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Facebook gegen Sexismus

Anne-Sophie Brändlin / Carla Bleiker3. November 2014

Das Video einer Frau, die auf ihrem Weg durch New York unzählige Male belästigt wurde, hat sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Soziale Medien helfen den Frauen dabei die sexuelle Belästigung anzuprangern.

Screenshot -Youtube 10 Hours of Walking in NYC as a Woman
Bild: youtube/Street HarassmentVideo

Eine aktuelle Studie der Non-Profit-Organisation "Stop Street Harassment" (Stop Belästigung auf der Straße) zeigt, dass 65 Prozent der befragten Frauen in den USA ausgesagt haben, schon mindestens einmal in ihrem Leben auf der Straße belästigt worden zu sein.

Mittlerweile sprechen immer mehr Frauen öffentlich über ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung. Über soziale Medien machen sie das Thema zum Teil der öffentlichen Diskussion. Mehrere Kampagnen wurden im Internet unzählige Male weiter verbreitet. Viele Opfer von sexueller Belästigung sagen, dass soziale Medien ihnen geholfen hätten, sich weniger allein zu fühlen und weniger zu schämen. Über Medien wie Facebook oder Twitter könnten Frauen sich heute aus der ganzen Welt zusammenbringen, die sich ohne Angst zu dem Thema äußern möchten.

Eigene Erlebnisse als Ansporn

Das aktuellste Beispiel kommt von der 24-jährigen Shoshana B. Roberts, die sich bei einem Spaziergang durch New York City filmen ließ. Das Video zeigt komprimiert auf knapp zwei Minuten, mehr als 100 Situationen in zehn Stunden, in denen Roberts von Fremden sexuell belästigt wurde. Der Schauspielerin wurden anzügliche Kommentare über ihr Aussehen hinterher gerufen; einige Männer folgten ihr sogar minutenlang.

Das Youtube-Video wurde bereits mehr als 23 Millionen Mal angeschaut und mehr als 60.000 Mal kommentiert. Einige dieser Kommentatoren kritisieren Roberts und sagen, dass was sie als Belästigung bezeichnet, in Wirklichkeit nette Komplimente sind - oder einfach Männer, die Interesse an ihr zeigen. Auch einige Vergewaltigungsdrohungen hat Roberts schon erhalten. Es ist aber nicht alles negativ: Seitdem sie ihr Video postete, hat die 24-jährige auch viel Unterstützung und Zuspruch erhalten.

Nachdem sie in einem Londoner Bus belästigt wurde und geschockt war darüber, dass niemand ihr half, beschloss Laura Bates, sich gegen täglichen Sexismus stark zu machen. Sie glaubt, dass das Phänomen vielerorts als gesellschaftlich akzeptiert gilt.

Bates wollte verhindern, dass Frauen sich selbst die Schuld an ihrer sexuellen Belästigungen geben oder aus Scham darüber schweigen. Deswegen erstellte sie eine Website, auf der alltägliche Erlebnisse mit sexueller Belästigung aufgelistet werden. Das Everyday Sexism Project (Projekt Alltäglicher Sexismus) gibt es mittlerweile in 19 Ländern. Ziel des Projekts ist es, zu zeigen, wie verbreitet Sexismus auf der ganzen Welt ist.

Gespaltene Reaktion in Internet und Presse

Nachdem die Medien über Bates und ihre Website berichteten, erhielt die Britin Mord- und Vergewaltigungsdrohungen. Aber Laura Bates lässt sich davon nicht abschrecken. Sie sagt, dass soziale Medien mitentscheidend dafür sind, um Aufmerksamkeit auf das Problem zu lenken. "Man kann eine Person nicht zum Schweigen bringen, wenn sie 25.000 weitere Stimmen hinter sich hat, die sagen 'Ich glaube dir, mir ist es auch passiert'", sagt sie.

Ein ähnliches Projekt entstand 2013 in Deutschland. Das Hashtag Aufschrei (#Aufschrei) wurde bei Twitter von der jungen Netzfeministin Anne Wizorek eingerichtet, die Frauen ermutigen wollte, alltäglichen Sexismus nicht mehr einfach so hinzunehmen. Unter dem Hashtag können Frauen ihre Erlebnisse mit Sexismus und sexueller Belästigung teilen.

Inspiriert wurde die Aktion auch von einem Artikel im Stern vom 24. Januar 2013. Reporterin Laura Himmelreich berichtete, dass FDP-Politiker Rainer Brüderle ihr an einer Hotelbar zu nahe kam und zu ihr "Sie können ein Dirndl auch ausfüllen" sagte. Der #Aufschrei ließ nicht lange auf sich warten. Wenige Tage darauf wurde Wizorek bereits zu den Talkshows von Günther Jauch und Anne Will eingeladen. Das Thema erhielt so viel Medienaufmerksamkeit wie noch kein anderes Twitter Hashtag in Deutschland.

Die Reaktionen waren nicht nur positiv. Sowohl Männer als auch Frauen aus Medien und Politik gingen Himmelreich und Wizorek an und kritisierten, die Frauen würden Sachverhalte übertrieben darstellen. Journalistin Birgit Kelle schrieb in ihrem Artikel "Dann mach doch die Bluse zu!" beispielsweise, dass die Brüderle Geschichte ganz anders abgelaufen wäre, wenn statt des FDP-Politikers der Schauspieler George Clooney Himmelreich angesprochen hätte. Sie bezeichnete die Debatte als "aufgebauscht und heuchlerisch". So oder so rückte Wizoreks #Aufschrei das Thema Sexismus in den Mittelpunkt der deutschen Öffentlichkeit.

Rollentausch

"Opressed Majority" (Unterdrückte Mehrheit), ein Kurzfilm der französischen Regisseurin Eleonore Pourriat, begleitet einen Hausmann bei seinem normalen Tag in Paris. Die Geschlechterrollen sind in dem Film vertauscht, und der Mann sieht sich Vorurteilen, sexuellem Missbrauch sowie verbaler und körperlicher Belästigung auf der Straße ausgesetzt. "Opressed Majority" stellt die Frage, wie es wäre, wenn Männer in einer von Frauen dominierten Gesellschaft leben würden.

In Ägypten ist die Gesellschaft noch deutlich stärker von Männern dominiert. Laut eines Berichts der UN Women haben 99,3 Prozent der ägyptischen Frauen schon einmal eine Form von sexueller Belästigung angezeigt, hauptsächliche ungewollte Berührungen und verbale Belästigung.

Die unheimliche Brücke

Die Filmemacherinnen Colette Ghunim und Tinne Van Loon, haben beschlossen, dieses Problem zu beleuchten, das sie als "die neueste Epidemie in Ägypten" bezeichnen. Sie arbeiten an einer Dokumentation über ägyptische Frauen, die mit sexueller Belästigung auf den Straßen von Kairo fertig werden müssen.

Als Werbung für die Doku "The People's Girls" (Mädchen des Volks) haben sie im Vorfeld einen kurzen Clip online veröffentlicht. In dem Video sieht man, wie Ghunim eine Brücke in Kairo überquert und von Männern angestarrt und kommentiert wird.

Das Video lenkte Aufmerksamkeit auf den Spendenaufruf von Ghunim und Van Loon, mit dem die beiden nun genug Geld für die Dokumentation gesammelt haben. Im Januar 2015 soll "The People's Girls" erscheinen.

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