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Sozialreformen sollen Lula retten

Klaudia Prevezanos3. Januar 2006

Anfang 2003 trat Luiz Inacio da Silva, genannt Lula, sein Amt als Brasiliens Präsident an. Die Wirtschaft entwickelt sich seitdem überraschend gut, trotzdem ist seine Wiederwahl in diesem Jahr höchst fraglich.

Der Präsident sieht sich selber betrogenBild: dpa - Bildfunk

"Ich finde es eine Frechheit, angesichts der sozialen Not und der Infrastrukturdefizite so zu sparen", sagt Gilberto Calcagnotto, Brasilien-Experte am Institut für Iberoamerika-Kunde (IIK) in Hamburg. Brasilien hat bis Ende 2005 vermutlich einen Primärüberschuss von fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) erzeugt. Geplant waren nur 4,25 Prozent, und das gilt schon als hoch. Primärüberschuss bedeutet, dass die Staatseinnahmen höher sind als die Ausgaben, Steuern werden für die Tilgung von Schulden verwendet und nicht für Investitionen zum Beispiel in Bildung, das Gesundheitswesen oder Straßen.

Strenge Geldpolitik

Dabei hat sich die Wirtschaft in dem Land, das 2003 kurz vor dem Bankrott stand, seit dem Regierungswechsel gut entwickelt: Der Leitzins ist zwar mit derzeit 18 Prozent weltweit am höchsten, grundsätzlich sind aber sogar die meisten Kritiker mit der strengen Geldpolitik des Landes einverstanden, das Zinsniveau müsste nur etwas gesenkt werden. Der Leitzins bestimmt die Bedingungen, zu denen sich Geschäftsbanken kurzfristig Geld bei der Notenbank ausleihen können. Ist er hoch, sind Kredite teuer, das bremst das Wirtschaftswachstum.

Dafür hat Brasilien, das neben Russland, Indien und China zu den wirtschaftlich viel versprechendsten Schwellenländern zählt, Ende Dezember seine restlichen Schulden von 15,5 Milliarden US-Dollar beim Internationalen Währungsfonds zurückgezahlt - zwei Jahre früher als geplant. "Durch die vorzeitige Rückzahlung können wir etwa 900 Millionen Dollar an Zinszahlungen einsparen", sagte Finanzminister Antonio Palocci Mitte des Monats. Die Inflation liegt 2005 voraussichtlich bei 5,6 Prozent nach 7,6 Prozent Geldentwertung im Vorjahr. Für ein Land, das seit Jahrzehnten mit massiver Inflation zu kämpfen hat, ein guter Wert. Auch die Zahl der Arbeitslosen liegt am Ende des Jahres bei unter zehn Prozent und ist im Vergleich zu 2004 weiter gefallen.

Weniger Wachstum als erwartet

Beim Wirtschaftswachstum wird Brasilien 2005 vermutlich nur 2,5 Prozent erreichen - erwartet wurden vier Prozent. Doch auch das sehen Marktbeobachter als nicht beunruhigend an: "Das ist für ein Emerging-Market-Land zwar nicht stark, aber es ist mittelfristig besser mit moderaten, aber konstanten Raten zu wachsen, als zwischen Expansion und Rezession zu wechseln", sagt Matthias Krieger. Er ist Volkswirt bei der Landesbank Baden-Württemberg und beobachtet Wachstumsmärkte weltweit seit vier Jahren. Für 2006 rechnen Marktbeobachter für Brasilien mit einer Konjunkturerholung und einem Wachstum von 3,5 Prozent.

Gekaufte Abgeordnete?

Die wirtschaftliche Entwicklung dürfte Lula bei den bevorstehenden Wahlen am 1. Oktober 2006 nicht im Weg stehen. "Gefahr droht auf politischer Ebene, hier hat die Regierung Lula viel Kredit verspielt", sagt Volkswirt Krieger und meint den Korruptionsskandal im Lande Lulas. Im Sommer 2004 beschuldigte erstmals ein Abgeordneter Lulas Arbeiteiterpartei Partido dos Trabalhadores (PT), Delegierte anderer Gruppierungen im Parlament mit Geld gekauft zu haben. Da die PT alleine keine Mehrheit hat, muss sie für jede Abstimmung neue Verbündete im Parlament suchen. Laut den Anschuldigungen soll sie dafür neben politischen Argumenten etwa 1,4 Millionen Euro verwendet haben. Seit Monaten ermitteln Untersuchungsausschüsse die Vorwürfe, es gibt immer neue Enthüllungen, bislang sind der Chef der PT, Lulas Schatzmeister und sein Kabinettschef zurückgetreten. Der Präsident selbst hält sich noch - nicht zuletzt durch die Rückendeckung aus den Wirtschaftskreisen. Lula beteuert bis heute seine Unschuld und fühlt sich selbst betrogen. Dass er nichts gewusst hat, kann jedoch kaum jemand glauben.

Lula sieht noch keine reelle Chance

Beobachter fürchten, dass der Politikskandal im Wahlkampf die Wirtschaftserfolge in den Hintergrund drängen wird. "Dann hat Lula schlechte Karten", meint Calcagnotto vom IIK. Der Präsident hat sich noch gar nicht entschieden, ob er zur Wiederwahl überhaupt antritt. "Die PT bedrängt ihn zwar, doch Lula wird sich wohl erst Mitte 2006 festlegen", sagt der Brasilien-Kenner. "Er will nur antreten, wenn er eine reelle Chance hat, die sieht er noch nicht."

Wenn weder die Wirtschaft noch die Politik Lula retten können, dann vielleicht noch die Sozialreformen - wenn sie 2006 richtig greifen. Das Programm "große Familie" sieht Einkommensdirekttransfers für arme Familien vor. Die Zahlungen sind an Bedingungen geknüpft wie den Schulbesuch der Kinder, Alphabetisierungskurse für die Eltern oder Teilnahme an einem Gesundheitsprogramm. Auch Lulas Lieblingsprojekt "Null Hunger" wurde in dieses Förderprogramm integriert. Acht Millionen Familien haben 2005 von dem Programm profitiert. Im Wahljahr sollen mehr als elf Millionen erreicht werden - die Gesamtheit aller bedürftigen Familien.

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