung 1990 enge Beziehungen zu den sozialistisch ausgerichteten Ländern Afrikas.
Bild: Ismael Miquidade
Ausbildung fernab des Bürgerkriegs
Bis zu ihrem Ende mit der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 bildete die DDR zahlreiche Facharbeiter aus den sozialistischen Ländern Afrikas aus. Diese Angolaner nahmen 1983 an einem halbjährigen Lehrgang am Zentralinstitut für Arbeitsschutz in Dresden teil. Damals herrschte in Angola Bürgerkrieg. Die DDR unterstütze die Regierung der marxistisch-leninistischen MPLA.
Bild: Bundesarchiv/183-1983-0516-022 /U. Häßler
Lehrgänge für afrikanische Reporter
Neben technischen Berufen bildete die DDR auch afrikanische Journalisten aus. Hunderte Redakteure aus fast allen Ländern Afrikas nahmen in Berlin-Friedrichshagen an den Seminaren der Schule der Solidarität des Verbandes der Journalisten der DDR teil. Im Bild: Junge Journalisten aus Angola, Guinea-Bissau, den Kapverden sowie aus São Tomé und Príncipe während ihres Lehrgangs im Dezember 1976.
Bild: Bundesarchiv/183-R1210-302
Schule der Freundschaft
Der erste Präsident Mosambiks, Samora Machel, und Margot Honecker, Ministerin für Volksbildung der DDR, trafen sich 1983 mit der Leitung der Straßfurter Schule der Freundschaft. 1979 hatten beide Länder beschlossen, dass 899 mosambikanische Kinder vier Jahre lang in der DDR die Schule besuchen sollen.
Bild: Bundesarchiv/Bild 183-1983-0303-423/H. Link
Oberschule "Dr. Agostinho Neto"
Während eines Besuchs des Präsidenten Angolas, José Eduardo dos Santos, bekam die 26. Oberschule Berlin-Pankow im Oktober 1981 den Namen seines Vorgängers, "Dr. Agostinho Neto", verliehen. Mitglieder der DDR-Jugendorganisationen empfingen den angolanischen Präsidenten mit Propaganda-Plakaten mit Aufschriften wie: "An der Seite der Sowjetunion für Frieden und Sozialismus".
Der angolanische Präsident dos Santos (5. von links), besuchte 1981 auch die Berliner Mauer am Brandenburger Tor. Im Jahr 1961 hatte die DDR die Grenze in das freie West-Berlin hermetisch abgeriegelt, um die Flucht ihrer Staatsangehörigen in den Westen zu verhindern. Offiziell wurde die Mauer als "Anti-faschistischer Schutzwall" bezeichnet. Etwa 200 Menschen starben bei Fluchtversuchen.
Bild: Bundesarchiv
SED-Parteitage mit afrikanischen Gästen
Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) präsentierte sich auf ihren Parteitagen gerne mit internationalen Gästen. Am zehnten Parteitag 1981 nahmen unter anderem teil: Ambrósio Lukoki (hinten, rechts außen), MPLA-Mitglied aus Angola, sowie Berhanu Bayeh (hinten, zweiter von links), später Außenminister der marxistisch-leninistischen Derg-Diktatur in Äthiopien.
Bild: Bundesarchiv/183-Z0041-138/M. Siebahn
Parteitags-Besuche auch in Afrika
Auch in die andere Richtung waren Besuche auf Parteitagen üblich. So nahm Konrad Naumann (zweite Reihe rechts), Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees der SED, am dritten Parteitag der PAIGC (Afrikanischen Unabhängigkeitspartei von Guinea-Bissau und den Kapverden) im November 1977 in Bissau teil. Der Parteitag stand unter dem Motto "Unabhängigkeit, Einheit, Entwicklung".
Bild: Bundesarchiv/Bild 183-S1118-026/Glaunsinger
Sommerlager für Kinder und Jugendliche
Auch während der Ferienzeit versuchte die DDR, Kinder nach kommunistischen Idealen zu erziehen und lud sie zu Sommerlagern ein, wie hier in der "Pionierrepublik Wilhelm Pieck" nahe Berlin. Diese Lager empfingen auch ausländische Gäste. Hier erklären zwei Mitglieder der DDR-Jugendorganisation "Pioniere" einem Kind aus der Volksrepublik Kongo einen Beitrag aus der Zeitung "Die Trommel".
