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Politik

Sozialdemokratische Turbulenzen im Vorwahlkampf

30. Mai 2017

Binnen Stunden muss SPD-Chef Martin Schulz nach dem Rücktritt des Schweriner Ministerpräsidenten Erwin Sellering die Parteispitze neu sortieren. Das Willy-Brandt-Haus an einem hektischen Dienstag.

Deutschland Fraktionssitzungen der Bundestagsparteien  SPD
Bild: picture alliance/dpa/ Be. von Jutrczenka

Es trifft die Partei, und es trifft die SPD hart. Eine menschliche und vernünftige Entscheidung, der Rücktritt des Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering,

wegen einer akut diagnostizierten Krebserkrankung sorgt für eine Personalrochade im sozialdemokratischen Führungspersonal. Knapp vier Monate vor der Bundestagswahl muss sich die Partei an mehreren Schlüsselstellen neu aufstellen.

Sellering, in seinem Bundesland (aus dem übrigens auch Angela Merkel stammt) und seinem Landesverband unangefochten und respektiert, hatte seine Entscheidung am Dienstagvormittag bekanntgegeben. Der 67-Jährige verwies auf eine Lymphdrüsenkrebs-Erkrankung und die umgehend notwendige "massive Therapie". Zugleich schlug er Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig als Nachfolgerin vor. Die Ostdeutsche Schwesig gehörte von 2008 bis 2013 - also bis zu ihrem Wechsel ins Bundeskabinett - als Sozialministerin der Landesregierung in Schwerin an und hat in der Landeshauptstadt auch ihren ersten Wohnsitz. So war Schwesig so etwas wie die geborene Nachfolgekandidatin.

Gerüchte…

Doch Schwesigs Rückzug von Merkels Kabinettstisch setzt die Sozialdemokraten erneut unter Druck. Dabei ist die Partei nach drei Landtagswahl-Niederlagen dieses Jahres und entsprechenden Umfrageergebnissen im Bund verunsichert. Soll - knapp vier Sitzungswochen, vier Monate vor Schluss der Legislaturperiode - ein anderes SPD-Kabinettsmitglied den Arbeitsbereich mit übernehmen? Soll ins Bundesfamilienministerium die Generalsekretärin Katarina Barley aufrücken, beliebt an der Parteibasis, aber vielleicht zu wenig "dreckig" für den Posten eines "Generals"?

Nicht einmal vier Stunden dauert es, bis SPD-Chef Martin Schulz die Entscheidungen verkündet. Der Kanzlerkandidat, vor 65 Tagen mit hundertprozentiger Zustimmung und ähnlich hohen Erwartungen an der Parteispitze verankert, hatte am späteren Montagabend von der Entscheidung Sellerings erfahren. Da blieb ihm - zumal in einer Sitzungswoche des Bundestages, in der der politische Betrieb samt journalistischer Beobachtung brummt - nicht viel Zeit, um die Personalentscheidungen auszuloten und im engsten Kreis zu erörtern.

Hubertus Heil wird den Bundestagswahlkampf der SPD leitenBild: Picture-Alliance/dpa/K. D. Gabbert/ZB

…und Entscheidungen

Dann gelingt Schulz doch eine Überraschung. Denn recht frühzeitig zeichnete sich ab, dass Katarina Barley als Nachfolgerin Schwesigs das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend übernimmt. Viele Medien handelten daraufhin den SPD-Parlamentarier Achim Post als neuen Generalsekretär. Stattdessen benannte Schulz Hubertus Heil. Der heute 44-Jährige war schon von 2005 bis 2009 Generalsekretär und trat nach der Niederlage der Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl und ihrem Ausscheiden aus der Merkel-Regierung zurück. Klar ist: Heil kennt Abläufe und Gesichter, auch die Untiefen des Willy-Brandt-Hauses, der Partei- und Wahlkampfzentrale. Er kennt, seit 1998 Mitglied des Parlaments, Fraktion und Mitarbeiter. Er ist nicht unumstritten, aber ruhiger und analytischer geworden.

Eine Chance?

Mit diesem Personaltableau geht Schulz am Dienstagnachmittag in die reguläre Fraktionssitzung. Diejenigen hier, die Sellering kennen, und das sind viele, sind betroffen von dessen Schicksal. Aber die Stimmung in der Sitzung, sagen Mitglieder im Anschluss, sei "nicht von Niedergeschlagenheit" geprägt gewesen. Schulz sagte, man könne aus dem Notwendigen auch weiteren Schwung gewinnen. Die Personalentscheidungen sollten die anstehenden inhaltlichen Positionierungen der kommenden Wochen begleiten. Und auch Barley äußert sich, wie Teilnehmer berichten. Sie habe das Amt sehr wertgeschätzt. Aber der Wechsel mit der Rückkehr von Hubertus Heil biete doch eine Chance für den anstehenden Wahlkampf.

Damit steht die Partei weiter unter Druck. Denn vieles hängt nun davon ab, wie sich Schulz inhaltlich konkret positioniert - und ob es ihm gelingt, aus dem Schatten der so präsenten Bundeskanzlerin herauszutreten, die im Inneren wie in Europa gerade abhebt. Auch auf die Ansage solcher eher fassbaren Inhalte warten die Abgeordneten und baldigen Wahlkämpfer. Denn die SPD lag bei jüngsten Meinungsumfragen bei 26 oder 27 Prozent; damit wäre die Partei wohl raus aus der politischen Gestaltungsfähigkeit nach der Bundestagswahl.

Bemerkenswert ist durchaus, wie der Koalitionspartner CDU/CSU auf den Rückzugs Sellerings in Schwerin und die notwendige Rochade reagiert. "Rechnet sich Herr Schulz mit neuem Generalsekretär mehr Chancen aus? Wer lässt vier Monate vor der Wahl schon seine Generalsekretärin gehen", twittert CDU-Parteivize Julia Klöckner; und diese Zeilen stoßen im Netz angesichts des Kontextes einer plötzlichen Krebs-Diagnose manchem auf. Die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Gerda Hasselfeldt, meinte dagegen, sie sehe "das eher von der menschlichen Seite".

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