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Die etwas anderen Pioniere

1. Oktober 2019

In einer Welt, die nach mehr Nachhaltigkeit strebt, erfahren Sozialunternehmer immer mehr Unterstützung und Anerkennung - auch von großen Stiftungen, schreibt Manuela Kasper-Claridge.

what3words Stadtaufnahme aus Berlin 3-Wort-Adresse markiert wurde
Stadtaufnahme aus Berlin, die mit einer Dreiwort-Adresse von what3words markiert wurdeBild: what3words

Sie war 21 Jahre alt und alkoholabhängig. Sich das einzugestehen, fiel Lisa McLaughlin schwer. Aufgewachsen in Detroit, im US-Bundesstaat Michigan, blickte sie pessimistisch in die Zukunft. Der Niedergang der Autostadt Detroit, die hohe Arbeitslosigkeit, leer stehende und verlassene Gebäude, wohin sie auch schaute, ihre persönliche Situation - all das ließ sie zur Flasche greifen.

2012 beschloss sie, eine Therapie zu machen. McLaughlin absolvierte ein hartes Programm, wurde trocken und fand ihre Berufung. "Es gab Hilfe für Drogenabhängige, aber die war nicht gleichmäßig verteilt", erzählt sie im Gespräch mit der DW.

Digital gegen die Abhängigkeit

McLaughlin wollte das ändern. Gemeinsam mit ihrer Co-Gründerin Robin McIntosh entwickelte sie das Programm "Workit Health", das Abhängigen bei der Entwöhnung hilft. Diese Telemedizin funktioniert per App auf dem Mobiltelefon, die Abhängigen können anonym bleiben, wenn sie wollen oder sich sehr intensiv persönlich betreuen lassen. "Einer von drei Amerikanern hat irgendein Suchtproblem. Das kann Alkohol sein, Sex, Opioide oder viele andere", sagt McLaughlin.

Die App liefert Beratung per Videochat oder Text und es gibt fünf- bis zehnminütige Kurse, die Verhaltensänderungen unterstützen sollen. Sozialarbeiter, Programmierer und Ärzte arbeiten heute bei "Workit Health", das sich über Gebühren finanziert. Einige US-Unternehmen übernehmen bereits die Kosten für ihre Mitarbeiter.

Lisa McLaughlin (links) im Gespräch mit der DW-Redakteurin Manuela Kasper-ClaridgeBild: DW/M. Kasper-Claridge

Die digitale Technologie macht es möglich, mehr Menschen zu erreichen als früher. McLaughlin gilt heute als eine der führenden Pionierinnen für digitale Gesundheitsanwendungen. Kürzlich  wurde sie von der "Schwab Foundation for Social Entrepreneurship", einer in Genf ansässigen Stiftung, als herausragende Sozialunternehmerin ausgezeichnet.

Brücken bauen und voneinander lernen

Unter der Leitung von Hilde Schwab, die die Stiftung gemeinsam mit ihrem Mann Klaus Schwab vor 20 Jahren gegründet hatte, wurde ein Netzwerk aufgebaut, das in die Plattformen des ebenfalls von Klaus Schwab gegründeten Weltwirtschaftsforums in Davos integriert ist. Damit haben die ausgezeichneten Sozialunternehmer weltweit Zugang zu Unternehmen, NGOs und politisch Verantwortlichen. Lisa McLaughlin will das aktiv nutzen.

"Es gibt verschiedene Möglichkeiten, als Unternehmer zu einem Wandel beizutragen. Innerhalb des Netzwerks können wir Brücken zwischen Sektoren schlagen und voneinander lernen", betont McLaughlin. Für die Schwab Stiftung sind die Sozialunternehmer "eine neue Art von Pionieren - von Wertvorstellungen bestimmt, inklusiv, mitfühlend und unternehmerisch. Sie entwickeln neue, nachhaltige Modelle für Unternehmertum, Entwicklung und Umweltinitiativen."

Mit drei Wörtern jede Adresse finden

Diese Beschreibung passt auf Chris Sheldrick. Der Engländer will mit seinem Unternehmen "what3words" die Welt verändern, indem er jedem Menschen eine Adresse gibt. "Vier Milliarden Menschen auf der Welt haben keine Adresse", erzählt er. Sheldrick war Musiker und musste feststellen, wie schwierig es manchmal ist, bestimmte Adressen zu finden.

Ein User sucht auf dem Smartphone nach einer Dreiwort-AdresseBild: what3words

Das wollte er nicht akzeptieren. Denn auch das Ortungssystem GPS findet nicht jeden Ort. Er diskutierte das Problem mit einem befreundeten Mathematiker und gemeinsam entwickelten sie eine mobile Lösung, die ohne Kontakt zu Satelliten funktioniert. "Wir wollten ein globales Adresssystem entwickeln, damit jeder Ort der Welt einen einfachen Namen bekommt. Dafür haben wir die Welt in 3 Quadratmeter große Stücke aufgeteilt und haben jedem Quadrat einen Namen gegeben, der aus drei Wörtern besteht."

Wie das genau funktioniert, ist nicht einfach zu verstehen. Sheldrick holt seine Visitenkarte aus der Tasche. "filled.count.soap" steht als Adresse drauf. Damit findet man das what3words-Büro in London. Die GPS-Koordinaten wären 51.520847, -0.19552100. Verglichen damit, lassen sich Dreiwort-Adressen leichter sagen, merken und teilen. Und sie sind bereits in 37 Sprachen verfügbar.

Eine App, die Leben rettet

Die Berliner Adresse der Deutschen Welle ergibt in Deutsch die Dreiwort-Kombination "bürste.speise.ernsthaft." Tatsächlich findet der Nutzer so zur Voltastraße 6. "Es ist eine einfache Version von Längen- und Breitengraden. Anstelle von 16 Ziffern verwendet man drei Worte und drei Worte beschreiben je drei Quadratmeter Fläche. Das ganze funktioniert mithilfe einer mathematischen Formel und einem winzigen bisschen Daten, nur fünf Megabyte", so Sheldrick.

Wer, wenn nicht wir? Vom Anspruch die Welt zu retten

05:44

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Die App wird bereits von der UN verwendet, von diversen NGOs, von 55 Notfalldiensten in Großbritannien, von der Post in der Mongolei, in Dschibuti und in der Elfenbeinküste. Konzerne wie Mercedes und die Deutsche Bahn haben Interesse an einer kommerziellen Anwendung und investierten in das Unternehmen, das bereits 110 Mitarbeiter hat.

Sheldrick ist stolz darauf, dass mithilfe der App beispielsweise die private Organisation "Gateway Health" in Südafrika sehr schnell Notarztwagen zu hochschwangeren Frauen schicken kann. "Dadurch können sie Leben retten", betont er. "Man muss nur die drei Worte sagen und sie können dich finden, egal wo du bist."

Raus aus der Nische

Sozialunternehmer arbeiten heute häufig technologiebasiert. Die Digitalisierung hilft ihnen, eine große Wirkung zu haben, selbst wenn ihre Unternehmen nicht groß sind. Entscheidend für den Erfolg sind aber auch die richtigen Verbindungen.

Die Schwab Stiftung will das Netzwerk für Sozialunternehmer nach 20 Jahren weiter vergrößern. "Sozialunternehmer arbeiten nicht mehr isoliert. Wir sehen soziale Innovation als ein Ökosystem voller Pioniere, die ein gemeinsames Ziel verfolgen", betont Hilde Schwab. Für die Schweizerin ist das Thema soziale Veränderung eine Herzensangelegenheit. So wie für die vielen Sozialunternehmer auch.

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