Bild: Bundesarchiv/183-T0803-0302
Wochenenden mit der Gastfamilie
Die ausländischen Kinder, die im Jahr 1982 am Sommerlager teilnahmen, verbrachten ein Wochenende bei Familien, um den Alltag in der DDR kennenzulernen. Mit einem Sonderzug fuhren sie in die Chemiestadt Schwedt an der Grenze zu Polen. Sandra Maria Bernardo aus Angola wird von ihrer Gastmutter Ingeborg Scholz und deren Tochter Petra willkommen geheißen.
Bild: Bundesarchiv/183-1982-0731-010 /K. Franke
Traktoren für sozialistische "Bruderländer"
Als Solidaritätsspende gingen im Jahr 1979 zahlreiche Landmaschinen aus dem Traktorenwerk Schönebeck an das damals marxistisch-leninistisch regierte Äthiopien. Die Traktoren des in der DDR als Standard verwendeten Typs "ZT 300-C" wurden weltweit in insgesamt in 26 Länder exportiert, darunter auch Angola und Mosambik.
Bild: Bundesarchiv/183-U1110-0001/Schulz
DDR-Textilmaschinen in Äthiopien
Die Maschinen in dieser Textilfabrik in der Stadt Kombolcha in der äthiopischen Provinz Amhara (Foto vom November 2005) verarbeiten Wolle zu Bettlaken und Handtüchern. Sie wurde 1984 mit der Unterstützung der DDR und der Tschechoslowakei errichtet. Fast alle Maschinen kommen aus dem ehemaligen DDR-Kombinat TEXTIMA, das im damaligen Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) beheimatet war.
Bild: picture-alliance/dpa
Plattenbauten auf Sansibar
Noch heute sind die Plattenbauten auf Sansibar zu sehen, mit denen die DDR das 1964 gegründete und unter Staatspräsident Julius Nyerere sozialistisch regierte Tansania unterstützte. Die Baustoffe kamen per Schiff aus der Deutschland, auf Sansibar mussten sie nur noch zusammengefügt werden. "Michenzani" heißt das Neubauprojekt mit einer mehr als 1,5 Kilometer langen Plattenbau-Fassade.
Bild: cc-by-sa/Sigrun Lingel
DDR-Nostalgie in Maputo
Rund 15.000 Mosambikaner arbeiteten Ende der 80er Jahre als Vertragsarbeiter in der DDR. Die meisten kehrten nach der Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 in ihre Heimat zurück. Dort werden sie "Madgermanes" genannt: eine Verballhornung von "Made in Germany". Weil Mosambik ihnen ihren vereinbarten Lohn nie gezahlt hat, demonstrieren sie noch heute regelmäßig in der Hauptstadt Maputo.
Bild: Ismael Miquidade
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In vielerlei Hinsicht erinnert mich diese Geschichte an Situationen, die wir in Deutschland auch heute noch sehen könnten, nämlich dann, wenn es um die Akzeptanz von Flüchtlingen in Kleinstädten geht, in die sie die letzten Jahre gezogen sind. Wo sehen Sie die Relevanz der Geschichte für heute?
Die Relevanz für die heutige Zeit ist, dass sie zeigt, dass es auf der persönlichen Ebene keine Grenzen gibt. Wenn in Ostdeutschland heute in einer Stadt wie Neubrandenburg keine Ausländer in den Sportmannschaften, am Arbeitsplatz oder in der Nachbarschaft sind, dann kann man leichter auf die Idee kommen, dass Ausländer eine Gefahr für Deutschland sind oder auf andere populistische Annahmen. Sobald sich die Menschen auf persönlicher Ebene kennenlernen, sehen sie sich einfach als Menschen.
Bei Chérif sagt jeder, der mit ihm in Neubrandenburg zusammen war, zuerst, dass er ein sehr würdiger, großartiger Mensch war. Es geht nicht darum, wie gut er als Fußballspieler war. Das war er auch. Aber das erste, was sie sagen, ist, dass er ein großartiger Mensch war.
Wenn man bedenkt, dass Flüchtlinge heute in Deutschland arbeiten, in Fußballmannschaften spielen, mitten in der Nachbarschaft leben oder am Wochenende etwas zusammen machen, dann ist das so wichtig. Und genau darum ging es ja bei Chérif.
Die Dokumentation "Pelé aus Neubrandenburg" ist in der ARD-Mediathek zu sehen und lief gerade im Programm des Internationalen Fußballfilm-Festivals Berlin, das noch bis zum 25. März geht.